Der Nachlass Frederic W. Nielsen im DEA (1/3)

21. Juli 2023
von Dr. Linda Wiesner

Momentan wird der Nachlass des Schriftstellers, Rezitators und Entwicklers – um nur einige seiner Professionen zu nennen – Frederic W. Nielsen (1903–1996) erschlossen. Der umfangreiche Nachlass Nielsens befindet sich entsprechend seines Wunsches seit 1998 im Deutschen Exilarchiv 1933–1945. In den kommenden Wochen werden an dieser Stelle in drei Beiträgen Aspekte seines wechselvollen Lebens anhand von Dokumenten und Objekten aus seinem Nachlass beleuchtet sowie die Arbeitsschritte der Erschließung vorgestellt.

„Ausgerechnet an einem Freitag, den 13.“Frederic W. Nielsens Emigration im Oktober 1933

Frederic W. Nielsen, 1960er Jahre. Nachlass Frederic W. Nielsen – NL 139-EB 98/332. Quelle: Deutsches Exilarchiv 1933-1945

Als Frederic W. Nielsen – wie er in seinem autobiographischen Rückblick Emigrant für Deutschland (1977) schreibt – am 13. Oktober 1933 Deutschland verlässt, heißt er noch Friedrich Wallensteiner. Die letzten Jahre hatte er als Schauspiel- und Regieschüler am Max Reinhardt-Seminar in Berlin verbracht. Anschließend war es ihm gelungen, das Vorsprechen für einen der wenigen und begehrten Plätze in einem Begabtenstudio erfolgreich zu meistern. Durch die Aufnahme in ein solches, durch den Berliner Bühnennachweis betriebenes Studio erhielt er nun die Möglichkeit, in den Aufführungen Theateragenten auf sich aufmerksam zu machen und so ein Engagement zu erhalten.

Mit der Emigration war diese Karriere vorbei, bevor sie angefangen hatte. Doch für Wallensteiner war es unmöglich geworden, unter den aktuellen politischen Gegebenheiten in Deutschland zu bleiben und so emigrierte er, wie er schreibt, an einem Freitag, den 13., ohne direkte Bedrohung. Über diese Entscheidung schreibt er:

Ich selbst hatte monatelang das politische Geschehen beobachtet und in der Erwartung gelebt, daß die Westmächte die für den Frieden Europas drohende Gefahr erkennen und dementsprechend handeln würden […] Als aber monatelang nichts geschah, als Hitler seine ersten angeblich unblutigen Siege zu erringen begann, reifte in mir, wenn auch zögernd, ein Entschluß. Im Herbst 1933, gerade dreißig Jahre alt geworden, wählte ich mit einer finanziellen Starthilfe meiner Wahltante Fanny Kreidler (der Frau des Gründers der weltbekannten Metallwerke in Zuffenhausen) den Weg in die materielle Unsicherheit, in die Emigration – obwohl ich nie einer Partei angehört hatte und obwohl auch ich, dem Beispiel allzuvieler Landsleute folgend, den Mund hätte halten, das Denken verlernen und mein Gewissen mit nationalistischen Phrasen betäuben können.

Frederic W. Nielsen: Emigrant für Deutschland in der Tschechoslowakei, in England und in Kanada. Tagebuchaufzeichnungen, Aufrufe und Berichte aus den Jahren 1933–1943, Darmstadt 1977, S. 29.

Dieses Vorhaben erforderte jedoch Vorsichtsmaßnahmen. Vor allem um die in Deutschland lebende Mutter zu schützen, legte sich Wallensteiner einen nom d’émigration zu. Die Buchstaben durcheinanderwirbelnd entstand so aus Wallensteiner 1933 Fritz Walter Nielsen. Bei der Einbürgerung in die USA sollte viele Jahre später offiziell aus dem ersten Vornamen Fritz Frederic werden.

Prag wählte er, da es zum einen nicht weit von Deutschland entfernt war, zum anderen weil sich dort die Möglichkeit bot, in deutscher Sprache zu arbeiten und verstanden zu werden.

