Im Exil: Künstlerinnen der Ukraine (3/5)
Für das Deutsche Exilarchiv 1933–1945 der DNB interviewte die Historikerin Dr. Olena Opanasenko fünf junge ukrainische Künstlerinnen, die nach dem Angriff Russlands auf ihr Heimatland ins Exil geflüchtet sind. Heute leben und arbeiten Oksana Orlova, Anna Savvi, Daria Yakovenko, Iryna Yakovlieva und Maryna Yelenchuk in Deutschland. Der 24. Februar 2022 veränderte nicht nur ihr bisheriges Leben, er beeinflusste auch nachhaltig ihre Kunst. In einer fünfteiligen Serie stellt Olena Opanasenko die Künstlerinnen vor sowie jeweils eine ihrer Arbeiten, die im Exil und unter dem Eindruck des im Krieg und auf der Flucht Erlebten entstanden ist.
Daria Yakovenko, Illustratorin
Malerin, Kinderbuchillustratorin, Fotografin, Kostüm- und Bühnenbildnerin: Daria Yakovenko ist ohne Frage vielseitig veranlagt. Mit großer Neugier und dem Willen zur ständigen Arbeit an sich selbst konnte sie ihre im Kunststudium erlernten Fähigkeiten und Kenntnisse ausbauen. Mit Anfang 30 ist sie eine vielbeachtete, wenngleich streitbare, weil wenig risikoscheue Künstlerin. Vor neuen Techniken und Medien schreckt sie nicht zurück, vermischt gerne Altes mit Neuem und bindet zielgerichtet die Möglichkeiten der sozialen Medien ein, um ihren Arbeiten eine größtmögliche Aufmerksamkeit zu garantieren.
Bei einem Kinderbuchverlag lernte sie zu Beginn ihrer Laufbahn das Handwerk einer Illustratorin, unter anderem bebilderte sie Märchenbücher. Durch ihre Beteiligung am Fotoprojekt „Märchenhaftes Kiew“ (2014–2016) konnte sie sich dann auch als Kostümbildnerin einen Namen machen. Die Kamera eröffnete ihr schließlich nochmals eine neue Welt.
Auch jenseits ihrer künstlerischen Tätigkeiten ist Daria Yakovenko eine engagierte Person. Sie unterstützt in der Ukraine verschiedene soziale Organisationen, entwickelt und betreut eigene Projekte in den Niederlanden und organisiert in Brasilien Workshops für Fotografie. Als ihre Lebensaufgabe aber sieht Daria Yakovenko ihre Kunst, mit der sie immer wieder aufs Neue aus einfachsten Sujets Märchen erschaffen möchte.
Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine musste sie ihre Heimat am 4. März 2022 verlassen. Seit dem 6. März 2022 lebt und arbeitet sie in Stuttgart im Exil.
Die flammende Ernte (2022)
Daria Yakovenkos Arbeiten der Zeit nach dem 24. Februar 2022 unterscheiden sich von ihren vorherigen vor allem in der Wahl ihrer Motive. Es sind nun keine märchenhaften Landschaften und mythischen Figuren mehr dargestellt. Ihre neuen Protagonisten sind der Wirklichkeit entnommen: Es sind ukrainische Frauen und Kinder, die zu Sinnbildern des grausamen Krieges und von Flucht und Vertreibung wurden. Es sind ukrainische Soldaten. Auch der Stil hat sich geändert: Die gedeckten Töne und feinen Nuancen weichen einer sichtlich dramatischeren, kontrastreichen Farbgebung.
Immer wieder erreichen Daria Yakovenko mittlerweile Anfragen, die Toten dieses Krieges in ihren Werken abzubilden. In ihren früheren Werken sei ihr die Darstellung von Menschen immer leichtgefallen; diese waren munter und lebendig. Jetzt hatte sie eine andere, weitaus schwierigere Aufgabe: Die von ihr Porträtierten wurden schon zu Lebzeiten als Verteidiger der Ukraine zu nationalen Helden. Nach ihrem Tod wandeln sie sich zu Ikonen der Freiheit und des Widerstands. Dieser Patriotismus ist aktuell die einzige Quelle der Inspiration für die Künstlerin.
Im Werk Palajutschi shnyva (dt. Die flammende Ernte) spiegelt sich der innere Zustand Daria Yakovenkos wider. Die in Flammen stehende Silhouette einer Frau steht auf einem brennenden Getreidefeld. Es kann als ein Sinnbild für die Seele der Ukrainer*innen gedeutet werden. Tod und Zerstörung zum einen, zum anderen die entflammte Wut und der unbändige Wille zum Widerstand.
Olena Opanasenko
Dr. Olena Opanasenko, geb. 1968 in Kyjyv/Ukraine, ist promovierte Historikerin an der Universität Kyiyv. Hier studierte sie Geschichte und Germanistik. Seit April 2022 lebt sie im Exil in Deutschland in der Nähe von Frankfurt am Main und arbeitet u. a. als freie Autorin. Sie ist verheiratet und hat zwei Kinder. Mit ihrer Arbeit möchte sie die ukrainische Kultur in Europa bekannter machen: "Ich sehe mich als eine Kulturbotschafterin meines Landes."