Von Oskar Pusch zu Gabriele Glöckler
Zur Architektur der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig
Die doppelte Grundsteinlegung der Deutschen Bücherei
Die Grundsteinlegung erfolgte ursprünglich schon am 19.10.1913 an der Karl-Siegismund-Straße. Mit dem ersten Entwurf sahen Edmund Waldow und Oskar Pusch zwei Gebäude für den Bibliotheksbau vor. Einen Verwaltungsbau mit Lesesaal im Stil des Neobarock und ein gesonderter sehr sachlich entworfener Bücherspeicher. Der Einfluss der sächsischen Landeshauptstadt der eigentlich in Dresden tätigen Architekten wurde bei dem recht schlossartigem Entwurf deutlich. Aber gegen das ungefähr 5000 Quadratmeter kleinere erste Grundstück gab es städtebauliche Bedenken. So tat man sich nach einem Bauplatzwechsel um. Selbst am Tag der ersten Grundsteinlegung wurde darüber diskutiert. Schließlich wurde das Gelände an der Straße des 18. Oktober geprüft.
Die Stadt Leipzig stellte 1914 das Grundstück am Deutschen Platz zur Verfügung. Der erste Spatenstich wurde hier am 25.5.1914 getan. Die Neulegung des Grundsteines war am 21.6.1914. Pusch passte die Planung an die Vorgaben von Hans Strobel für die Bebauung Straße des 18. Oktober an. Schon am 27.10.1913 hatte Strobel Grundrisspläne für das Gebäude der Deutschen Bücherei am heutigen Standort vorgelegt. So entstand das erste Gebäude 1914–16 mit einer Höhe von 22 Metern unter Leitung vom Baurat Karl-Julius Baer und dem Architekten Oskar Pusch. Der Bauplatz ist fast 17.000 m² groß, das T-förmig Gebäude bedeckte 4.100 m² Fläche.
Ein Palast für Bücher
Die Hauptfassade zum Deutsche Platz misst 120 Meter Länge und ist leicht gerundet, die Tiefe mit Lesesaal beträgt 63 Meter, die Tiefe der Seitenflügel misst 12–14 Meter. Die Fassade hat Pusch in fünf etwa gleich große Abschnitte streng geometrisch gegliedert.
Er unterteilte in eine Portalzone, zwei Seitenteile mit je acht Fenstern bis zur Magazinebene, zwei Rundtürme mit kupfernen Turmhauben, welche die kleinteilige Fenstergestaltung der Magazingeschosse bis zur ersten Etage führt und den Fassadenabschluss jeweils mit drei großen Dachgauben. Die geometrische Aufteilung der Fenstergestaltung folgt der Regalbreite von 1,56 m in den Magazinen der 4. und 5. Etage mit jeweils vierzehn Fenstern.
Die Portalzone besitzt 9 Dachgauben, die Fassadenseiten je 8 und zum Fassadenabschluss eine abgestufte Dachgestaltung. Die Gestaltungselemente für die Konstruktion fand Pusch in Anlehnung an Renaissance und späten Jugendstil. Durch die nach oben hin immer filigraner wirkende Fenstergestaltung erscheint das Gebäude vom wuchtigen Keller- und Sockelgeschoss mit zunehmender Höhe leichter zu wirken. Verkleidung des Sockelgeschosses erfolgte mit Quadern aus Beuchaer Granit. Vorgelagert ist beidseitig der „Burggraben“, wegen des Tageslichteinfalls für Keller und Sockelgeschoss mit massiven kunstschmiedeeisernen Gittern an den Fenstern nach dem Entwurf von O. Pusch. Ausgeführt durch die Schlossermeister Kayser und Rurack.
Eine reiche Fassadengestaltung
Die Seitenteile besitzen in der 1. Etage Fenstergesimse mit Löwenköpfen, in der 2. Etage Volutengesimse, ab 3. Etage schmucklose Fensterlaibungen. Die beiden Rundtürme treten einige Meter hervor, sie sind mit gewaltigen Kartuschen der zentralen Fenster mit plastischen Löwenköpfen, Füllhörnern, kauernden Frauenfiguren und Gaffköpfen geschmückt. Links das Wappen Sachsens, rechts das des Kaiserreiches.
