Das Unendliche in einem Schilfrohr

24. Oktober 2022
von Elke Jost-Zell

Eine Nachlese zur Frankfurter Buchmesse 2022

Gastland Spanien auf der Buchmesse
Eine spanische Papierwand im Pavillon des Gastlandes Spanien
Foto: Elke Jost-Zell

Endlich wieder Buchmesse! Die herbstlichen Tage in Frankfurt am Main sind eine Zeit, in der das Herz jedes Büchermenschen höherschlägt. Die Blätter der Ahornbäume auf der Agora verwandeln sich in kleine Herbstfeuer, manche Messegäste flanieren im Sonnenlicht, viele eilen geschäftig zickzack querfeldein und –aus von einer Messehalle zum Forum, zum Pavillon und in die nächste Halle. Literaturfreunde und Literaturverkäufer, oft in einer Person.

Ein riesiges Banner an Halle 3 ermuntert: „Wer Bücher liebt, kauft in der Buchhandlung.“ Ja, wir lieben Bücher.

Papyrus und Diogenes

Das Forum steht in diesem Jahr ganz unter der Sonne des Gastlands Spanien, und ein spanisches Buch ist es, das mich, als ich es in einer Buchhandlung (!) sah, sofort in seinen Bann zog. Papyrus heißt das 745 Seiten starke Werk und es handelt von Büchern, von Büchersammlern, Bibliotheksgründern, Bücherjägern in der Antike bis zum alten Rom. Natürlich musste ich es kaufen!

Als ich erfuhr, dass der exquisite Schweizer Verlag Diogenes, der dieses Buch in der deutschsprachigen Ausgabe verlegt, seine Autorin Irene Vallejo zu einer Veranstaltung im Pavillon eingeladen hatten, um den 70-jährigen Verlagsgeburtstag zu feiern, war ich dabei! Nicht nur sie hatte der Verleger Philipp Keel zu dem Panel geladen, auch andere hochkarätige Autor*innen wie Donna Leon, Ingrid Noll, Benedict Wells, Andrej Kurkow, Shelly Kupferberg, Stefanie vor Schulte und Solomonica de Winter. Es entspann sich eine geistreiche Unterhaltung, moderiert von Literaturjournalist Denis Scheck.

Eine Freundin der Antike

Irene Vallejo, Literaturwissenschaftlerin und u.a. Preisträgerin des Literaturpreises Premio Nacional de Ensayo, saß auf der kleinen Empore, in einem spanischroten Kleid mit passenden Schuhen, und erzählte von ihrer Begeisterung für die arbeitsintensive deutsche Übersetzung ihres Buches durch Maria Meinel und Luis Ruby („Übersetzer sind unbesungene Helden!“) und die Tatsache, dass ihr Buch in einem Verlag namens Diogenes („ein griechischer Name!“) publiziert wurde. Sie sei „privilegiert, hier auf der Buchmesse zu sein“, ihre wildesten Träume wurden wahr, und sie selbst ein Teil der Diogenes-Familie, „einer Gruppe von Menschen, die noch immer an den Wert der Bücher und der Literatur glauben.“ Und dann kam sie zu ihrem liebsten Thema, der Antike. Zu Alexander dem Großen, dem Welteneroberer, der ~im Jahr 331 v. Chr. die Stadt Alexandria gegründet hatte. Er habe „eine globale Perspektive der Welt entwickelt“, und mit der berühmten Bibliothek von Alexandria, auch wenn sie im Nebel der Zeit verschwand, ein bleibendes Erbe hinterlassen: die Idee der Universalbibliothek. Alles Wissen der Welt an einem Ort, für alle Zeit. Ein Ziel, das seine Nachfolger, die Ptolemäer-Könige, zur Blüte brachten, wenn auch nicht immer mit legalen Mitteln … aber davon erzählt das Buch, ebenso wissenschaftlich fundiert wie unterhaltsam. Wir, die Autor*innen, Verleger*innen, Buchhändler*innen, Bibliothekar*innen und Übersetzer*innen, sind die jüngsten Erben dieser Idee. Denn Bücher, so Señora Vallejo, sind Zeitmaschinen, Artefakte, in denen wir zu Menschen anderer Zeiten sprechen, ein Sieg über das Vergessen und die Zerstörung.

Diogenes im Pavillon der Buchmesse
„Lesen ist immer eine gute Idee“ – der Diogenes-Verlag weiß auch nach 70 Jahren, worauf es ankommt
Foto: Elke Jost-Zell

Wie schreiben?

Und was sagten die Diogenes-Autor*innen auf Schecks Frage nach dem Handwerkszeug, das man zum Schreiben braucht?

„Kind sein“, meinte Benedict Wells, der nach eigener Aussage so schreibt, wie ein Kind über die Wiese rennt, „und jedes Buch braucht seine eigene Tinte!“

Ingrid Noll glaubt an „Fleiß, Fantasie, Humor und ein bildhaftes Gedächtnis.“

„Vorstellungskraft, Wahnsinn und unbedingte Loyalität diesem Wahnsinn gegenüber“, braucht Solomonica de Winter und Donna Leon gab zu bedenken, dass die Figuren eines Buches die Zuneigung de* Leser*in gewinnen müssen, denn „Schreiben ist Verführung!“

Einig waren sich alle, dass eines nicht fehlen darf: „harte Arbeit“ und man sich dabei etwas Anderes auf keinen Fall aneignen sollte: „eine dicke Haut, sonst ist man nicht durchlässig.“

Ein bisschen Unendlichkeit

Der poetische Originaltitel von Irene Vallejos Buch lautet El infinito en un Junco, das Unendliche in einem Schilfrohr, und erinnert an eine Zeit, als Bücher per Hand auf Papyrus geschrieben wurden, nicht nur für ein flüchtiges Leseabenteuer, sondern in der Hoffnung auf Ewigkeit. Ganz im Sinne Alexanders des Großen, der Ptolemäer und der Universalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Elke Jost-Zell

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