„Von Verlust und Zuflucht. Exil“

26. August 2023
von Dr. Sylvia Asmus

Ein Abend im Schloss Bellevue

Am 23.8.2023 gab es im Schloss Bellevue in Berlin eine besondere Veranstaltung. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte zu einem Kulturabend eingeladen, bei dem das Thema Exil im Fokus stand.

„Die Heimat verlassen zu müssen ist ein uraltes Trauma der Menschheit – und in jedem einzelnen Schicksal kehrt es wieder. Ins Exil gehen zu müssen, das rührt immer an die Wurzeln jeder Existenz, nicht nur der künstlerischen, vielmehr an den innersten Kern jedes Lebens“, formulierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Einführung und er zitierte aus dem Gedicht der Schriftstellerin Mascha Kaleko, die in New York Zuflucht gefunden hatte.

Mascha Kaleko: „Sozusagen ein Mailied“, 1938

Manchmal, mitten in jenen Nächten,
Die ein jeglicher von uns kennt,
Wartend auf den Schlaf des Gerechten,
Wie man ihn seltsamerweise nennt,
Denke ich an den Rhein und die Elbe,
Und kleiner, aber meiner, die Spree.
Und immer wieder ist es das selbe:
Das Denken tut verteufelt weh.

Manchmal, mitten im freien Manhattan,
Unterwegs auf der Jagd nach dem Glück,
Hör ich auf einmal das Rasseln von Ketten.
Und das bringt mich wieder auf Preussen zurück.
Ob dort die Vögel zu singen wagen?
Gibts das noch: Werder im Blütenschnee …
Wie mag die Havel das alles ertragen,
Und was sagt der alte Grunewaldsee?

Manchmal, angesichts neuer Bekanntschaft
Mit üppiger Flora, – glad to see –
Sehnt sichs in mir nach magerer Landschaft,
Sandiger Kiefer, weiss nicht wie.
Was wissen Primeln und Geranien
Von Rassenkunde und Medizin …
Ob Ecke Uhland die Kastanien
Wohl blühn?

Dank

Der Bundespräsident dankte der Akademie der Künste, dem Deutschen Exilarchiv der Deutschen Nationalbibliothek, dem internationalen ICORN-Programm, der Körber-Stiftung, der Martin-Roth-Initiative, der Stiftung Exilmuseum Berlin und dem „Writers in Exile“-Programm des PEN-Zentrums Deutschland für die wertvolle Arbeit. Er dankte dafür, dass diese Institutionen sich dafür „stark machen, dass verfolgte Schriftstellerinnen, Künstler und Intellektuelle nicht vergessen werden, sondern, wenn immer möglich, Hilfe, Zuflucht und Schutz finden“. Die Rede des Bundespräsidenten ist hier nachzulesen.

Bundespräsident Steinmeier am 23.8.2023
im Schloss Bellevue, Foto: Sylvia Asmus

Das Programm des Abends

Die Veranstaltung begann mit einem Ausschnitt aus dem Film „Auslegung der Wirklichkeit“ über den großartigen Schriftsteller, Fernsehjournalisten, Drehbuchautor und Dokumentarfilmer Georg Stefan Troller. Troller, der 1921 in Wien geboren wurde und 1938 über die Tschechoslowakei nach Frankreich floh, spricht in diesem Film mit der Regisseurin Ruth Rieser über seine Arbeit und sein Leben. Jeder Satz stimmt nachdenklich und bereichert.

Auf den Filmausschnitt folgten bewegende Wortbeiträge. Es sprachen die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, der Schriftsteller, Philosoph und Theologe Senthuran Varatharajah, der Schriftsteller Yassin al-Haj Saleh, die Schriftstellerin Aslı Erdoğan und die Essayistin und Übersetzerin Kateryna Mishchenko. Aus unterschiedlichen Perspektiven wurde das Thema Exil beleuchtet. Aslı Erdoğan beschrieb das Exil als „Festhängen in einem Dazwischen“, als „allmähliches Untergehen“. Yassin al-Haj Saleh machte deutlich, dass man nicht „unter eigenen Bedingungen ins Exil gehe“, dass man „mit dem Exil dynamisch umgehen“ und „im Exil eine Heimat finden“ müsse. Heimat sei allerdings ein schwieriges Wort. Herta Müller blickte auf das Exil aus der nationalsozialistischen Diktatur und erinnerte insbesondere an die Dichterin Nelly Sachs.

Die Sängerin, Pianistin, Dirigentin und Komponistin Cymin Samawatie und die Klarinettistin und Komponistin Mona Matbou Riahi gestalteten den Abend in besonderer Weise musikalisch.

Was sagt uns dieser Abend?

Dass der Bundespräsident dem Exil einen ganzen Abend widmete, ist ein gutes Signal. Es macht einmal mehr deutlich, dass Exil kein rein historisches Thema ist. Wir verstehen umso besser, was es bedeutet, ins Exil gehen zu müssen, je intensiver wir uns mit der Geschichte beschäftigen und je genauer wir denjenigen zuhören, die heute im Exil leben.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB/Sylvia Asmus

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