Glöckler, Pusch und die russ. Gedächtniskirche

6. Oktober 2023
von Peter Kühne

Die von 1914 bis 1916 erbaute Deutsche Bücherei wurde als reich gegliederter Bibliotheksneubau unter der Leitung von Baurat Karl Julius Baer und dem Architekten Oskar Pusch errichtet.

Die leicht gerundete Hauptfassade des Gründungsbaus weist 120 Meter Länge und eine Höhe von 22 Metern auf. Die Fassade ist in 5 etwa gleich große Abschnitte streng geometrisch gegliedert.

In Anlehnung an Renaissance und Jugendstil sind die Abschnitte weiter unterteilt.

In der Mitte die Portalzone mit den 3 Großen Türen und je 2 goldfarbig vergitterte Fenster, darüber eingefasst in die Begrenzung mit den Doppelfiguren befinden sich je 7 Fenster der 2. und 3. Etage. Die sich anschließenden Seitenteile mit je 8 Fenstern bis zur 3. Etage werden wiederum durch die sich vorwölbenden Rundtürme mit ihren kupfernen Turmhauben begrenzt. Ab dem 4. Stockwerk folgt die Fenstergestaltung dem Regalmaß von 1,56 Metern in den Magazinen. Daraus ergeben sich je 14 Fenster in den einzelnen Fassadenteilen. Durch die nach oben immer kleinteiliger werdende Fenstergestaltung wirkt der Bau mit zunehmender Höhe leichter.

Deutlich die kleinteilig wirkenden oberen Etagen des Gründungsbaus, der sich anschließende 4. Erweiterungsbau folgt in den oberen Etagen diesem Bild. Foto: DNB Kühne, CC BY SA 3.0 DE

Die Rundtürme führen die kleinteilige Fenstergestaltung wie ein Schmuckband bis zur ersten Etage. An die Rundtürme fügt sich der östliche und westliche Gebäudeabschluss mit je einem Torbogen bis in Höhe der 2. Etage. Darüber je 4 Fenster, ab der 4. Etage sind es 8.

Daraus ergeben sich 33 vertikale Gebäudeabschnitte für die Fassade des Gründungsbaus.

Der Bau ruht mit seinem mit Beuchaer Granit verkleideten Keller- und Sockelgeschoß in einer Art Burggraben. Für Gabriele Glöckler war einerseits die Lücke zwischen dem Bibliotheksbau von 1916 – 1963 und dem dritten Erweiterungsbau von 1977-1982 zu schließen. Die Büchertürme von Architekt Dieter Seidlitz und dem Gestalter der Fassade Arndt Schultheiß standen bis 2007 allein als selbstständige Gebäude. Gleichzeitig musste sie der Linie des Deutschen Platzes folgen. Städtebaulich waren 2 bisher getrennte Gebäude zu verbinden ohne den Gründungsbau zum Deutschen Platz hin zu dominieren. So folgt der Neubau auch in der Höhe dem Bau von Pusch und Baer. Zum Deutschen Platz hin tritt der Turm in seiner Wuchtigkeit hinter den silbernen Buchrücken des Neubaus zurück.

Gründungsbau und 4. Erweiterungsbau, dahinter der Bücherturm mit der neuen Fassadengestaltung.
Gründungsbau und 4. Erweiterungsbau, dahinter der Bücherturm mit der neuen Fassadengestaltung.
Foto: DNB Kühne, CC BY SA 3.0 DE

Unmittelbar nach dem Torbogen beginnt der Neubau. Hier folgt links die Weggestaltung mit dunklen Pflastersteinen und einer leichten Stufe zum Gebäude hin dem Burggraben auf der rechten Seite des Durchganges. Darüber unterhalb der großen Freitreppe die großteilige Metallhaut mit dem trigonalen Fugenmuster als Anschluss an den Beuchaer Granit. Die sich zum Deutschen Platz hin öffnende Hülle mit ihren Glasfronten nimmt in der Unterteilung die Segmentierung von Pusch wieder auf.

