Eine etwas andere Geschichte des Handels mit Wissen
Pünktlich zur Leipziger Buchmesse ist das im Auftrag der Historischen Kommission von Christine Haug und Stephanie Jacobs herausgegebene und im Wallstein Verlag publizierte Buch zum 200. Geburtstag des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels erschienen. Die vollständig spendenfinanzierte Publikation erzählt anlässlich des runden Jubiläums von Europas ältestem Branchenverband und eine etwas andere Geschichte des Handels mit Wissen.
Zwischen Zeilen und Zeiten. Buchhandel und Verlage 1825–2025

In 216 Episoden werfen 69 Autoren und Autor*innen aus der Wirtschafts- und Kulturgeschichte, aus Literatur- und Medienwissenschaften, Bibliotheksgeschichte, Zukunftsforschung, Buchwissenschaft und Designgeschichte – um nur die wichtigsten Wissenschaftsgebiete dieses interdisziplinären Kompendiums zu nennen – einen Blick nicht nur auf die großen Meilensteine der Buchhandelsgeschichte, sondern vor allem auch auf die versteckten Episoden und noch nie erzählten Ränke, auf kleine Kriminalgeschichten und verheerende politische Irrwege. Viele Essays bewegen sich durchaus abseits der offiziellen Historiographie des Branchenverbands. Unter den Autor*innen finden sich auch eine Reihe von Mitarbeiter*innen der DNB: Johannes Neuer, Linus Hartmann-Enke, Katrin Heuer, Helene Schlicht, Julia Rinck, Carola Staniek, Sylvia Asmus und Ruprecht Langer. Die aufwändige Bildredaktion für den Band hatte im Wesentlichen Fanni Fröhlich in der Hand.

Tiefenbohrungen aus 200 Jahren
Als Kind der Vorindustrialisierung 1825 in Leipzig gegründet, widmet sich der Börsenverein seit nunmehr 200 Jahren dem Thema Buch. Der doppelte Auftrag als Wirtschafts- und Kulturverband gehört noch heute zu seinem Selbstverständnis, hat den Börsenverein aber nicht vor politischer Instrumentalisierung geschützt. „Zwischen Zeilen und Zeiten“ bettet den Handel mit Wissen in den Kontext einer frühen Globalgeschichte der Demokratie, leuchtet aber zugleich in Mikroperspektive Erfolgsgeschichten und Pleiten aus.
Die Geschichte von Buchhandel und Verlagswesen einem breiten Publikum zugänglich zu machen, ist das Ziel dieser „anderen Festschrift“. Ob Zensurgeschichten oder Lektürekonjunkturen, Erholungsheime für Buchhändler, Razzien der Gestapo, Abrechnungsfinessen oder pompöse Feste – knapp 70 Autor*innen beleuchten das Thema aus ganz unterschiedlichen Perspektiven. Und auch die vielgestaltigen Beziehungsgeflechte der Buchcommunity kommen zu Wort: jene zwischen Autorinnen und Verlegern, Händlern und Leserinnen, Freigeistern und Apparatschiks, Ewiggestrigen und Visionären.


Bedeutung des Buches für die Demokratie
Die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien, Claudia Roth, unterstreicht in ihrem Grußwort die gesellschaftliche Bedeutung des Buches für die Demokratie – heute mehr denn je. Und Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins, schließt ihr Vorwort mit dem Appell: „Lassen Sie uns im Bewusstsein des Vergangenen gemeinsam neue Kapitel aufschlagen.“

Buchgestalterisches Experiment
Und auch gestalterisch unternimmt das Buch ein Experiment: Der Leipziger Buchgestalter Torsten Köchlin legt es als eine Chronik an, die auf jeder Seite den vorhergehenden und den nachfolgenden Text sichtbar macht und damit metaphorisch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verschränkt. Die Folge: Die Texte laufen jeweils in Spalten über die Seiten, deren luzides 60 Grammpapier das Buch leicht erscheinen lässt. Bereits das Cover enthüllt mit seinen Spiegelungen das Experiment. Der rote Schnitt lehnt sich an das Rot des Börsenvereins an, wandelt die strahlende Farbe allerdings in einen etwas abgegriffenen Ton: Die Geschichte ist nicht spurlos am Jubiliar vorübergezogen. Wie immer gelingt Köchlin auch bei diesem Band etwas, was bei Buchgestaltungen nicht die Regel ist: eine so kongeniale wie eigenständige und starke gestalterische Umsetzung des vielschichtigen Themas.
Erste Rezensionen
Die Wochenendausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 22. März, in der Andreas Platthaus der Publikation eine ganze Seite widmet, veröffentlicht unter dem schönen, aus dem Text über den Feldbuchhandel entlehnten Titel „Sind wir Barbaren? Ja!“ vorab sechs Episoden aus der breit gespannten Buchhandelsgeschichte. Und die doppelseitige Rezension von Stefan Hauck im Börsenblatt resümiert den „kurzweiligen Parforceritt“: „Viele aufschlussreiche Erkenntnisse stecken in dem 568-seitigen Werk, und wer wissen möchte, was die Redewendung „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts“ mit Vorsteher Oskar von Hase zu tun hat: einfach nachschlagen.“
Ausstellung
Am Welttag des Buches, 23. April 2025, um 18 Uhr, eröffnet das Deutsche Buch- und Schriftmuseum eine gleichnamige Ausstellung.
Sie präsentiert Objekte und Dokumente aus den umfangreichen Beständen der Börsenvereinsbibliotheken Leipzig und Frankfurt am Main und wirft in acht Kapiteln Schlaglichter auf 200 Jahre bewegte Verbands- und Buchhandelsgeschichte. „Zwischen Zeilen und Zeiten“ ist ein Beitrag zum Themenjahr „Mehr als eine Geschichte. Buchstadt Leipzig“ der Stadt Leipzig 2025.
Publikation: Zwischen Zeilen und Zeiten. Buchhandel und Verlage 1825-2025
Herausgegeben von Christine Haug und Stephanie Jacobs.
Göttingen: Wallstein Verlag, 2025.
568 Seiten, zahlr. Abb., Klappenbroschur, Farbschnitt, 17 x 21,5 cm, ISBN 978-3-8353-5847-8
Preis: 28,00 Euro, erhältlich im Buchhandel oder im Deutschen Buch- und Schriftmuseum (dbsm-info@dnb.de)
Stephanie Jacobs
Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.