Was glauben Sie, ist ein Bilderbogen? Etwas mit Bildern. Ein Plakat? Ein Flugblatt? Ein Guckkastenbild? Oder vielleicht ein Abreißblock? Bilderbogen können in diesen Formen auftreten oder ihnen ähneln – und manchmal verschwimmen die Grenzen. Die geläufigste Definition lautet: Bilderbogen sind „einseitige mit einem Bild oder einer Bildfolge und zumeist auch mit Texten abgedruckte Blätter…“1.
Bilderbogen entwickelten sich als populäre Druckgrafiken mit dem Aufkommen von Drucktechniken wie Holzschnitt, Kupferstich oder Lithografie zu Massenmedien der Frühen Neuzeit. Ihre Motivvielfalt reicht von Andachtsbildern, Papiertheaterkulissen über Aktualitäts- und Ausschneidebogen bis hin zu Spielplänen, seriellen Bildfolgen und Guckkastenbildern. Für Jung und Alt und jeden Geschmack ist etwas dabei – vor allem aber für jeden Geldbeutel.
Bilderbogen „Gen: Feldmarschall Frimont“. Signatur: Sammlung Vogel 1989/Bl. 179. Foto: Lena NeußSerieller Bilderbogen „Les Vacances de Louise et de Lucie“. Signatur: GS 1985/Bl. 151. Foto: Lena Neuß
„Die Entstehung des Bilderbogens fällt in die Zeit der Erfindung des Holzschnittes [im 15. Jahrhundert], denn dieser ermöglichte erstmals die Vervielfältigung und Verbreitung von Bildmotiven in weiteren Kreisen. War zuvor der Bildkonsum weitgehend auf Adel und Klerus beschränkt, so verlor nun die Grafik ihren elitären Charakter und konnte auch von weniger bemittelten Bevölkerungsschichten konsumiert werden.“2
Papiertheaterkulisse „Salon (Fond)“. Signatur: GS 1990/Bl. 1163. Foto: Lena Neuß
Bilderbogen im Bestand des Buchmuseums
Verglichen mit der Blattsammlung des Börsenvereins mit 9.000 Objekten oder der Exlibris-Sammlung mit mehreren Tausend Motiven erscheint die Bilderbogensammlung mit mehreren Hundert, vielleicht auch Tausend Blatt recht klein. Wie viele es genau sind, wird man es erst wissen, wenn alle Bilderbogen erschlossen sind.
Warum die Anzahl der Bilderbogen im Bestand nur geschätzt werden kann, liegt unter anderem daran, dass viele der Bilderbogen im Museumsbestand vor der Einführung der elektronischen Katalogisierung erfasst wurden und bislang nur in Zettelkatalogen verzeichnet sind. Das bedeutet auch, dass sie (noch) nicht über den Online-Katalog der DNB recherchiert werden können.
Bilderbogen Zettelkasten. Foto: DNB, Julia Rinck
Ziel der Erschließung
Damit Nutzer*innen weltweit auf die Daten im Online-Katalog der Deutschen Nationalbibliothek zugreifen können, müssen die Bilderbogen mit der Katalogisierungssoftware WinIBW erschlossen werden. Ziel des Projekts Erschließung historischer Bilderbogen ist jedoch nicht das bloße Übertragen der Zettelkarten in den Online-Katalog (Retrokatalogisierung), sondern eine umfassende Erschließung ihrer Form und ihres Inhalts. Dazu ist es notwendig, die Objekte einer genauen Betrachtung zu unterzeihen (Autopsie).
Eine der Herausforderungen dieser Aufgabe besteht darin, den Anforderungen der musealen Objektbeschreibung gerecht zu werden und gleichzeitig mit Kategorien eines Bibliothekssystems in Einklang zu bringen.
Mein Projektpraktikum
Und hier komme ich ins Spiel. Im Rahmen meines Masterstudiums der Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der HTWK Leipzig absolvierte ich ein vierwöchiges Praktikum, das von Kolleginnen der Deutschen Nationalbibliothek aus der Abteilung Inhalterschließung und des Deutschen Buch- und Schriftmuseums kooperativ betreut wurde.