Doch der Anfang, so schreibt Nielsen in Emigrant für Deutschland, war schwerer als erwartet. Das lag vor allem daran, dass man ihm mit einigem Misstrauen begegnete, gehörte der Einzelgänger doch keiner Partei an und war auch sonst nicht an Institutionen gebunden oder Teil von Gruppierungen Exilierter, welche sich zumeist in Cafés trafen. Darunter waren nicht selten deutsche Spitzel, die interessiert waren an den Kontakten der Exilierten mit noch in Deutschland befindlichen Personen. Neuen ohne soziale Anbindung begegnete man deshalb entsprechend misstrauisch.

Anschluss fand er schließlich bei zwei Bühnenvereinen. Dies waren der Bühnenverein La Scene und die schnell bekannte Emigrantenbühne Studio 34. Hier fanden sich künstlerisch Schaffende zusammen, die bei Theater- und Clubabenden ihre Werke vortrugen und dezidiert antifaschistisch agierten. Während La Scene bereits existierte und ab 1933 gerne Exilant*innen aus Deutschland aufnahm, handelte es sich bei dem Studio 34 um eine Gründung durch exilierte Deutsche. Federführend waren dabei Hedda Zinner und Fritz Erpenbeck. Mit dem Weggang Zinners und Erpenbecks nach Moskau endete 1935 die Tätigkeit dieser so erfolgreichen Bühne abrupt.

Kopie eines Ankündigungszettels für den 1. Juni 1934, Prag. Nachlass Frederic W. Nielsen – NL 139-EB 98/332. Foto: DNB/Linda Wiesner

Wie bereits erwähnt, war das Programm der Bühnen antifaschistisch ausgerichtet. So auch bei Vortragsabenden, die Fritz Walter Nielsen gestaltete. Am 11. Mai 1934 hielt er anlässlich des ersten Jahrestages der Bücherverbrennungen im Bühnensaal der Prager Urania den Vortrag Buch in Flammen!. In diesem ließ er anhand von Textauszügen ihrer Werke diejenigen zu Wort kommen, deren Bücher den Flammen übergeben worden waren, darunter Kurt Tucholsky, Heinrich Mann und Theodor Lessing. In einer Art Montage stellte er (fiktive) Radioansprachen aus dem gleichgeschalteten Deutschland daneben, die sich rezitatorisch in ihrer Stumpfheit selbst entlarvten.

Nicht zuletzt wegen Nielsens großem rezitatorischen Können wurde dieser Vortrag wie auch andere seiner Darbietungen äußerst positiv in der Prager Presse rezensiert. Und so folgten der Premiere rasch weitere Vortragsabende. Wie auf dem Programmzettel aus dem Nachlass Nielsens zu lesen, fand bereits am 1. Juni ein weiterer Abend mit dieser dokumentarisch-literarischen Montage statt, diesmal veranstaltet von La Scène. In den kommenden zwei Jahren folgten weitere Aufführungen, 1936 veranstaltete Nielsen den Abend gar auf Tschechisch. Im selben Jahr erfolgte auch die Publikation als Buch.

Mit diesem Programm war die Richtung vorgegeben, die Nielsens literarisches und publizistisches Wirken als aktiver Gegner des Nationalsozialismus in den kommenden Jahren bestimmen sollte – mit, wie er sagte, Wort und Feder, für das andere Deutschland.

Erstausgabe Peter Bohnenstroh. Aus dem Leben eines Tolpatschs, 1935. Nachlass Frederic W. Nielsen – NL 139-EB 98/332. Foto: DNB/Linda Wiesner

Nach einiger Zeit in Prag entschied sich Frederic W. Nielsen, die Stadt, in der deutsch Alltagssprache war, zu verlassen, um an einem weniger zentralen Ort richtig tschechisch zu lernen. Die Wahl fiel auf Hradec Králové (Königgrätz), wo er sich fortan dem Erlernen der Landessprache und der Veröffentlichung seiner Publikationen widmete.

In dieser Zeit erschienen der Verszyklus Peter Bohnenstroh. Aus dem Leben eines Tolpatschs mit Zeichnungen von Milada Marešová sowie die Gedichtsammlung Kleiner Zyklus Deutschland. Im Nachlass befinden sich Belegexemplare dieser kleinen roten Heftchen mit hohem Wiedererkennungswert, sodass Nielsen alle seine Publikationen der Zeit des tschechoslowakischen Exils dergestalt publizierte.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek

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