„Sport und Vergnügen“ – Musik von Erik Satie
Geht es uns nicht allen manchmal auch so? In der Welt digitalen Datenflut scheint eine endlos schnelle Dauerschleife der ewig gleichen Musik vernehmbar zu sein. Auf Dauer-Repeat sozusagen. (Vgl. „Die Zeit“ „Mir fällt es schwer neue Musik zu entdecken“). Mal wieder Lust und Zeit für etwas Irritation, Abwechslung und besonderer Vielschichtigkeit?
Als Gedächtniseinrichtung haben wir das Glück, manchmal auch innehalten zu können und unbekanntere großartige Musik und Werke wieder- oder neu für uns zu entdecken. Und uns damit dem manchmal beliebig anmutenden Dauergedudel mancher schematischen Eintönigkeit etwas zu entziehen.
Eine der zahlreichen Möglichkeiten die interssanten Bestände der Deutschen Nationalbiliothek zu entdecken, wäre den Klavierwerken des französischen Komponisten Erik Satie (1866-1925) einen vertieften Einblick unsere begrenzten Aufmerksamkeit zu widmen.
Kategorisierung als Künstler?
Erik Satie gilt als einer der Vorreiter der modernen Minimal Music, setzte als einer der Ersten auf das präparierte Klavier in der praktischen Aufführung, „erschuf“ die Hintergrundmusik (Musique d’ameublement) und verknüpfte die ernsthafte Musik mit konventionellen Gewohnheiten und ungewohnten Sujets, wie Sport und alltägliche Freizeitvergnügen.
So richtig wollte er schon zu Lebzeiten selbst in keine Schublade passen und behauptete von sich gerne, mit dem vorherrschenden Bild eines klassischen Musikers und Komponisten nichts zu tun zu haben.
„Jeder wird Ihnen sagen, ich sei kein Musiker. Das stimmt.“ (Eric Satie)
Paradox im Gegensatz dazu stehen teilweise seine lakonischen Beschreibungen aus seinen Tagebüchern und Notizen. Im Sammelband „Memoiren eines Gedächtnislosen“ beschreibt er den Tagesablauf eines Musikers.
„Tagesablauf eines Musikers“
„Ein Künstler sollte sein Leben genau einteilen.
Hier der präzise Stundenplan meiner alltäglichen Unternehmungen: Aufstehen: 7:18 Uhr; Inspiration: von 10.23 bis 11.47 Uhr. Ich esse um 12.11 Uhr zu Mittag und verlasse die Tafel 12.14.
Erholsamer Ausritt weit in meinen Park hinein: 13.19 bis 14.53 Uhr. Weitere Inspiration: von 15.12 bis 16.07 Uhr. Diverse Beschäftigungen (Fechten, Nachsinnen, Bewegungslosigkeit, Besuche, Betrachtungen, Geschicklichkeitsübungen, Schwimmen etc.): von 16.21 bis 18.47 Uhr.
Das Abendessen wird um 19.16 Uhr serviert und ist um 19.20 Uhr beendet. Es folgt die laute Lektüre symphonischer Partituren: von 20.09 bis 21.59 Uhr. Regelmäßiges Zubettgehen um 22 Uhr 37. Einmal wöchentlich fahre ich um 3 Uhr 19 aus dem Schlaf (dienstags).
Ich nehme nur weiße Nahrung zu mir: Eier, Zucker, Knochenmehl; Fett von toten Tieren; Kalbfleisch, Salz, Kokosnüsse, in Mehlwasser gegartes Huhn, Schimmelpilz an Früchten, Reis, weiße Rüben, Kampferweißwurst, Teigwaren, weißer Frischkäse, Baumwollsalat und bestimmte Fische (ohne Haut).Ich koche meinen Wein und trinke ihn kalt, vermischt mit Fuchsiensaft. Ich esse mit gutem Appetit, aber ich rede niemals beim Essen, aus Angst, mich zu verschlucken.
Ich atme sorgfältig (wenn auch nur in kurzen Zügen). Nur ganz selten tanze ich. Beim Laufen halte ich mir die Rippen und schaue festen Blicks hinter mich. Ich bin von sehr seriösen Äußeren. Und wenn ich lache, so geschieht es nicht absichtlich. Ich entschuldige mich mich immer deswegen und mit ausgesuchter Höflichkeit.