Bilderbogen Lupe. Foto: DNB, Julia Rinck
Meine Aufgabe war es, gemeinsam mit den Kolleginnen der Nationalbibliothek eine Grundlage für die Erschließung der Bilderbogen zu entwickeln. Das heißt: Datensatzvorlagen erstellen, Recherchemöglichkeiten etablieren, viele Fragen stellen und Antworten zusammentragen, Fehler machen und Lösungen finden und natürlich Bilderbogen erschließen.
Wie sieht der Erschließungsprozess aus?
Der erste Weg geht ins Magazin, wo die Bilderbogen in Archivkartons lagern. Dort werden die Objekte gesichtet und diejenigen Bilderbogen ausgewählt, die als nächstes erschlossen werden sollen.
Am Arbeitsplatz notiere ich, was ich dem Bilderbogen auf den ersten Blick entnehmen kann. Das sind: der Titel, das Dargestellte, die Sprache, in der das Objekt vorliegt, die Namen von Personen oder Körperschaften, der Entstehungsort, eventuell die Künstler*innen bzw. Hersteller*innen sowie die Nummer des Bilderbogens. Ist der Bilderbogen koloriert, versuche ich zu bestimmen, ob dies von Hand oder mit Hilfe von Schablonen geschah.
Beispiel für eine Schablonenkolorierung. „Pantins, Jocrisse & Cassandre : Danseurs Indiens“. Signatur: GS 1985/Bl.152. Foto: DNB, Julia RinckBeispiel für ein handkoloriertes Exemplar „Auf das Erndtkranzjahr 1847“. Signatur: Sammlung Vogel. Foto: DNB, Julia Rinck
Danach fotografiere und vermesse ich das Objekt. Dabei verzeichne ich die Größe des Papiers und des bedruckten Bereichs. Sofern – bei Tiefdrucktechniken wie dem Kupferstich oder der Radierung – ein Abdruck der Druckplatte vorhanden ist, nehme ich auch diese Maße auf.
Als nächstes untersuche ich das Papier: Ist es handgeschöpft oder maschinell gefertigt, ein geripptes oder ungeripptes Papier? Hat es Wasserzeichen? Auch Schäden wie Risse oder Wasserflecken sowie Restaurierungsmaßnahmen werden notiert. Ein Blick auf die Rückseite des Objektes lohnt sich, denn dort befinden sich oft Notizen, die bei der Ermittlung der Drucktechnik, des Künstlers, der Künstlerin oder der zeitlichen Einordnung helfen können.
Notiz auf der Rückseite des Bilderbogens „Auf das Erndtekranzjahr 1847“. Signatur: Sammlung Vogel 1989/Bl. 182. Foto: Lena Neuß
Neben der Datierung (und der Frage, ob nun Johann Trautner der Jüngere oder Johann Trautner der Ältere der Verleger ist), ist die Bestimmung der verwendeten Drucktechnik am schwierigsten. Es gibt verschiedene Hinweise, die für bestimmte Techniken charakteristisch sind: grobe Schraffuren (Kreidelithografie), feine Linien mit öligem Aussehen (Federlithografie), Quetschränder (Hochdruck, z.B. Holzschnitt). Trotzdem bleibt die Bestimmung der Drucktechnik oft eine Herausforderung.
Beispiel für eine Kreidelithografie „Der verlohrene Sohn in Verzweiflung“. Signatur GS 1969/Bl.38. Foto: Lena Neuß
Sind alle Daten zusammengetragen, das Abgebildete beschrieben, der Text (soweit vorhanden) zitiert, Schlagworte vergeben und Sachgruppen bestimmt, wird alles in das Bibliothekssystem übertragen. Der Datensatz ist sofort im Online-Katalog der DNB sichtbar und recherchierbar.