So folgen über der Metallhaut am Sockel 3 Reihen großformatiger Fenster bis zur 2 Etage. Ab der 3. Etage führt Glöckler den Sims weiter zum Neubau und setzt die Fassade mit einer kleinteiligen Fenstergestaltung, unterbrochen von Balkonen fort. Die Großen Fenster folgen dann zum Museumseingang hin der großen Freitreppe und setzen sich zu ebener Erde um den Ausstellungsbereich fort. Der Gebäudeknick führt die großen Fenster bis zur Dachkante, danach folgt die kleinteilige Gestaltung der Fenster den da hinter liegenden Magazinen bis auf die 2. Etage herab. Bis zum Fassadenwinkel neben dem Eingang zum Museum sind es nochmals 22 vertikale Unterteilungen.

Schauen wir uns nun etwas näher den Torbogen zwischen den Gebäudeteilen an. Steht man unmittelbar seitens des Deutschen Platzes davor so erblickt man mittig durch ihn, die zur gleichen Zeit wie die Deutsche Bücherei erbaute Russische Gedächtniskirche. Sie wurde im Gedenken an die 22000 gefallenen Angehörigen der russischen Armee zum 100. Jahrestag der Völkerschlacht, am 18. Oktober 1913 geweiht. Das Bauwerk ist der Auferstehungskirche in Moskau-Kolomenskoje aus dem 16. Jahrhundert nachempfunden. Diese Kirche werden wir noch einmal beim Rundgang um das Gebäude der Leipziger Bibliothek sehen.

Dazu begeben wir uns durch den Torbogen in Richtung Turmhof. Wenn wir uns nun in Höhe der japanischen Kirschbäume umdrehen und zum Torbogen zurückschauen, können wir den Übergang vom Gründungsbau zum 4. Erweiterungsbau sehen. Neben dem oben erwähnten Torbogen bildet das Treppenhaus des Neubaus ein vertikales Fensterband und darin spiegelt sich direkt neben dem Durchgang das Spiegelbild der Russischen Gedächtniskirche in voller Größe.

D. Seidlitz und A. Schultheiß verließen mit dem Turmentwurf beim 3. Erweiterungsbau von 1977-82 die von O. Pusch und K.J. Baer vorgegebene Linie. Vielmehr stand das Gebäude separat neben der Deutschen Bücherei. Der Turm bildete dagegen die Fortsetzung der Punkthochhäuser an der Straße des 18. Oktober. Seit der Verbindung der Gebäude durch den Bau von G. Glöckler kann man nun die Spiegelung eines der Wohnhochhäuser in der Glasfassade des 4. Erweiterungsbaus sehen.

So hat der Bücherturm nicht nur ein Pendent auf der gegenüber liegenden Straßenseite sondern auch „neben“ sich.

Die Büchertürme wurden im Zuge des 4. Erweiterungsbaus großflächig neugestaltet. Die Neuen Verkleidung lässt aber an der Stelle des Grundsteines vom Turm den Blick auf die Inschrift frei und am Übergang der beiden letzten Gebäudeteile ist die originale Wandgestaltung von A. Schultheiß erhalten.

Der Gründungsbau spiegelt sich am Eingang des DBSM
Der Gründungsbau spiegelt sich am Eingang des DBSM Foto: DNB Kühne, CC BY SA 3.0 DE

Schließlich spiegelt sich in der Fassade des Museums vom Deutschen Platz aus das sanfte Rund des Gründungsbaus. Gabriele Glöckler hat sich mit der modernen Verbindung der bis 2007 selbstständigen Gebäude zugleich auch immer wieder den Bauten ihrer Vorgänger angenähert. Das mag angesichts der Unterschiede in Material und Form auf den ersten Blick nicht deutlich werden. Aber bei näherem Hinsehen werden viele Details sichtbar.





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Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB Kühne, CC BY SA 3.0 DE

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