Ich schlafe nur mit einem Auge, aber mein Schlaf ist sehr fest. Mein Bett ist rund, mit einer Vertiefung für den Kopf. Jede volle Stunde nimmt mir mein Diener die Temperatur und tauscht sie gegen eine andere aus.
Seit langem schon bin ich Abonnent einer Modezeitschrift. Ich trage eine weiße Mütze, weiße Beinkleider und eine weiße Weste. Mein Arzt rät mir immerzu zum Rauchen. Seinen Ratschlägen fügt er hinzu: – Rauchen Sie, mein Freund: Sonst raucht ein anderer an Ihrer Stelle.“
(Aus: Eric Satie: Memoiren eines Gedächtnislosen (Fragment).
Ungewöhnliche Werktitel und Anmerkungen
Die Titel seiner Werke sind öfters skurril und schräg: „Bürokratische Sonate“, „Stücke in Form einer Birne“, „Schlaffes Präludium für einen Hund“. Die Vortragsbezeichnungen und Spielhinweise sind manchmal länger als die Werke oder einzelnen Melodiefolgen selbst : „Wie eine Nachtigall mit Zahnschmerzen“, „Öffnen Sie den Kopf“, „Vergraben Sie den Ton in Ihrer Magengrube“…
Im Museumslesesaal die Gestaltung bestaunen
Die Klavierkomposition „Sports & Divertissements“ dient als gutes Exempel für die zahlreich zu entdeckenden veilschichtigen Werke, die man in den Sammlungen des Deutschen Buch-und Schriftmuseum und im Deutschen Musikarchiv in Leipzig entdecken und bewunderen kann.
Angeregt von Zeichnungen des Malers Charles Martins entwirft Satie im April bis Mai 1914 kunstvoll gestaltete Notenblätter und erzählt in witzig skurril-mehrdeutigem Stil einundzwanzig kleine „vergnügliche und sportliche Beschäftigungen“ – Sports et Divertissement, auf deutsch: „Sport und Vergnügen“. Er vertont diese knapp und konzentriert und verknüpft die einzelnen Teile geschickt miteinander.
Gestaltung, Text und Vertonung kann man im Ganzen als frühes „multimediales“ Kunstwerk auffassen. Betrachtet man die kleinen Klavierstücke insbesondere auf das Verhältnis oder gar im Zusammenspiel von Titeln, Text, Zeichnung und Komposition – können vielfältigste Ideen und Bedeutungszusammenhänge entdeckt oder konstruiert werden.
Eine weitere schöne bibliophile Ausgabe mit Grafiken von Monika Rohrmus kann man nach Bestellung im Museumslesesaal in Leipzig oder auch in Frankfurt bestaunen.
Satie’s Werk im Musiklesesaal kennenlernen
Musikwissenschaftlich nahbar kann man sein Werk auch im Musiklesesaal der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig erforschen. Erik Satie’s Klavierwerk gilt für die praktische Einübung als durchaus einsteigerfreundlich.
Als Möglichkeit sei das Nachspielen der Klaviermusik, wie den bekannten „Gnossiennes“ oder den erwähnten „sportlichen Vergnügungsstücken“, direkt über Kopfhörer an den Klaviaturen der Arbeitsplätze im Musiklesesaal, empfohlen. Alternativ ist in stiller Zurückgezogenheit auch ein beliebig lautes nuanciertes Klavierspielen am ektronischen Konzertflügel in der Hörkabine möglich.
Zum vergleichenden Hören bietet sich die Vertonung des bekannten Leipziger Komponisten und Pianisten Steffen Schleiermacher an: „Sports et divertissements.“
Dabei kann an den Computern über den Katalog auch auf elektronische Notenausgaben aus dem Sammlungsbestand des Deutsche Musikarchivs zurückgegriffen werden.
Ob nun neben dem Musizieren und Hören nebenbei auch noch parallel kleine Sportübungen gemeistert werden können, wie es der Komponist selbst mit einem Augenzwinkern als Aufführungshinweis mit angab, mögen und wollen wir allerdings nicht abschließend beurteilen.