9. Arbeitstagung der KOOP LITERA Deutschland
Vom 22.–24. Juni fand die 9. Arbeitstagung der KOOP-LITERA Deutschland im Vortragssaal der Deutschen Nationalbibliothek statt. „KOOP-LITERA Deutschland“ ist Teil des Netzwerks „KOOP-LITERA international“, das deutsche, luxemburgische, österreichische und schweizerische Institutionen umfasst, die Nachlässe und Autografen erwerben, erschließen, bewahren und der Öffentlichkeit zugänglich machen. Ziele des Netzwerks sind die Professionalisierung des Arbeitsfeldes durch Koordination sowie die Stärkung der Zusammenarbeit und die Abstimmung auf nationaler wie internationaler Ebene. Die Arbeitstagung wurde vom Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek organisiert. Inhaltlich standen die Themen Digitalisierung und kooperative virtuelle Projekte im Fokus, zudem stellten sich die Frankfurter Institutionen mit ihren Sammlungen vor.
Zu Beginn der ersten Sektion (Digitalisierung und Kooperationen) präsentierte Oliver Götze die Neuerungen des Archivportal-D. Mehr als 200 Archive sind mittlerweile mit ihren Beständen und ca. 23,6 Millionen Datensätzen in diesem spartenspezifischen Zugang der Deutschen Digitalen Bibliothek zu archivischen Inhalten vertreten. Ein besonderer Schwerpunkt liegt seit 2020 in dem Ausbau von sachspezifischen Zugängen wie dem Themenportal „Weimarer Republik“. Im Aufbau befindet sich zurzeit das Themenportal „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“, das Informationen über die Aktenbestände des Bundes, der Länder und weiterer Stellen zusammenführen wird.
Im Anschluss erläuterte Dr. Katharina Günther, die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Forschungsverbunds Marbach Weimar Wolfenbüttel, gemeinsam mit ihrer Kollegin Christina Müller den Stand des Forschungsportals. Digitales kollaboratives Arbeiten bedeutet im Forschungsverbund, die Integration digitaler Sammlungen, die Ermöglichung zur bestandsübergreifenden Suche sowie das Angebot von Projektlaboren mit ausgewählten unterstützenden digitalen Werkzeugen für die Forscher*innen im Verbund, wie beide am Beispiel von „Goethe Digital“ darlegten.
Dr. Gabriele Radecke, die Leiterin des Literaturarchivs der Akademie der Künste, informierte über die Herausforderungen und Chancen des internationalen Kooperationsprojekts „Heinrich Mann DIGITAL“. Die neun beteiligten Institutionen haben gemeinsam Anforderungen formuliert, wie die zersplitterten Bestände zu Heinrich Mann nach der Digitalisierung in einem Portal visualisiert werden sollen. Dabei zeigte Dr. Radecke auch die Herausforderungen auf, die schon bei der Vereinheitlichung der unterschiedlichen Metadaten beginnen.
Zum Abschluss dieser Sektion stellten Dr. Moritz Wagner und Dr. Jörn Hasenclever die Kooperation zwischen dem Schweizerischen Literaturarchiv der Schweizerischen Nationalbibliothek und dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945 vor. Ziel ist die virtuelle Zusammenführung der beiden Teilnachlässe Ulrich Bechers. Begonnen wurde die Kooperation mit einer gemeinsamen digitalen Sonderausstellung im virtuellen Museum „Künste im Exil“, das vom Deutschen Exilarchiv koordiniert wird. Intensive Abstimmungen während der granularen Erschließung der beiden Teilnachlässe bilden die Grundlage für die Digitalisierung und spätere gemeinsame Visualisierung.
Dr. Dorothee Linnemann, Leiterin der grafischen und fotografischen Sammlung des Historischen Museums Frankfurt, eröffnete die zweite Sektion, in der sich Frankfurter Institutionen präsentierten. Sie gab Einblicke in die rund 80.000 Handzeichnungen und 300.000 fotografischen Werke der Sammlung. Den Wandel in den Museen sieht sie als Chance für ein kollaboratives Sammeln von lokaler Geschichte, wie sie an den Beispielen der Objektübergabe von „Occupy“, dem „Mitmach-Buffet“ des Historischen Museums und dem Stadtlabor Digital, indem Frankfurter*innen die Stadt gemeinsam mit dem Museum erforschen, darlegte.
