Wissen schafft Demokratie II

6. August 2025
von Stephanie Jacobs

Die Mediengeschichte als Geschichte von Demokratie und Meinungsfreiheit

Seit zwei Jahren stellt das Deutsche Buch- und Schriftmuseum (DBSM) seine Aktivitäten rund um die politische und kulturelle Bildung unter das Motto „Wissen schafft Demokratie“ Wissen schafft Demokratie – blog.dnb.de. Der Anlass für diese Fokussierung unserer Vermittlungsarbeit auf das Thema Demokratie waren 2023 die Initiativen des DBSM rund um den 175. Geburtstag der Paulskirchenverfassung als erster Demokratie auf deutschem Boden. Seitdem konnte das Museum die diesbezüglichen Formate und Themenschwerpunkte der politischen und kulturellen Bildungsarbeit weiter ausbauen und diversifizieren. Ihre Ziele: einerseits Medienkompetenz als Antidot gegen Desinformation und fake news und als Humus demokratischer Prozesse; andererseits die Vermittlung der 5.000-jährigen Mediengeschichte als eine Geschichte von Demokratisierungsprozessen. Die Vermittlungsaktivitäten des DBSM zahlen dabei strategisch auf die im vergangenen Jahr von der Deutschen Nationalbibliothek festgeschriebenen Strategischen Prioritäten Strategische Prioritäten 2025–2027 ein – hier vor allem auf Ziel #1, das die Deutsche Nationalbibliothek als Ort der Demokratie in den Blick nimmt.

Nach zwei Jahren scheint es an der Zeit einmal zurückzuschauen, was seit 2023 in diesem Kontext angestoßen und umgesetzt werden konnte – was dabei gut gelungen, was schiefgelaufen ist und wie die nächsten Schritte aussehen. Hauptziel der politischen Bildung und kulturellen Vermittlung des Museums ist die Stärkung von Demokratie und Meinungsfreiheit. Diese gesellschaftliche Herausforderung wird angesichts der immer stärker um sich greifenden gesellschaftlichen Spaltung von Jahr zu Jahr wichtiger (s. z.B. Wie gespalten ist die deutsche Gesellschaft?). Dabei niemanden zu vergessen oder zu übersehen – dafür eignen sich partizipative und inklusive Formate besonders gut. Denn der Weg, die Demokratie zu stärken, führt bei Gedächtniseinrichtungen über die Gestaltung möglichst diverser und interaktiver Zugänge zum Kulturerbe.

Schön mich kennen zu lernen
Die Wechselausstellung „Schön mich kennenzulernen“ Comics des Gastlandes Niederlande/Flandern bei der Leipziger Buchmesse 2024, Foto: Johanna Baschke

Es lassen sich – ganz grob – drei Aktionsfelder der politischen und kulturellen Bildung definieren, auf denen das DBSM aktiv war: Aus- & Fortbildung, Partizipation & Inklusion und „DBSM unterwegs“:

Aus- und Fortbildung

Dieser Aufgabenbereich zielt einerseits auf Multiplikator*innen im Bildungssektor. In den vergangenen Monaten hat das DBSM vermehrt in Fortbildungen für Lehrkräfte vor allem der Sekundarstufe I und II investiert. Zusammen mit dem Landesamt für Schule und Bildung (Lasub), Dresden konnten mehrere Multiplikatorenfortbildungen angeboten werden, zum Beispiel unter dem Motto „Streiten? Unbedingt! Streitkultur und Medienkompetenz“ oder „Medien- und Demokratiekompetenz: KI und Digitalisierung in Schulen“. Diese Veranstaltungen qualifizieren das DBSM als Partner in der Ausbildung. In diesen Kontext gehört auch die Initiierung von oder Beteiligung an Seminaren zu Themen der Mediengeschichte. Sowohl Universität und Hochschulen vor Ort als auch aus anderen Bundesländern profitieren von diesen Kooperationen – das DBSM soundso.

Außerdem akquiriert das DBSM zusammen mit Johanna Laurenzen, der Ausbildungsbeauftragten der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig, zahlreiche Praktikant*innen aus Studienrichtungen mit fachlichem Schwerpunkt auf der Mediengeschichte. Dabei investieren die Mitarbeiter*innen des DBSM nicht nur in die Ausbildung der jungen Menschen; umgekehrt bringen diese aus ihrer Ausbildung, aber auch aus ihrem Lebensalltag Themen, Haltungen und Instrumente mit, die wiederum interessant sind für den Museumsalltag der Zukunft. Und wenn am Ende der Praktika die Bereitschaft vorhanden ist, akademische Abschlussarbeiten im DBSM zu verankern und mitbetreuen zu lassen, hat sich die Investition in die jungen Leute mehr als ausgezahlt. In diesen Ausbildungskontext gehören auch Hospitationen – etwa im Kontext des weltweiten UNESCO-Programms „incoming kulturweit“ Incoming | kulturweit – und die Akquise und Betreuung von Stipendien, etwa im Kontext der Ukrainehilfe die Unterstützung für zwei ukrainische Exilschriftstellerinnen.

