Störenfriede bringen die DNB zum Beben

25. September 2024
von Ruprecht Langer, Linus Hartmann-Enke, Fanni Fröhlich
Plakat von einem Musiker, der Saxophon spielt
Plakat Störenfriede. DNB

So viele Menschen!, dachten sich einige Kolleg*innen, als sie die begeisterten Gäste während der Konzerte und Podiumsdiskussionen sahen. Alle Stühle waren besetzt, die Treppen im historischen Gebäude ebenfalls. Die Musik erfüllte die Räume vom Keller bis in die Obergeschosse, die Stimmung war großartig. Besonders begehrte Objekte waren im Übrigen unsere Störenfriede-Plakate und Postkarten.

Aber sehen Sie selbst in diesem Nachklapp in Bildern.

Auftakt am Freitag

Die Konzerte am Freitagabend füllten das Museumsfoyer mit begeisterten Jazz-Fans. Nach der Begrüßung durch die Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums, Dr. Stephanie Jacobs, wurden die Anwesenden von einem digitalen Grußwort des Bundespräsidenten überrascht. Den musikalischen Auftakt übernahm das Wolfgang Schmidtke Orchestra mit „Ascension by John Coltrane“. Aufgrund der hohen Besetzungsstärke, war dieses Werke in gewaltiger Klangteppich, der sich durch die DNB ausbreitete. Etwas intimer wurde es anschließend mit Kit Downes, der solo am Klavier seiner Kreativität freien Lauf ließ. Den Abschluss machte das Quintett Jelly Roll plays Morton mit ihrem sonoren und wuchtigen Sound.

Musik ohne Ende am Samstag

Die beiden Podiumsdiskussionen am Samstag belebten das Bibliotheksfoyer im historischen Gebäude auf eine ganz neue Art und Weise.

Auf dem ersten Podium sprach Stephanie Jacobs mit Thomas Krüger, Bert Noglik, Ulli Blobel und Ilko-Sascha Kowalczuk über Freejazz in der DDR, über dessen Kontexte und Gestaltungsspielräume.

Das zweite Podium moderierte der Leiter der Stiftung Orte der Demokratiegeschichte, Kai Michael Sprenger. Dabei traf er auf Staatsminister Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, sowie Christoph Dieckmann und Anica Happich. Sie sprachen über die Zukunft der kulturellen Landschaft in Ostdeutschland.

Jeweils im Anschluss gab es natürlich Musik – und zwar von den Heroen der ostdeutschen Free- und Creative Jazz-Szene. Conny Bauer sorgte seit Anfang der 1970er Jahre mit seiner Band Synopsis (später Zentralquartett) für Furore. Diesmal füllte der Posaunist solistisch die ehrwürdige Eingangshalle der Deutschen Nationalbibliothek, deren Akustik wunderbar zu diesem Instrument passte. Mit einem trockenen „wir haben uns alle mit der Zeit verändert“ begründete Bauer den Einsatz von Elektronik, als er dank Loop-Station mit sich selbst ins Trio, ins Quartett und weit darüber hinaus wechselte. 

Nach dem zweiten Podium griff Joe Sachse in die Saiten seiner Stromgitarre. Auch er eine der wichtigsten Figuren des freien Jazz in der ehemaligen DDR, und auch er eine Koryphäe an seinem Instrument. Sein Duett mit Schlagzeug, sein Trio mit Bläsern und sein Quartett mit Schlagzeug und Bläsern hat die DNB zum Beben gebracht, aber am bemerkenswertesten ist er mit seiner Königsdisziplin, dem Solospiel. Denn wer Joe Sachse kennt, der weiß, dass sich „solo“ auf die Anzahl der Personen, nicht aber auf die Varianz des Klangs bezieht. Wie Joe Sachse sein Instrument bedient wird es zu Rhythmusgitarre, Lead-Gitarre, Schlagzeug und Bass zugleich. Das Publikum: begeistert, und zwar zu Recht. 