Guckkastenbild „Der Arnoplatz in Florenz“. Signatur: GS 1971/Bl. 141. Foto Lena NeußDatensatz zu „Der Arnoplatz in Florenz“. Foto: DNB
Nachdem die Bilderbogen erschlossen sind, werden sie in die Restaurierungswerkstatt gebracht – manchmal geschieht das auch zuvor – und anschließend digitalisiert.
Resümee
Als ich mit diesem Projekt begann, wusste ich noch nicht, wie viele Spielarten des Bilderbogens existieren. Ich hätte nie gedacht, dass ich zu historischen Würfelspielen recherchieren, mit Hilfe von Google Maps Sehenswürdigkeiten bestimmen oder feststellen würde, dass Johann einer der beliebtesten Namen des 18. Jahrhunderts war und dass mir genau das einiges an Kopfzerbrechen bescheren würde.
Bilderbogen sind Spiegel des historischen Zeitgeschehens. Sie bilden die Interessen der damaligen Bevölkerung ab und ermöglichen Einblicke in ihren Alltag. Ihre Erschließung ist nicht immer einfach, in der Regel rechercheintensiv, aber nie langweilig. In meinem Praktikum erschloss ich nur eine Bruchteil der Bilderbogen der DNB – eine Vielzahl wartet noch immer darauf erschlossen zu werden.
Die Grundlage für die Erschließung der Bilderbogen ist gelegt. Was noch fehlt sind Praktikant*innen aus der Bibliothekswissenschaft, die ein besonderes Interesse für die Erschließung historischer Objekte mitbringen. Wenn du Spaß daran hast, Neues zu lernen, auf Spurensuche zu gehen, Bilder beschreiben kannst und etwas zur Bilderbogenforschung beitragen möchtest, wäre dieses Projekt vielleicht auch das perfekte Praktikum für dich. (Kommentar Lena Neuß)
Lena Neuß
Lena Neuß studierte im Bachelor Germanistik und Kunst, Medien und kulturelle Bildung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und ist derzeit Studentin im Masterstudiengang Bibliotheks- und Informationswirtschaft an der HTWK Leipzig.
Schul der Rechtenden. Signatur: GS_1970_Bl_4. Foto: Lena NeußLes joux de l´enfance. Signatur: GS_1983_Bl_152. Foto: Lena NeußAlbert Jelachich von Buzim. Signatur: Sammlung Vogel_1989_Bl_183. Foto: Lena Neuß
Praktikant*innen willkommen!
Studierende, die Interesse an einem Praktikum zur Erschließung dieses spannenden historischen Bestandes haben, können sich gern an die Kuratorin der Grafischen Sammlung Julia Rinck wenden: j.rinck@dnb.de.
Julia Rinck
Julia Rinck ist Kuratorin der Grafischen Sammlung und der Buntpapiersammlung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum.
Stiftung Stadtmuseum Berlin: Die große Welt in kleinen Bildern. Berliner Bilderbogen aus zwei Jahrhunderten. Berlin: Stiftung Stadtmuseum, 1999. S. 11. ↩︎
Ulrike Eichler: Münchner Bilderbogen. Oberbayerisches Archiv, Bd. 99. München: Verlag des Historischen Vereins von Oberbayern, 1974. S. IX. ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: Lena Neuß
Liebe Lea,wie Du mit deine eigene Wörtern Alles erklärt hast finde ich Toll und sehr schön, verständlich, weiter so!! İch wünsche Dir Alles Gute und viel Spass und Freude
Ein wunderschöner Beitrag, mit viel Liebe zum Detail geschrieben – beeindruckend und inspirierend!
Liebe Lea,wie Du mit deine eigene Wörtern Alles erklärt hast finde ich Toll und sehr schön, verständlich, weiter so!! İch wünsche Dir Alles Gute und viel Spass und Freude
Liebe Lea. Großartig!!! Wie Du es erklärt hast.Ich bin fasziniert. Weiterhin alles Gute für Dein Studium. Mit liebem Gruß aus Hofheim Renate Tachezy