Lob des Wettbewerbs. Buchkunststiftungen

24. September 2024
von Stephanie Jacobs
Ansicht eines hohen Raumes, in dem Vitrinen stehen und Bilderrahmen an den Wänden hängen.
Ansicht der IBA-Austellung, Hauptsaal der deutschen Abteilung. Fotoatelier Heinrich Kirchhhoff, Leipzig 1927. / Repro: DNB

Eine besondere Bedeutung für die Überlieferungsgeschichte von Kulturgut haben Archive von Wettbewerben. Denn mit der Auswahl und Bewertung durch eine Wettbewerbsjury haben die Bestandsgruppen bereits eine Qualitätskontrolle durchlaufen, die externen Kriterien gehorcht und nicht allein der institutionellen Binnensicht mit ihren Erwerbungstraditionen und Desideratenlisten. Bestandszuwächse, die aus regelmäßig stattfindenden Wettbewerben hervorgehen, lassen sich daher auch als Spiegel gesellschaftlich-kultureller Anforderungen verstehen. Das gilt umso mehr, wenn sich ein Wettbewerb (wenn auch mit Unterbrechungen) über einen Zeitraum von fast 100 Jahren erstreckt und die regelmäßigen Einsendungen von Wettbewerbsbeiträgen selbst eine historische Betrachtung lohnen. Im Folgenden geht es um die Ende der 1920er Jahre begründete Deutsche Buchkunststiftung, als deren Nachfolgeinstitution, die Stiftung Buchkunst, ihre gesamten Wettbewerbseinsendungen, national und international, bis heute dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum übereignet. Ihr Thema: die Buchkunst und das gute Gebrauchsbuch.   

Bücher als Gesamtkunstwerke

Kurz zum kulturgeschichtlichen Kontext der Buchkunst: Angeregt durch die Kelmscott-Press des englischen Sozialisten William Morris (1834–1896)  faßt gegen Ende des 19. Jahrunderts auch in Deutschland eine Bewegung Fuß, die sich der Gestaltung von Büchern als Gesamtkunstwerke widmet, um angesichts der industriell hergestellten Massendruckschriften für das gut gestaltete Buch zu werben. Ein Zentrum dieser Reformbewegung für die Buchkunst ist um die Jahrhundertwende die Buchstadt Leipzig – 1914 auch Austragungsort der ersten (und letzten) Weltausstellung des Buches1, auf der die Buchkunst eine bedeutende Rolle spielt.

Als 1927 auf Initiative des „Vereins Deutsche Buchkünstler“ und unter Leitung von Hugo Steiner-Prag (1880–1945) die erste Internationale Buchkunstausstellung (IBA) in Leipzig stattfindet, ist der Grundstein für die aus Mitteln des sächsischen Staates und der Stadt Leipzig ins Leben gerufenen „Buchkunststiftung Leipzig“ gelegt. Sie erwirbt kostbare Drucke und Einbände von der IBA, welche ein Jahr später in der Abteilung Künstlerische Drucke in der Deutschen Bücherei aufgestellt werden – der Anfang einer Sammlung, die bis heute ein Rückgrat der Museumsbestände darstellt und heutzutage wieder eine gestiegene Nachfrage genießt.

Die Deutsche Buchkunststiftung

Zwei Jahre nach der IBA wird mit Unterstützung durch das Reichsministerium des Inneren die Deutsche Buchkunststiftung gegründet, deren Geschäftsführung der Deutschen Bücherei übertragen wird.2 Im Vorstand der Stiftung agieren mit Walter Tiemann, Hugo Steiner-Prag, Emil Rudolf Weiß oder Carl Ernst Poeschel die großen Namen der Buchkunstbewegung in Deutschland. Ihr Zweck: der Aufbau eines zentralen Archivs der Buchkunst, für das sich Heinrich Uhlendahl, Generaldirektor der Deutschen Bücherei, sehr stark einsetzt, um den Aufgabenbereich der Deutschen Bücherei auszuweiten und deren gesellschaftliches und kulturelles Ansehen zu stärken.

