Erich-Fried-Preis 2023 für Thomas Kunst

18. Dezember 2023
von Peter Kühne

PK: Lieber Thomas,

am 26. November dieses Jahres nahmst Du im alt ehrwürdigen Deutschen Theater in Berlin den Kleist-Preis 2023 entgegen, keine Woche zuvor wurdest Du in Wien mit dem Erich-Fried-Preis geehrt.

Man könnte nun sagen, zwei auf einen Streich, aber sicher hast Du es so nicht erwartet. War für Dich die Einladung nach Wien im Herbst eine Überraschung nach der Ankündigung des Kleist-Preises im Frühjahr?

TK: Ich hatte schon mal an andere Stelle gesagt, dass ich in diesem Leben mit gar keinen Preisen mehr gerechnet habe. Der Literaturbetrieb ist ein Spielcasino. Du setzt immer alles. Ohne Glück ist alles nichts. Vielleicht war ich jetzt einfach mal an der Reihe, Glück zu haben in Wien und Berlin.

Thomas Kunst im Lesesaal des Buchmuseums
Thomas Kunst im Lesesaal des Buchmuseums Foto DNB Kühne CC.BY.SA 3.0 DE

PK: Für beide Preise waren eine Schriftstellerin bzw. ein Schriftsteller die Juroren, kennst Du beide persönlich?

TK: Ich bin mit Monika Helfer und Feridun Zaimoglu sehr befreundet. Das sind Freundschaften, die sich kaum von Liebe unterscheiden. Ich liebe die Bücher der beiden. Da ich nie auf irgendwelchen Jurylisten auftauche, war es meine einzige Chance, diese Preise entgegennehmen zu dürfen. Zwei Glücksfälle zwischen zwei Sonntagen.

PK: Beim Interview zum Kleistpreis, hast Du erwähnt, dass Du zumindest den Titel Deines neuen Romans schon im Kopf hast, wie arbeitest Du, bist Du da konzentriert oder eher sporadisch am Werk?

TK: Nein, ich habe vorher gar nichts im Kopf. Nur den Titel. Wenn ich finde, dass der Titel, der irgendwann zu mir kommt, etwas taugt, beginne ich mit dem Roman. Der neue Roman wird MASLEBOI heißen. So hieß ein Arbeitskollege meines Vaters in den 70er Jahren in Stralsund.

Er nannte diesen Namen oft am Küchentisch. Der Name tauchte vor kurzem wieder in meinem Gedächtnis auf. Ich sehne meine Rente, das Ende meiner Arbeitszeit herbei. Weil mir Zeit zum Schreiben seit über 35 Jahren am meisten fehlt, dieses tägliche Arbeiten an Texten. Oft gibt und gab es bisher oft monatelange Pausen zwischen den geschriebenen und noch ungeschriebenen Romanseiten, so daß ich für mittlere Romane von 250 Seiten oft 5 bis 7 Jahre brauchte. Ohne Disziplin hätte ich vermutlich kein Buch zu Ende geschrieben, weil ich es als sinnlos empfunden hätte, neben einem Hauptberuf immer mal darauf zu hoffen, Zeit für das Schreiben zu haben.

Nach der Arbeit und innerhalb der Woche ist nicht daran zu denken.

PK: In Deiner Dankesrede im DT sprichst Du immer wieder „Wü“ an, welche unten vor dem Hotel in Mexiko warten muss, weil Tiere da keinen Zutritt haben, man erfährt einiges beim aufmerksamen Lesen, so ist Wü eine Russisch-Blau, das ist also Eure Katze? Sie findet Eingang in Deine Dichtung?

TK: Mein neuer Gedichtband im März 2024 heißt so wie unsere geliebte Katze. WÜ.

Ich zitiere einfach mal aus dem Vorschautext:

Wü ist mehr als nur eine Katze. Wü ist Abholdienst von der Garage und abendliches

Seelenheil. Wü ist Bewegungsmelder und das erste Wesen, das mich morgens vor der

Schlafzimmertür schon erwartet. Wü ist eine Russisch-Blau.

Wü ist auch Wüste mit Wünschen. Wü ist würdevolle

Aufzählung:

Eukalyptusbonbons auf der Autobahn

Die amerikanischen Fotos von Leuna im Vorbeifahren

Die Empfehlung der Bauern, sich vor dem ersten Frost einen Plattenspieler zu kaufen.

Das Glühen der Genickschussvitamine.

Mandarinen und Schlittenhunde.

Vornamen im Schnee.

Explosionen, die nur Schüsse sind.

Die Ängste beim Weglassen der Warentrenner.

Das Entriegeln der Wälder mit einer Hand

Die Wände aus Rehgips, aus Rehgips.

PK: Glatt gebügelt? angepasst? Stromlinienform? Solches Schreiben kann man von Dir nicht erwarten, im DT wurdest Du poetisch, dabei deutlich und wütend. Möchtest Du nach dem Siebten Oktober, dass die „Welt sich umdreht“ wie Monika Helfer schrieb?

TK: Ich traue es den Menschen dieser Welt schon lange nicht mehr zu, diese Welt nicht untergehen zu lassen. Ich traue es aber auch der Literatur nicht zu, diese fortwährenden Untergänge aufzuhalten. Für mich ist es klar, gar nicht anders zu können, als auf den 24. Februar 2022 und den 07.Oktober 2023 in Gedichten oder Romanen auf meine Art sprachlich zu reagieren, weil sie alles andere sind als Fliegenschiss-Daten der Weltgeschichte

PK: Thomas, vielen Dank für das Gespräch

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB Kühne CC BY SA 3.0

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden erst veröffentlicht, nachdem sie von uns geprüft wurden.
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Über uns

Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands.

Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.

Mehr auf dnb.de

Schlagwörter

Blog-Newsletter

In regelmäßigen Abständen erhalten Sie von uns ausgewählte Beiträge per E-Mail.

Mit dem Bestellen unseres Blog-Newsletters erkennen Sie unsere Datenschutzerklärung an.

  • ISSN 2751-3238