Zur Portalzone mit drei dunklen Türen und je acht goldfarbenen Gittern an den Glaselementen führt eine zehnstufige Freitreppe. Das Golddekor wird fortgesetzt in den Gittern der Fenster neben und über dem Portal. Zehn säulenartige Pilaster tragen den Sims über der Portalzone. Darauf stehen zehn überlebensgroße Figuren, davon vier als Doppelplastik ausgeführt. Links befindet sich das Wappen der Stadt Leipzig gerahmt von Hermes und einem Wissenschaftler, rechts das Wappen des Börsenvereins mit einem jungen Leser und einem älteren Schriftsteller. Die Einzel-Figuren verkörpern Technik, Kunst, Justiz, Philosophie, Theologie und Medizin. Direkt über den Portaltüren schauen drei Gaffköpfe, Bismarck, Gutenberg, Goethe auf den Deutschen Platz.
Direkt über den Doppelfiguren befinden sich in Höhe der 3. Etage zwei Inschriften aus goldenen Thiemann-Antiqua-Lettern. Freie Stadt … der Reim wurde bei er Grundsteinlegung vorgetragen, rechte Seite, Körper und Stimme … aus Friedrich Schiller: Der Spaziergang, beide ausgewählt aus ca. 130 Vorschlägen. Darüber ein die Verwaltungsräume und die Magazinräume teilendes Gesims. Ab hier beginnen die kleinteiligen Magazinfenster, die sich wie ein Schmuckband in den Rundtürmen nach unten ziehen. Die zwei Torbögen befinden sich zum Abschluss neben den Rundbauten. Das ca. 4 Meter große schmiedeeiserne Ziffernblatt der Uhr von Herrmann Kayser greift wieder die goldenen Gestaltungselemente auf. Rechts und links davon weit sichtbar der Name „Deutsche Bücherei“.
Links und rechts der Portalzone werden die Fenster des 1. Stockwerkes kunstvoll umrahmt und der Sturz mit Löwenköpfen verziert. Das Motiv taucht auch an anderen Stellen des Hauses auf. Die Fenster der 2. Etage sind mit Volutenmotiven gestaltet, ab der 3. Etage bleiben die Fenster schmucklos. Ein Teil der Fassade und der Dachgestaltung wurde beim Luftangriff am 4.12.1943 zerstört, die Dachgauben in diesem Bereich erst in den 1990er-Jahren restauriert.
Bauausführung und Weiterentwicklung
Das Gebäude wurde als Putzbau ausgeführt. Im 1. bis 3. Stockwerk als Ziegelmauerwerk, sonst in Eisenbeton, Gründungen in Beton. Der Sockel aus Granit bis zu den Sohlbänken der ersten Etage. Der plastische Schmuck aus Muschelkalk, die dunklen Gitter waren ursprünglich weiß. Die Fahnenmasten sind aus Eisen mit Pegasus und Greif. Links und rechts gibt es bis an die 2 Etage reichende Tordurchgänge wobei der Blick durch den linken, die 1913 fertiggestellte „Russische Kirche“ im Zentrum zeigt. Auf der Rückseite des Gebäudes waren schon die Kopfbauten für die Bibliothekserweiterung vorgesehen.
Das rückwärtige Bild wurde vom Großen Lesesaal bestimmt, mit seinem 27 Meter langen Balkon. Dahinter das Haupttreppenhaus mit Uhrturm und den damals von außen sichtbaren Greifenfiguren.
Warum die Architektin Gabriele Glöckler im vierten Erweiterungsbau den Kollegen Oskar Pusch zitiert, und wie sie den Blick auf die Russische Kirche gestaltet, erfahren Sie bei einer unseren Architekturführungen. Termine auf dnb.de/veranstaltungleipzig
Peter Kühne
Peter Kühne arbeitet seit 1977 in der Deutschen Nationalbibliothek. Er ist Mitarbeiter in der Abteilung Benutzung und im Dt. Buch- und Schriftmuseum.