Das Archiv im Jüdischen Museum Frankfurt stellte Dr. Franziska Krah vor und ging dabei insbesondere auf das Familienarchiv Frank-Elias und die Einbettung der Familiengeschichte in die aktuelle Dauerausstellung ein. Während der Umbauphase des Museums erhielt das Archiv 2020 ein neues, anforderungsgerechtes Magazin und mit der Museumsbibliothek einen Lesesaal sowie Forschungskabinen für Archivnutzer*innen.
Das Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main präsentierte Dr. Kristina Odenweller, die Leiterin der Abteilung Sammlungen. Seit 1436 wird hier das kommunale Archivgut der Stadt gesammelt, daneben auch Wirtschaftsarchive, Archive von Frankfurter Vereinen und Vereinigungen, Nachlässe und vieles mehr. Aktuell wurde die Migration der über 700.000 Datensätze in die hessenweite Recherchedatenbank Arcinsys erfolgreich abgeschlossen.
Dr. Wolfgang Schopf stellte in einer Tour d‘Horizon die Literaturabteilung im Archiv der Goethe-Universität vor und verdeutlichte anhand der Chronologie der Erwerbungen des Literaturarchivs in den letzten fünfzehn Jahren den Bedeutungszuwachs der Abteilung innerhalb und außerhalb der Universität.
„Ausstellen, edieren, online publizieren“ bilden die aktuelle Schwerpunktthemen des Freien Deutschen Hochstifts, die Dr. Konrad Heumann, Leiter der Handschriftenabteilung in seinem Vortrag hervorhob. Im Februar 2022 wurde die kritische Gesamtausgabe der Werke Hugo von Hofmannsthals mit der Veröffentlichung des vierten Bandes erfolgreich abgeschlossen. Am Beispiel der hybriden Faust-Edition erläuterte Heumann die Herausforderungen und Möglichkeiten von Online-Editionen; insbesondere die Nutzung von Transkribus zur Texterkennung habe sich als hilfreich erwiesen. Im Herbst 2021 eröffnete das Freie Deutsche Hochstift das Deutsche Romantik-Museum. Es bietet eine zeitgemäße Möglichkeit, die Sammlung des Hochstifts zur Literatur der deutschen Romantik zu präsentieren, wie Heumann an vielfältigen, innovativen Beispielen veranschaulichte.
Im anschließenden Workshop stellte Gerhard Müller, Leiter des Autografenportals Kalliope der Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, das Projekt SoNAR – Interfaces to Data for Historical Social Network vor. Dabei handelt es sich um ein Konzept für eine Forschungsinfrastruktur mit dem Schwerpunkt auf Daten für die historische Netzwerkforschung und verwandte Fragestellungen. Die Zusammenführung der heterogenen Metadaten erbrachte über 50 Millionen Knoten (Entitäten) und 185 Millionen Kanten (Relationen), die nach der jeweiligen Forschungsfrage bearbeitet und danach heruntergeladen werden können. Gemeinsam mit den Konferenzteilnehmer*innen erarbeitete Müller beispielhaft Entitäten und Relationen anhand von Briefen und Fotografien aus der Sammlung des Deutschen Exilarchivs.
Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 präsentierte sich während der gesamten Tagung als ein Ort der Auseinandersetzung mit den Themen Exil und Emigration während der Zeit des Nationalsozialismus. Mit Führungen durch die Sammlung und die Dauerausstellung „Exil. Erfahrung und Zeugnis“ sowie durch die gerade eröffnete Ausstellung „Marcel Reich Ranicki. Ein Leben, viele Rollen“ gab es Einblicke in seine Arbeit. Ein besonderes Projekt ist das interaktive, digitale Zeitzeugnis von Kurt S. Maier. Seit mehr als 70 Jahren teilen Überlebende der Shoah ihre Erfahrungen mit Menschen auf der ganzen Welt und vermitteln dabei wichtige Erkenntnisse, die unser Verständnis von Geschichte prägen. Was aber passiert, wenn es keine Zeitzeug*innen mehr gibt, die von Shoah und Exil erzählen können? Wie wird sich unser Erinnern verändern? Das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek möchte die wichtige Situation des Befragens sichern und erarbeitet gemeinsam mit der USC Shoah Foundation und dem Zeitzeugen Kurt S. Maier ein interaktives Zeitzeugnis. Die Konferenzteilnehmer*innen unterstützten das Projekt in der Beta-Testphase, indem sie in einen Dialog mit dem interaktiven Zeitzeugen traten und somit zur Verbesserung der KI-gestützten Technik beitrugen.