Neben externen bietet das Museum auch interne Fortbildungsangebote an, die zusammen mit Susann Solberg, der Fortbildungsreferentin der DNB aufgesetzt werden. Im vergangenen Jahr waren das etwa standortübergreifende Fortbildungen zur Bedeutung von kultureller und politischer Vermittlungsarbeit und Outreach für Gedächtniseinrichtungen. Oder – derzeit in Vorbereitung – die Themen „Mediengeschichte als Geschichte von Demokratisierungsprozessen“ oder „Streitkultur als Motor demokratischer Prozesse“.

Jan Markus Holtz
WGT Lesung 2025, Foto: Jan Markus Holtz
Viele Musiker spielen Instrumente
Festival Störenfriede, Foto: Carl Götz

Partizipation & Inklusion: Formatvielfalt

Um unserer Rolle als demokratischer Ort für das Aushandeln ganz unterschiedlicher Positionen noch besser gerecht werden zu können, hat das DBSM in den vergangenen Jahren mehr in partizipative und inklusive Formate investiert. Dabei hat sich noch kein Set aus „Standardveranstaltungen“ etabliert, vielmehr versuchen wir eine ganze Palette von Formaten – durchaus in einem Prozess von „trial and error“ –, denn die Suche nach geeigneten Formaten steht unter den durchaus schwierigen Vorzeichen erheblich eingeschränkter finanzieller Mittel. Mit weniger Ressourcen mehr Menschen zu erreichen – das muss auch mittelfristig unser Ziel sein. Dabei geht es auch darum, die gesellschaftlichen Realitäten stärker zu berücksichtigen und auch neutraler Ort für schwierige Diskurse zu sein, auch Positionen auszuhandeln, auszuhalten, die ausdrücklich weh tun….

Auf dem durchaus steinigen Weg hin zu mehr Partizipation haben wir auch verstanden, dass wir als Museum Räume anders bespielen können – und sollten, denn Teilhabe benötigt Raum. Daher experimentieren wir auch mit der Umwidmung unterschiedlicher Räume, von denen wir durch den vierten Erweiterungsbau so herrlich offene und vielfältige zur Verfügung haben. Seine Ausstellungsräume z.B. nutzt das DBSM nicht mehr nur für seine „institutionelle Autorität“ als mediengeschichtliche und wissenschaftliche Dokumentationsstätte, um zu zeigen, was gewusst werden kann und sollte, sondern öffnet diese für die Positionen, Themen und Fragestellungen anderer. Dabei konnten u.a. folgende Formate etabliert werden: Schnitzeljagden und deren digitale Varianten, die Actionbounds, mit denen – quer durch alle Altersstufen ­– wunderbar die Neugier getriggert werden kann; Thementage, mit denen wir ganz bestimmte Aspekte unserer Arbeit für ein größeres Publikum und in interaktiven Formaten aufschließen; Museumsbingo und Escaperoom locken durch spielerische Standardformate, die wir auf die Geschichte und Zukunft der Medien münzen; partizipative Diskursformate wie Worldcafé oder Fishbowl, in deren Zentrum die gemeinsame Entwicklung von Ideen und Lösungsansätze stehen; oder die zusammen mit den betroffenen Personenkreisen entwickelten Rundgänge für Menschen mit Einschränkungen ( – derzeit erarbeitet beispielsweise eine Museumskollegin einen sensory friendly-Rundgang für Autist*innen)).

Ziel der partizipativen Formate ist es, die Zielgruppen für unsere Themen und Produkte zu erweitern – und auch überraschende Nutzendengruppen zu uns zu locken. Das trägt vor allem dann Früchte, wenn es gelingt, bereits vorhandene kulturaffine Communities an den Deutschen Platz zu locken – wenn etwa zu einer Lesung während des alljährlich in Leipzig stattfindenden Wave Gotik Treffens (WGT) plötzlich eine Traube von fast 500 lesebesessenen Menschen aus der Schwarzen Szene vor der Tür stehen.

