Aus den Schatten ins Licht
Spot on – Die Magazine der Deutschen Nationalbibliothek (Frankfurt am Main)
Das Herz der Bibliothek …
Das Herz der Deutschen Nationalbibliothek liegt in ihrer Sammlung von über 50 Millionen Medieneinheiten. Eine Sammlung, die in ihrer Vielfalt einzigartig ist und täglich größer wird.
Sie umfasst Werke in allen denkbaren Erscheinungsformen und auf allen möglichen Datenträgern – physisch als Buch, Hörbuch, DVD, Karte, Zeitschrift, USB-Stick oder digital, als E-Book oder als Netzpublikation, als Online-Aufsatz oder Website. Die Sammlung spiegelt das Geschehen, die Ideen und die Geschichte des Landes seit 1913 und ist eine unerschöpfliche Quelle für Information und Wissenschaft, Kunst, Kultur und Literatur. Nicht umsonst nennen wir die DNB ein „aktives Gedächtnis der Nation“. Nicht zu vergessen gibt es neben der Kernsammlung, den sogenannten Pflichtexemplaren, die die DNB aufgrund der Bestimmungen des Gesetzes über die Deutsche Nationalbibliothek sammelt, auch geschichtlich gewachsene, bedeutende Spezialsammlungen.
In den Jahresberichten der Nationalbibliothek kann man die Entwicklung der Sammlung beobachten – wie unendlich viele digitale Medienwerke hier eingehen! Doch auch Bücher und andere Medienwerke „zum Anfassen“ strömen unvermindert in unsere beiden Häuser.
In dieser Beitragsreihe berichten wir über die Sammlung der physischen Medienwerke, die wir in den Magazinen finden. Denn die eine Herzkammer der DNB pulsiert in riesigen Datenservern – und die andere schlägt in ihren Magazinen.

Foto: Elke Jost-Zell, DNB
… schlägt wild und wunderbar …
Als die schwedische Schriftstellerin Astrid Lindgren die Worte „Lass dich nicht unterkriegen, sei frech und wild und wunderbar!“ schrieb, dachte sie an Kinder, doch einen Hauch dieser Aufforderung finden wir in der Sammlung der DNB wieder. Auch diese ließ sich, trotz ihrer Verluste durch Krieg, Verschleppung und den Zahn der Zeit nicht unterkriegen.
In ihrer kunterbunten Vielfalt ist sie frech und wild und wunderbar, und dies drückt sich auch ganz praktisch aus in der Art ihrer Magazinierung. Ohne eine sachliche oder fachliche Ordnung, nur grob nach Formaten getrennt, stehen die Medienwerke nach dem Prinzip des „Numerus currens“ in endlosen Reihen in riesigen Magazinräumen. Warum wir dies tun? Es ist die einzige Möglichkeit, platzsparend optimal mit den Metallregalen der Kompaktanlage und den abschließbaren Schränken zu haushalten. Jedes Medienwerk erhält nach Eingang ins Magazin eine Signatur, eine Buchnummer mit der Jahresangabe und eine fortlaufenden Nummer, damit wir es auch sicher wiederfinden.

Foto: Elke Jost-Zell, DNB
Hier finden wir einfach alles – da steht der Einband des Fachbuches Kreative Mitarbeiter neben dem Von der Bildung zur Medienbildung, dessen Seiten ihren Regalnachbarn die Geschichte von Familie Grunz auf der Flucht zuflüstern. In einem anderen Regal geht es erst niedlich zu mit der Liebeserklärung an ein kleines Mädchen, dann wird es elementar mit Elementarteilchen küssen besser und Zauberhafte Elementarwesen. Doch zwischen diese beiden hat sich das Gruselbuch The Walking Dead 24 gequetscht.