Während die Bühne im historischen Foyer der DNB vordergründig für die Podien zugeschnitten war, haben wir die Bühne im Foyer des Deutschen Buch- und Schriftmuseums ganz auf Konzerte ausgelegt. Und die bekam das Publikum geboten! Den Anfang machte die amerikanische Pianistin Myra Melford mit ausgedehnten hochartifiziellen Improvisationen am Flügel. Wer hier noch nicht wusste, ob er träumen oder groven sollte, dem wurde diese Entscheidung mit der nachfolgenden Band abgenommen. PUNKT.VRT.PLASTIK um Kaja Draksler (Klavier), Petter Eldh (Bass) und Christian Lillinger (Schlagzeug) demonstrierten, warum das Subgenre des Klavier-Trios für viele als die bedeutendste Formation des modernen Jazz gilt. Wir wagen uns da kein Urteil, haben aber über die immense Energie dieses fantastisch besetzten Trios gestaunt. Alle drei standen gleichberechtigt auf der Bühne, gaben sich gegenseitig Raum für ausgedehnte Soli und waren auch nach den Passagen größter rhythmischer Freiheit an den entscheidenden Stellen mit beeindruckender Präzision immer wieder beisammen. Bei diesem Konzert hatten sich die ersten Gäste von ihren Stühlen erhoben, weil man eine solche Musik besser im Stehen und Wippen genießt. Diesen sollten sich im nachfolgenden Konzert noch weitere hinzugesellen.

Abschluss machte nämlich der Multiinstrumentalist Matthias Schriefl mit seinem Allgäu-indischen Quintett um Amith Nadig, Anoor Vinod Shyam, Sunaad Anoor und Alexander Morsey. Die kuriose wie faszinierende Fusion aus traditioneller indischer Musik und Volksmusik aus den Alpen ist herausfordernd und sehr, sehr witzig. Die Musiker waren hervorragend aufeinander eingespielt, und der gemeinsame Einsatz von Tabla und Alphorn, von Bansuri-Flöte und Akkordeon ist etwas, was sich nur vorstellen kann, wer dabei war. So gingen diese langen Tage in der DNB tanzend und feiernd zu Ende, und werden allen noch lange in Erinnerung bleiben.

Aller guten Dinge sind drei…

Abschluss des Wochenendes war ein sonntäglicher Jazzgottesdienst mit viel Musik in der Philippuskirche im Leipziger Westen, angelehnt an die Jazzgottesdienste in Peitz während der Festivals der Jazzwerkstatt. Hier gab es während des eigentlichen Gottesdienstes mit dem Peitzer Pfarrer Kurt Malk die wundervollen Klänge des Duos um Volker Jaekel (Orgel) und Gert Anklam (Saxofon), die in ihrem vielfältigen Programm auch einigen alten Meistern der Jazzwerkstatt ein Denkmal setzten. Direkt im Anschluss erlebte die Gemeinde bzw. das Publikum den Abschluss des musikalischen Wochenendes. Das Inside Colours Trio mit Julie Sassoon (Klavier), Lothar Ohlmeier (Saxofon, Klarinette) und Mia Ohlmeier (Schlagzeug) machte seinem Namen alle Ehre, indem es in seinen Kompositionen und Improvisationen großen Wert auf Klang und Klangfarben legte. Gerade in einem so schönen Raum wie der Philippuskirche und seiner exzellenten Akustik auch für solche Besetzung konnte das Trio brillieren und diesen drei wilden, lauten, bunten, wichtigen und einfach schönen Tagen einen angemessenen Schlusspunkt setzen.

Worum ging es?

Unter dem Titel „Störenfriede. Jazz, Protest + Revolution“ widmeten wir uns der Frage nach der Musik als Medium des Protestes. Anlass des Festivals, das Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit einem Grußwort beehrte, war die Übergabe des historischen Archivs der Jazzwerkstatt Peitz an das Deutsche Buch- und Schriftmuseum. Gefördert wurde das Festival durch die Stiftung Orte der deutschen Demokratiegeschichte, die Bundeszentrale für politische Bildung und Ulli Blobel – Gesellschaft zur Förderung von Kunst und Kultur gemeinnützige UG. Die Schirmherrschaft hatte der Staatsminister und Bundesbeauftragter für Ostdeutschland Carsten Schneider inne.

https://www.dnb.de/DE/Kulturell/Jazzfestival/jazzfestival_node.htmlhttps://dnb.de/Jazzfestival

Ruprecht Langer

Ruprecht Langer ist der Leiter des Deutschen Musikarchivs der Deutschen Nationalbibliothek.

Linus Hartmann-Enke

Dr. Linus Hartmann-Enke ist Mitglied im Wissenschaftlichen Dienst sowie Fachreferent für Musik und Geschichte am Standort Leipzig.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Ruprecht Langer

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  • ISSN 2751-3238