Die schönsten Bücher des Jahres

In Pappe eingeschlagene Buchrücken in einem Magazinregal.
IBA, Aufstellung einiger Titel im Magazin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums / Foto: DNB / Christine Hartmann

1930 installiert die Deutsche Buchkunststiftung in Leipzig auf Anregung des Schriftgestalters und Typografen Karl Klingspor den ersten deutschen Wettbewerb „Die 50 schönsten deutschen Bücher des Jahres“, nachdem ähnliche Wettbewerbe bereits in den USA (1924), den Niederlanden (1926), der damaligen Tschechoslowakei und England (jeweils 1928) eingerichtet wurden. Den Zweck dieses Wettbewerbs verfolgt die Stiftung Buchkunst bis heute, indem sie auf das gute Gebrauchsbuch, nicht aber die sogenannte bibliophile Kostbarkeit zielt. Neben dem nationalen etabliert sich in Leipzig unter dem Titel „Schönste Bücher aus aller Welt“ auch ein internationaler Wettbewerb, der bereits 1927 erstmals stattfindet und dessen Bestand den Zweiten Weltkrieg in der Deutschen Bücherei überdauert.

1933 machen die Nationalsozialisten sowohl dem Wettbewerb als auch den Internationalen Buchkunstausstellungen den Garaus, Beteiligte werden ihrer Ämter enthoben und ins Exil gezwungen. Die Regierung löst 1945 die Deutsche Buchkunststiftung auf. Nach dem Krieg setzen sich die Börsenvereine zu Leipzig und zu Frankfurt am Main für eine Wiederaufnahme der Wettbewerbe ein. Ein für 1948 geplanter erster gesamtdeutscher Wettbewerb scheitert an Einschränkungen im Waren- und Postverkehr, Reiseschwierigkeiten für die Jurymitglieder und an den viel zu wenigen Wettbewerbsbeiträgen. Die politische Großwetterlage setzt auf Abgrenzung: Im Westen werden die „Schönsten Bücher“ ab 1951 wieder prämiert, ein Jahr später auch in der DDR, ein gesamtdeutscher Wettbewerb rückt damit in unerreichbare Ferne.3

Nachkriegsausgabe der IBA

Die 1952 wieder begründete Buchkunststiftung wird in die „Sozialstiftung des Bezirkes Leipzig“ integriert, 1957 gehen Archiv und Bestände der Stiftung in den Besitz der Deutschen Bücherei über und werden innerhalb der Sammlung Künstlerische Drucke an das 1950 in die Deutsche Bücherei integrierte Deutsche Buch- und Schriftmuseum übergeben. 1959 findet die erste Nachkriegsausgabe der IBA statt – im selben Jahr, in dem die Stadt Leipzig erstmals den Gutenberg-Preis auslobt. Der Wettbewerb ist geprägt von der sozialistischen Gesellschaftsordnung („sozialistisches Verständnis der Buchkultur“, „Literaturpropaganda“, „gezielte Kulturpolitik“, „Völkerverständigung und Frieden“…). Die IBA findet, veranstaltet durch den Börsenverein der Deutschen Buchhändler und die Stadt Leipzig, noch fünfmal statt; die letzte Ausstellung schließt am 11. Juni 1989 ihre Tore. Zwischen den Internationalen Ausstellungen findet ab 1963 jährlich die Ausstellung „Schönste Bücher aus aller Welt“ in Leipzig statt.

Auf einem gelblichen alten Buch liegt ein geschlossenes Buch.
Ford Madox Ford, New Poems, New York 1927; Robert Louis Stevenson, Monmouth, New York 1928 / Foto: DNB / Christine Hartmann

In der Bundesrepublik macht sich nach Kriegsende der Hamburger Verleger und Antiquar Ernst Hauswedell für die Wideraufnahme des Wettbewerbs „Schönste Bücher“ stark. Im April 1952 übernimmt der Börsenverein die Federführung, 1960 richtet analog zur Deutschen Bücherei in Leipzig Die Deutsche Bibliothek in Frankfurt am Main unter der Leitung von Georg Kurt Schauer eine eigene Abteilung für Buchkunst ein. Die Gründung der Stiftung Buckunst professionalisiert den Wettbewerb. 1968 wird der Typograph Hans Peter Willberg Geschäftstführer der Stiftung.

