Im Exil: Künstlerinnen der Ukraine (2/5)
Für das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der DNB interviewte die Historikerin Dr. Olena Opanasenko fünf junge ukrainische Künstlerinnen, die nach dem Angriff Russlands auf ihr Heimatland ins Exil geflüchtet sind. Heute leben und arbeiten Oksana Orlova, Anna Savvi, Daria Yakovenko, Iryna Yakovlieva und Maryna Yelenchuk in Deutschland. Der 24. Februar 2022 veränderte nicht nur ihr bisheriges Leben, er beeinflusste auch nachhaltig ihre Kunst. In einer fünfteiligen Serie stellt Olena Opanasenko die Künstlerinnen vor sowie jeweils eine ihrer Arbeiten, die im Exil und unter dem Eindruck des im Krieg und auf der Flucht Erlebten entstanden ist.
Anna Savvi, Malerin
Die Karriere der heute 22-jährigen Anna Savvi ist noch nicht reich an Jahren, aber ihre bisherigen Arbeiten lassen ein großes Talent erkennen. Von sich selbst sagt sie, sie male und zeichne seit sie denken kann. Ihre Ausbildung absolvierte Anna Savvi an der Akademie der Künste in Charkiv. Es ist der traditionelle Weg vieler Künstlerinnen in der Ukraine. Den Schwerpunkt ihres Studiums legte sie auf die moderne ukrainische Kunst. Mit viel Mühe und Fleiß konnte sie schon bald erste Erfolge feiern. Ihr Werk umfasst bereits über 200 Arbeiten in verschiedenen Techniken, darunter auch mehrere von ihr illustrierte Bücher.
Ihr Leben vor dem Krieg bezeichnet Anna Savvi als glücklich. Seit Beginn des Krieges nimmt sie ihre Existenz nur noch als ein „Überleben“ wahr. Die schwermütigen Arbeiten, die seit dieser Zeit entstanden sind, dokumentieren ihre jüngsten Erlebnisse.
Am Morgen des 24. Februar 2022 musste Anna Savvi Charkiv verlassen. Die massiven Angriffe der russischen Armee auf ihre Geburtsstadt ließen ihr keine Wahl. Die Entscheidung zur Flucht ins Nirgendwo war getroffen. Anna Savvi machte sich auf den langen Weg in die Ungewissheit. Am 20. März 2022 verließ sie ihre Heimat. Nur mit einer kleinen Tasche flüchtete die junge Künstlerin gemeinsam mit anderen Frauen der Familie nach Deutschland. Seit dem 24. März 2022 lebt und arbeitet sie in Oberursel bei Frankfurt am Main im Exil.
Safeless (2022)
Das Bild „Safeless“ entstand im Mai 2022, in jenen Wochen, als die Verteidiger von Mariupol ihren Widerstand gegen die russischen Okkupanten leisteten. Sechzig Tage saßen Soldaten gemeinsam mit Zivilist*innen, die meisten darunter Frauen und Kindern, im Keller eines belagerten Stahlwerks. Jeder neue Tag kostete weitere Menschenleben. Mit jeder Nacht schwand die Hoffnung auf Rettung, wuchs zugleich die Gewissheit, dass es einem Ende entgegengeht.
Und dann versteht niemand, ob er noch ganz da ist oder schon nicht mehr; ob man noch Kopf, Gesicht, Arme, Hände hat… Eher nicht. Sie fühlen ihren Körper nicht mehr, sie können an nichts mehr denken. Sie sind nur mehr Körper, Rümpfe, die bald Leichen sein werden… Rümpfe, die nichts mehr fühlten, aber die so unbedingt leben mochten…
Seit zwei Monaten war Anna Savvi bereits im Exil. Seit zwei Monaten pausierte ihre künstlerische Arbeit. Plötzlich kam der Bruch. Die tägliche Bilderflut aus der umkämpften Stadt Mariupol wurden der Künstlerin zu einer Quelle der Inspiration. Ihre zerrissene, schreiende Seele legte sich mit bunten Strichen über die Leinwand: Kopflose weibliche Rümpfe, ganz nah beieinander, unsichtbar miteinander verbunden. Die gemeinsame Erfahrung eines bevorstehenden Endes verbindet. Und sie schafft ein Bewusstsein vom eigenen Leib, von seiner Vergänglichkeit. Und zugleich vom Unvergänglichen und Wiederkehrenden. Über den Körpern erstreckt sich blauer Himmel.
Olena Opanasenko
Dr. Olena Opanasenko, geb. 1968 in Kyjyv/Ukraine, ist promovierte Historikerin an der Universität Kyiyv. Hier studierte sie Geschichte und Germanistik. Seit April 2022 lebt sie im Exil in Deutschland in der Nähe von Frankfurt am Main und arbeitet u. a. als freie Autorin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mit ihrer Arbeit möchte sie die ukrainische Kultur in Europa bekannter machen: "Ich sehe mich als eine Kulturbotschafterin meines Landes."