Jüdische Mitarbeiter der Deutschen Bücherei
Bisher wurde in den historischen Betrachtungen über die Deutsche Bücherei in Leipzig den jüdischen Mitarbeitern wenig Beachtung geschenkt. Da ich mich vor allem nach meiner Pensionierung mit dem Schicksal der Leipziger Juden beschäftigt habe, möchte ich den Anlass nutzen, denen einen Platz in den Erinnerungen zu verschaffen, die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung wurden.
90 Jahre sind vergangen, seit am 7. April 1933 das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ veröffentlicht wurde. Darin war festgelegt, dass „Beamte, die nicht arischer Abstammung sind“ in den Ruhestand versetzt werden müssen. Zunächst waren davon noch diejenigen ausgenommen, die bereits vor 1914 Beamte waren und die im Ersten Wetkrieg gekämpft oder dabei Väter oder Söhne verloren hatten. In einer bereits wenige Tage später veröffentlichten Durchführungsverordnung machten die Verfasser deutlich, wen sie meinten: „Als nichtarisch gilt, wer von nichtarischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder Großelternteil nicht arisch ist.“
So hatten auch alle Beamten der DB einen entsprechenden Nachweis zu erbringen. Auf Grund einer weiteren Durchführungsverordnung waren bald darauf die Angestellten und Arbeiter ebenfalls davon betroffen.
Als Konsequenz ergab sich daraus, dass der stellvertretende Direktor Oberbibliothekar Dr. Otto Erich Ebert vorzeitig in den Ruhestand versetzt, der Hilfsbibliothekar Dr. Berthold Altmann und die Hilfssekretärin Eleonore Feisenberger entlassen wurden.
An diese drei ehemaligen Mitarbeiter soll hier erinnert werden.
Fräulein Feisenberger, 1905 in Bochum geboren, kam 1918 mit ihren Eltern und ihrem Bruder nach Leipzig. Ihr Vater, Dr. Albert Feisenberger stammte aus einer ursprünglich jüdischen Frankfurter Kaufmannsfamilie. Sie war bereits in der dritten Generation evangelisch getauft. Er wurde an das Reichsgericht berufen, wo er seit 1921 als Reichsanwalt tätig war und 1934 in den Ruhestand versetzt.
Zunächst als Buchhändlerin ausgebildet, besuchte sie die Bibliothekarsschule für die Ausbildung mittlerer Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken. Nach erfolgreichem Abschluss wurde sie als Hilfsarbeiterin in der DB angestellt. Sie arbeitete in verschiedenen Abteilungen, reiche Kenntnisse, Fleiß unnd Sorgfalt wurden ihr bescheinigt. Unter ihren Kollegen erfreute sie sich besonderer Beliebheit, ihre Hilfsbereitschaft wurde hervorgehoben.
Ab Mai beurlaubt, erhielt sie zum 30. Juni 1933 die Kündigung. Diese wurde damit begründet, dass „ihr Vater … nach mündlichen Mitteilungen aus dem Kreise der Beamten der Deutschen Bücherei getaufter Jude“ sei.
Noch im Sommer 1933 ging sie nach Paris und folgte bald darauf dem ebenfalls 1933 entlassenen Professor an der Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe Leipzig, Hugo Steiner-Prag nach Prag. Sie hatten bereits in Leipzig zusammengearbeitet, dort war sie als seine Sekretärin tätig. Über Stockholm gelangte sie schließlich 1940 in die USA. 1942 haben die beiden in New York geheiratet, der 25 Jahre ältere Hugo Steiner-Prag lebte bis 1945. Sie ist 1994 in Flemington, New Jersey gestorben.
Dr. Berthold Altmann kam 1926 zunächst als Volontär in der Deutschen Bücherei. Er war der Sohn eines jüdischen Kleiderhändlers aus Torgau und bekannte sich zu seiner Religion. Seinen Wünschen, sie im Alltag zu praktizieren, stand Dr. Uhlendahl von Anfang an wohlwollend gegenüber und ermöglichte ihm die erbetenen Freistellungen.