Die Diskussionen um den Titel des Wettbewerbes (der Begriff „schönste“ sei zu absolut, „deutsche“ insofern nicht richtig, da Bücher aus der DDR aus politischen Gründen nicht am Wettbewerb teilnahmen) führen 1970 zur Namensänderung nach angelsächsischem Vorbild: „Die fünfzig Bücher. Bundesrepublik Deutschland“. Ab 1980 entscheidet sich die Stiftung wieder für die alte Benennung „Die schönsten Bücher der Bundesrepublik Deutschland“.

Steigende Nachfrage

Bereits 1990 veranstaltet die Stiftung Buchkunst den ersten gesamtdeutschen Wettbewerb, ein Jahr später nimmt die Stiftung auch den Faden zum internationalen Wettbewerb wieder auf. 1993 schließlich vereinbaren Die Deutsche Bibliothek und die Stiftung Buchkunst, die internationalen Einreichungen dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum als Schenkung zu übergeben – die Rolle des Museums als Zentralarchiv für die internationale Buchkunst bekommt eine vertraglich abgesicherte Perspektiv. Die Sammlung, die 1927 mit der Übernahme kostbarer Einbände, Zeichnungen sowie grafischer Blätter und Studien aus der IBA begann und bis 1938 auf immerhin 1.228 Objekte anwächst, beinhaltet heute ca. 26.000 Medieneinheiten und wächst jährlich um ca. 500 bis 600 Bücher.

Aufgeklapptes Buch mit Text auf einer und einem Fuß in Wollsocken, der auf Nudelteig in einer Plastiktüte tritt auf der anderen Seite.
2021: Shinroku Shimokawa, Man kann keine Steine essen. Kochbuch eines japanischen Bildhauers, ausgezeichnet mit „Preis der Stiftung Buchkunst“, 2021 / Foto: DNB / Christine Hartmann

Die Bestände aus der Provenienz Stiftung Buchkunst und ihrer Vorgängerinstitutionen bilden einen Nucleus der musealen Sammlungen. Sie erfreuen sich in den vergangenen Jahren einer steigenden Nachfrage durch die Forschung. Das hat sicherlich nicht zuletzt damit zu tun, dass gerade in Zeiten der ubiquitären Verfügbarkeit digitaler Texte das lese-ergonomisch konzipierte und gut gestaltete Gebrauchsbuch eine Renaissance erlebt: Nach den von Digitaleuphorie und „one fits all“ geprägten Jahren scheint sich das Verhältnis von gedrucktem und digitalem Text zu stabilisieren; die unterschiedlichen Lektürebedarfe werden vermehrt auch wieder aus der Perspektive von Lesepsychologie, Verhaltensforschung und sinnlichen Kriterien betrachtet. Die in fast 100 Jahren zusammengetragenen Bestände der Buchkunststiftungen bilden einen einmaligen Fundus für die Forschung – von der Leseforschung über die Geschichte von Typographie und Design bis hin zur soziologischen Betrachtungen von Lektürebedarfen und technischen Umsetzungsszenarien.

Dieser Beitrag ist ein Kapitel aus der Publikation „Tiefenbohrung. Eine andere Provenienzgeschichte“. Infos zum Gesamtprojekt zur Provenienzgeschichte des Deutschen Buch- und Schriftmuseums sind hier zu finden: dnb.de/tiefenbohrung.

Stephanie Jacobs

Dr. Stephanie Jacobs ist Leiterin des Deutschen Buch- und Schriftmuseums.


  1. Weltkultur und Weltkrieg – Bugra in Leipzig – blog.dnb.de ↩︎
  2. Vgl. Dietrich, Dieter: Die Deutsche Buchkunstsstiftung 1927-1957. Ein Beitrag zur Buch- und Stiftungsgeschichte. In: Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte, Bd. 8, 1998, S. 135-163, hier: S. 140-142. ↩︎
  3. Zur Geschichte der Stiftung Buchkunst vgl. Kahlefendt, Niels: Die Stiftung Buchkunst und der jährliche Wettbewerb „Die schönsten deutschen Bücher“. Frankfurt am Main, Leipzig 1999, hier: S. 20-24. ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Repro: DNB

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