Foto: Elke Jost-Zell, DNB
An anderer Stelle feiern die bunten Bändchen des Reclam-Verlages, die wir aus der Schulzeit kennen, eine kleine feine Party. Shakespeares König Richard der Dritte lehnt sich an Die Romantische Schule von Heinrich Heine und Hofmannsthals Der Schwierige unternimmt eine Kleine Wanderung in Adalbert Stifters Hochwald. Boethius‘ Trost der Philosophie tröstet sich mit Heinz Erhardts Von der Pampelmuse geküsst und das Wörterbuch English Idioms steht Schulter an Schulter mit dem Wörterbuch Dummdeutsch – was soll man sagen … Manche Medienwerke sind so klein und fragil, dass wir sie in Schachteln aufbewahren, und zum Thema Beigaben zu Büchern gäbe es auch Interessantes und Amüsantes zu erzählen … doch alles zu seiner Zeit.

Foto: Elke Jost-Zell, DNB
Es ist ein eindrucksvoller Anblick – Reihe um Reihe, Regal um Regal, Buch um Buch – scheinbar endlos sind hier Wissen und Weisheit, Schönes wie Schreckliches versammelt, um auf digitalem Weg über unseren Bibliothekskatalog von Nutzer*innen und Bibliothekar*innen gefunden zu werden und analog über eine Buchförderanlage in Lesesäle und Büroräume zu reisen.
… in Leipzig und in Frankfurt …
In Leipzig hört man den Herzschlag der Sammlung seit 1913 in fünf Gebäudeteilen, unter anderem den oberirdischen Magazintürmen. In Frankfurt spürt man ihn seit 1945, seit dem Bibliotheksbau in der Adickesallee 1997 in drei unterirdischen Magazinen, jedes davon ist ungefähr so groß wie ein Fußballfeld. Warum ist die Sammlung einerseits geteilt und andererseits gedoppelt?
Die Geschichte der DNB ist, wie es der berühmte englische Autor Charles Dickens ausdrückte, „Eine Geschichte zweier Städte“. In seiner dramatischen Erzählung sind dies London und Paris während der französischen Revolution. In unserer Geschichte sind es Leipzig und Frankfurt im 20. Jahrhundert.
Deutschland hat aufgrund seiner föderalen Struktur und der Gliederung in Bundesländer, die aus Fürstentümern und Königreichen hervorgegangen sind und seiner turbulenten Geschichte die Idee einer zentralen Nationalbibliothek erst spät realisiert – im Jahr 1912 mit der Gründung der Deutschen Bücherei in Leipzig, der Handels- und Buchmessenmetropole und ehrwürdigen Bücherstadt.
Nach dem 2. Weltkrieg und unter der Besatzung der Siegermächte erwuchs die Notwendigkeit, auch für den westlichen Teil Deutschlands eine Bibliothek mit nationalem Sammelspektrum zu errichten. Dies geschah 1947 mit der Gründung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, ebenfalls in einer bibliophilen Messestadt, die nun alle im Land erscheinenden Bücher ab 1945 sammelte.
1990 fand die historische Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten statt, und auch die Deutsche Bücherei und die Deutsche Bibliothek vereinigten sich. Zuerst nannte sie sich Die Deutsche Bibliothek, da das Wort „national“ noch immer als verbrannt galt, und ab 2006 schließlich und endlich Deutsche Nationalbibliothek. Die beiden Standorte blieben erhalten, die Aufgaben wurden geteilt und je ein Exemplar jedes Medienwerks in beiden Bibliotheken archiviert, für die Nutzung bereitgestellt – und gehütet.
… für alle Zeit
In unserer Beitragsreihe über die Magazine der Deutschen Nationalbibliothek stellen wir Ihnen die Sammlung und die Orte ihrer Aufbewahrung unter sachlichen, fachlichen und praktischen ebenso wie unter fantasievollen und kreativen Gesichtspunkten vor.
Wir holen für Sie die Vielfalt unserer Sammlung aus den Schatten ins Licht.
Elke Jost-Zell
Elke Jost-Zell ist Bibliothekarin, GND-Redakteurin, liebt und bearbeitet Bücher in der Abteilung Inhaltserschließung der Deutschen Nationalbibliothek. Sie spitzt nicht nur für bibliothekarische, sondern auch für kulturelle, literarische und nachhaltige Themen ihre Feder.