Nach dem Studium der Geschichte, Geografie, orientalischen Sprachwissenschaften und Nationalökonomie in Breslau, Freiburg i. B. und Leipzig wurde er 1923 mit einer Arbeit zur jüdischen Geschichte promoviert. Nachdem er auch das Examen für den Höheren Dienst an wissenschaftlichen Bibliotheken erfolgreich abgelegt hatte, war er seit 1928 als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter und seit 1932 als Hilfsbibliothekar beschäftigt. Seinen historischen Interessen kam entgegen, dass er für die Bearbeitung der „Internationalen Bibliographie der Geschichtswissenschaften“ und der „Jahresberichte für die deutsche Geschichte“ eingesetzt wurde. Anerkennung als Historiker erwarb er sich auch als Mitarbeiter am „Mainzer Urkundenbuch“.
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums traf ihn, ohne dass er eine Einspruchsmöglichkeit gehabt hätte. Nach einer vorläufigen Beurlaubung wurde ihm zum 30. Juni 1933 gekündigt. Dr. Altmann ging nach Bochum, von wo aus er seine Emigration in die Vereinigten Staaten vorbereitete. Er gelangte nach New York, wo er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der American Academy for Jewish Research war, später arbeitete er in Chicago als Bibliothekar. 1977 ist er in Alexandria, Virginia gestorben.
Dr. jur. Otto Erich Ebert war in Prag geboren. Er studierte an der dortigen deutschen Universität und später in Wien Rechtswissenschaften und Geschichte. 1905 verteidigte er in Prag erfolgreich seine Dissertation und wurde 1906 als Praktikant an der Wiener Universitätsbilbiothek eingestellt.
In beiderseitigem Interesse an einem Austausch kam er 1920, inzwischen Oberbibliothekar, in die Deutsche Bücherei. Der ursprünglich für einige Monate vorgesehene Aufenthalt wurde verlängert, schließlich löste er 1921 sein Beamtenverhältnis in Österreich und wurde am 1. April 1922 zum stellvertretenden Direktor ernannt. Neben seiner anerkannten Tätigkeit in der DB erwarb er sich vor allem Wertschätzung für seine Forschungen auf dem Gebiet der Hochschul- und Buchgeschichte.
Nach der Veröffentlichung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums erklärte er, Sohn jüdischer Eltern zu sein. Er selbst hatte sich 1906 römisch-katholisch taufen lassen und seinen ursprünglichen Namen Epstein in Ebert geändert. Da es ihm weder möglich war, die erforderlichen Dokumente über die Teilnahme an Kampfhandlungen im ersten Weltkrieg zu erbringen, obwohl er zwischen 1915 und 1918 Angehöriger der österreichisch-ungarischen Armee war, noch der sächsische Staat bereit war, seine Beamtentätigkeit in Österreich anzuerkennen, wurde er nach vorübergehender Beurlaubung ab 1934 in den Ruhestand versetzt.
Im Oktober 1933 heiratete er die verwitwete Hedwig Meisenburg, die keine Jüdin war.
Dr. Uhlendahl war ihm behilflich, zahlreiche bürokratische Hürden zu überwinden, damit er zumindest vorübergehend eine Aufenthaltsgenehmigung für die Tschechoslowakei erhielt, um seine kranke Mutter in Prag zu betreuen. Nicht bei bester Gesundheit hat Dr. Ebert die Demütigungen, denen er ausgesetzt war, nicht verkraftet. Im September 1934 erlitt er in Prag einen Herzinfarkt, an dem er gestorben ist. Sein Leichnam wurde nach Leipzig überführt und eingeäschert.
Ellen Bertram, ehemalige Leiterin der Abteilung / des Referates Auskunft
111-Geschichten-Redaktion
Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.