Klaus D. Sonntag
Depotführung für Kinder, Foto: Klaus D. Sonntag

DBSM unterwegs

Wichtig ist neben der Vermittlungsarbeit vor Ort auch die „aufsuchende Bildungsarbeit“. Selten machen wir uns als Gedächtniseinrichtung bewusst, welche zum großen Teil unsichtbaren Hemmschwellen den Zugang zu unseren Häusern, Themen und Beständen erschweren. Auch wenn wir sagen, dass wir für alle Menschen offenstehen, so setzen große Bevölkerungsgruppen niemals ihren Fuß in unser Museum. Es sind gesellschaftliche, nirgends festgeschriebene Barrieren, die das verhindern. Und die wir am besten dadurch überwinden, dass wir nicht nur die Menschen zu uns kommen lassen, sondern sie an ihren Orten aufsuchen und unsere Themen rund um das kulturelle Erbe „in die Welt“ tragen. Diese aufsuchende Bildungsarbeit ist sehr personalintensiv, daher können wir diese leider nur sehr gezielt einsetzen. Besonders wichtig sind in diesem Kontext Kooperationen, da sie – wenn sie gut und vertrauensvoll laufen – Ressourcen und Aufwände minimieren, da sie auf dem Prinzip des Nehmens und Gebens beruhen.

Zentrale Beispiele für das „DBSM unterwegs“ sind unsere Aktivitäten im Kontext der Förderpädagogik, Flüchtlingshilfe und Erwachsenenbildung. Durch ein stabiles Netz an Kooperations- und Ansprechpartner*innen konnten die Formate und Geschäftsgänge zwischen uns und den Schulen bzw. Ausbildungsstätten etabliert werden. Besonders hervorzuheben ist das Projekt „Wunderfinder“ der Stiftung Bürger für Leipzig, in dem etliche Ehrenamtliche mit ihren Patenkindern aus sozialen Brennpunkten regelmäßig zu Leseförderungsaktionen z.B. in Altenheime gehen – mit dem doppelten Effekt des intergenrationellen Austauschs und des Empowerments für die vorlesenden Kinder: Lesen als Teilhabekompetenz. Auch Lesefeste wie die „Leselust im August“ oder der bundesweite Vorlesetag im November gehören zu Standardveranstaltungen von „DBSM unterwegs“.

Ein 2025 neu aufgesetztes Format von „DBSM unterwegs“ sind die „BookTalkWalks. GedankenGänge mit Jahrhundertbüchern“. Zusammen mit Spaziergangsforscher und Philosophen kuratiert das DBSM Stadtrundgänge mit jeweils einem prominenten Gast, der „sein Jahrhundertbuch“ mitbringt und durch die Stadt spazierend mit dem Publikum an je spezifischen Orten diskutiert.

Ferner beteiligt sich das DBSM immer wieder an dem Wissenschaftsschiff „MS Wissenschaft“, das vom BMBF finanziert „Wissenschaft für alle“ präsentiert und jeweils unter einem Rahmenthema durch ganz Deutschland schippert, zuletzt unter dem Motto Freiheit. Das Schiff, für das das DBSM drei Ausstellungsmodule konzipiert hat, wurde 2024 von über 54.000 Menschen besucht. Und schließlich sind es auch externe Installationen wie der Geocache des DBSM oder gemeinsame Veranstaltungen in der Stadt – z.B. die Leipziger Lichtlyrik zum Thema Flucht & Zuflucht, die im Herbst dieses Jahres im Rahmen des städtischen Themenjahres „Mehr als eine Geschichte“ auf das Uni-Hochhaus projiziert wird. All diese Aktionen haben ein Ziel: mit weniger Mitteln und Personalressourcen die Reichweite des Museums zu erhöhen und mehr Outreach zu erzeugen. Das Wechselgeld für solche Kooperationsaktivitäten ist die Investition in Vertrauen – sowohl gegenüber den Kooperationspartnern als auch gegenüber den eigenen Mitarbeiter*innen.

Ulrike Merrem, Leselust
Leselust im August 2024, Foto: Ulrike Merrem

Alle drei Aktionsfelder spiegeln die kulturelle und politische Vermittlungsarbeit als eine Frage der gesellschaftlichen Daseinsberechtigung für Gedächtniseinrichtungen. Wenn sich Museen, Bibliotheken und Archive den aktuellen gesellschaftlichen Themen stellen, müssen sie keinen Bedeutungsverlust befürchten. Oder – um das von Johann Wolfgang von Goethe entlehnte Motto des ersten Beitrags zum Thema „Wissen schafft Demokratie“ zu wiederholen: „Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden.“

Auf die DNB angewandt: „Es ist nicht genug Medien zu sammeln, man muss sie auch in aktuelle gesellschaftliche Thematiken einspeisen.“ 

Stephanie Jacobs

ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.



Im Herbst erscheint die dritte Folge von „Wissen schafft Demokratie“ mit den Schwerpunktthemen Digitalität als Querschnittsaufgabe für die demokratische Gestaltung von Zugängen zum Kulturerbe und Vielfalt von Medienformaten als Garant für Reichweite.
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:kulturweit incoming / Deutsche UNESCO-Kommission e.V.

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  • ISSN 2751-3238