In der dritten Sektion (Neuigkeiten aus der Deutschen Nationalbibliothek) erläuterte Renate Behrens die gegenwärtigen Aufgaben der Arbeitsstelle für Standardisierung. Die Anpassung des Regelwerks „Regeln zur Erschließung für Nachlässe und Autographen“ (RNA) an die RDA, die zur Entwicklung des aktuellen Regelwerkes „Ressourcenerschließung mit Normdaten in Archiven und Bibliotheken“ (RNAB) führte, bewertet Behrens als Erfolgsmodell für die spartenübergreifende Standardisierung. Sie gab einen Überblick zum Stand der Standardisierungsbemühungen im Rahmen der deutschsprachigen Länder (D-A-CH), der internationalen Einbindung und den Schwerpunkten der Arbeit an der RDA. Als Katalysator für die spartenübergreifende Standardisierung gilt die Gemeinsame Normdatei (GND), in die aktuell das Vokabular und die Regularien aus dem archivischen, musealen, künstlerischen und denkmalpflegerischen Bereich einfließen.
Im Anschluss präsentierte Jürgen Kett, Leiter der Arbeitsstelle für Standardisierung, den GND- Explorer, ein Anzeige- und Recherchesystem mit ansprechenden Visualisierungen und Navigationsmöglichkeiten, um Netzwerke und das Semantic Web erfahrbar zu machen. Dadurch ist es möglich, die Daten der GND besser im jeweiligen Forschungsumfeld zu kontextualisieren. Perspektivisch soll das Verfahren zu manuellen und automatisierten Meldungen von externen Referenzen ausgebaut sowie Community-Sichten auf das GND-Netzwerk ermöglicht werden.
Zum Abschluss der Tagung gab Dr. Ralf Breslau (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz) einen Überblick zur gerade abgeschlossenen Aktualisierung der RNAB und den zukünftigen Entwicklungen. So ist geplant, die RNAB als ein fluides Regelwerk weiter für die Beschreibung von digitalen Quellen zu öffnen und elektronische Medien noch stärker in den Blick zu nehmen. Die RNAB-Redaktionsgruppe wird in einem nächsten Schritt an der Entwicklung von Vokabularen arbeiten sowie Ressourcenarten ergänzen und dabei auch das Feedback aller interessierter Kolleg*innen einbeziehen. Die Arbeit an der RNAB basiert auf einer Vereinbarung, der neben der Schweizerischen Nationalbibliothek, der Österreichischen Nationalbibliothek und der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, jetzt auch die Deutsche Nationalbibliothek beigetreten ist. Damit ist die langfristige und kontinuierliche Weiterarbeit an den RNAB gewährleistet.
Abschließend gab Dr. Ralf Breslau bekannt, dass er aufgrund des absehbaren Eintritts in den Ruhestand sein Amt als Koordinator von KOOP-LITERA Deutschland aufgebe. Alle Teilnehmenden der KOOP-LITERA Tagung dankten ihm für seinen Einsatz und sein Engagement in den vielen Jahren, in welchen er die KOOP-LITERA Deutschland begleitete und koordinierte.
Seine Nachfolge treten Thomas Stern (Handschriftenabteilung der Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden) und Dr. Jörn Hasenclever (Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek) an.
Als nächste Termine stehen bereits fest: Vom 14.–16. Juni 2023 findet die 10. Arbeitstagung der KOOP-LITERA Deutschland im Stadtarchiv Wuppertal statt, 2024 folgt die Tagung von KOOP-LITERA International in Luxemburg.