Als das Deutsche Musikarchiv in Berlin war

20. September 2023
von Ruprecht Langer

Die Deutsche Nationalbibliothek (DNB) hat zwei Standorte: einen in Leipzig (vormals Die Deutsche Bücherei), und einen in Frankfurt am Main (vormals Deutsche Bibliothek). Das war aber nicht immer so. Während in der Deutschen Bücherei in Leipzig bereits seit 1943 Notenausgaben (Musikalien) und seit den 1970er Jahren Tonträger gesammelt wurden, ging man in der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main einen anderen Weg. Um sich der systematischen Sammlung von Musik ganz widmen zu können, wurde das Thema gewissermaßen an einen eigenen Standort ausgelagert: Zum Deutschen Musikarchiv (DMA) in (West-) Berlin.

Gegründet wurde das DMA am 1. Januar 1970, und musste nicht mit leeren Magazinen beginnen. Durch seine Vorgängerinstitution, die Deutsche Musik-Phonothek, konnte es die Musikalien und Tonaufnahmen übernehmen, die hier von 1961 bis 1969 gesammelt wurden. Während diese Medien in der Deutschen Musik-Phonothek Forschung und Lehre vorbehalten war, stand der Schatz an Musik nun der allgemeinen Öffentlichkeit zur Verfügung. Ab 1973 konnte der Sammelauftrag durch die gesetzliche Verankerung der Pflichtablieferung immens vertieft und verbreitert werden. Denn von nun an waren westdeutsche Noten- und Tonträgerverlage verpflichtet, ein Exemplar jeder Veröffentlichung an das DMA zu senden.

1978 bezog das DMA das Herrenhaus Correns, weitläufig bekannt als Siemensvilla, in Berlin Lankwitz, das ein beeindruckendes Postkartenmotiv abgibt. Doch wie war das Leben und Arbeiten in jener Berliner Zeit? Das DMA war eine Abteilung der Frankfurter Deutschen Bibliothek und so natürlich eng mit jener verbunden. Dennoch hatte das DMA viel Eigenverantwortung. Es gab eine eigene Verwaltung, eine eigene Leitung samt Sekretariat, ein Tonstudio, Referate für Erwerbung, Erschließung und Benutzung, eigene Magazine und eine sich damals erst aufbauende eigene IT.

Mehr als 50 Beschäftigte gingen hier täglich ein und aus. Die Ein- bis Drei-Personen-Büros waren geräumig und sowohl zur Nord- als auch zur Südseite des Gebäudes hin ausgerichtet. Allerdings war die Isolierung nicht optimal, was aus Gründen des Denkmalschutzes auch nicht ohne weiteres verbessert hätte werden können. „In den Büros auf der Nordseite hatten wir auch im Hochsommer noch dicke Strümpfe an,“ erinnert sich eine Kollegin an die Berliner Zeit. „Dafür wurde es auf der Südseite bereits mit den ersten Sonnenstrahlen brütend heiß“. Dennoch: Die positive Stimmung, die gute Organisation und der Zusammenhalt der Mitarbeitenden haben für ein angenehmes Arbeitsklima gesorgt. Hier haben sich die Beschäftigten neben der eigentlichen Sammlung von Musikmedien, deren Erschließung und Magazinierung auch konzeptionellen Aufgaben gewidmet: Das Berliner DMA war ein federführender Partner in der umfassenden Aufgabe, die Regeln für die alphabetische Katalogisierung von Ausgaben musikalischer Werke, „RAK Musik“, zu revidieren und somit ein Regelwerk zu schaffen, das von allen deutschen Bibliotheken verwendet werden konnte. Möglichst einheitliche Daten sind auch für die Vernetzung von Bibliotheken das A und O.

Doch nicht nur deshalb genoss das DMA insbesondere in der Fachwelt der Bibliotheken und Archive einen hervorragenden Ruf. Insbesondere in den frühen 1980er Jahren kamen in Form von großen und bedeutenden Nach- und Vorlässen mehr als 100.000 Schellackschallplatten ins Haus und bilden das Fundament der bis heute in Leipzig weitergeführten und einmaligen Sammlung historischer Tonträger.

Neben historischen Medien galt ein Fokus auch der Verwendung von neuen technischen Entwicklungen. 1980 wurde eine eigene EDV-Anlage in Betrieb genommen, auf deren Grundlage die Abschaffung der Zettelkatalog zugunsten einer Online-Katalogisierung vorangetrieben wurde. 1990 konnte ein Informatiker des DMA auf der Tagung der Musikarchive (IASA) in Bremen davon schwärmen, wie praktisch die Musikerschließung per Computer war. Gut zehn Jahre später beherbergte das DMA dann selbst die deutsch-schweizerische Ländergruppe der IASA, und ermöglichte eine – wie es im Konferenzbericht heißt – durch „Professionalität und Enthusiasmus [geprägte] rundum gelungene Tagung“.

Neben Netzwerk- und Schreibtischarbeiten gab es in der Siemensvilla auch immer wieder hochkarätige Musik zu hören – der Konzertsaal hatte schon lange eine Reputation für seine exzellente Akustik. Bereits 1954 nahm die damals noch junge Catarina Valente hier Musik auf, während der Zeit des DMA probten immer mal wieder die Berliner Symphoniker im Saal. 

Dennoch blieb die Siemensvilla wegen ihrer baulichen Mängel hinter den Standards eines modernen Archivgebäudes zurück. Der Lichteinfall in die Büros war für Bildschirmarbeiten nicht ideal, und das Magazin hatte Probleme mit Wassereinfall, Hitze und Kälte. Da in Berlin kein adäquater Nachfolgebau gefunden werden konnte, fiel die DNB 2005 die Entscheidung, das DMA nach Leipzig umziehen zu lassen.

Hier wurde gerade der vierte Erweiterungsbau geplant, der neben Magazinen vor allem auch das Deutsche Buch- und Schriftmuseum beherbergt. Mit derselben (innen)architektonischen Handschrift entstanden im historischen Gründerbau nun maßgeschneiderte Räumlichkeiten, inklusive Tonstudio, Hörkabine, Musikausstellung und – als Neubau im Lichthof der DNB – der Musiklesesaal.

Nachdem 2011 dieser vierte Erweiterungsbau eingeweiht wurde, gibt es die DNB nun also in zwei Häusern: in Frankfurt am Main und in Leipzig.

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB Archiv

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  • ISSN 2751-3238