Kleiderordnung

30. Juni 2023
von Susann Solberg

Schaut man sich in den Gängen der Deutschen Nationalbibliothek das Bibliothekspersonal an, so ist die Hose, unabhängig vom Geschlecht, ein gängiges Kleidungsstück. Das war nicht immer so. In der ehemaligen Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main gab es bis Ende der sechziger, womöglich bis Anfang der siebziger Jahre die unausgesprochene Regel, dass die weiblichen Beschäftigten Röcke, Kleider oder Kittel, auf jeden Fall keine Hosen tragen sollten. In der in Frankfurt ansässigen Bibliotheksschule, die etliche Bibliothekar*innen der Deutschen Nationalbibliothek durchlaufen haben, war das „Beinkleid“ sogar strengstens untersagt. Mit der jeweiligen Aufgabe oder Arbeitsqualität hatte das nichts zu tun, sondern lediglich mit der vorherrschenden Moral. Es galt als unweiblich oder gar unanständig, wenn eine Frau – eine Dame – eine Hose trug. Auch sehr kurze Röcke, die damals modern waren, wurden nicht gerne gesehen. Da wurden unter Umständen die Eltern der damals unter 21 Jahren noch nicht volljährigen Kolleginnen angesprochen und um Abhilfe gebeten.

Auch im strengsten Winter des 20. Jahrhunderts 1962 / 1963, wurde keine Ausnahme von der „Keine- Hosen-Kleiderregel“ gemacht. Die Kolleginnen kamen aufgrund der Kälte mit Hosen in die Bibliothek und zogen sich auf der Toilette um. Mit der Liberalisierung der bundesdeutschen Gesellschaft und der zweiten Frauenbewegung wurde diese Regel glücklicherweise obsolet. Es bedurfte aber einiger „mutiger“ Kolleginnen, die dagegen aufbegehrten und die „Hosen einfach anbehielten“.

Der Rock geht – der Kittel bleibt

In den 50er, 60er und anteilig 70er Jahren hat man, um die Kleidung zu schützen, von der Bibliothek gestellte Kittel anziehen können. Damals besaß man nicht so viel Kleidung wie heute und die Kleidung wurde nicht so häufig gewechselt.

Kennengelernt habe ich in der ehemaligen Formalerschließung zwei verschiedene Versionen der Kittel, als eine Kollegin und ich in den 80er Jahren so genannte Rückstände bearbeiten sollten. Das war überwiegend graue Literatur, die mangels Personalressourcen einige Jahre unbearbeitet in den Magazinen stand und auf die bibliografische Erschließung wartete. Wir hatten die Aufgabe, diese Bestände zu sichten, zu ordnen und nach und nach zu bearbeiten. Da damals die Magazinkapazität im alten Gebäudekomplex am Frankfurter Palmengarten erschöpft war, hatten die Bestände – überwiegend Broschüren und Zeitschriftenhefte – in einem ehemals als Ausweichmagazine angemieteten Parkhaus ihr Dasein gefristet. Sie waren verstaubt und schmutzig, heute ein Unding, das so nicht mehr vorkommt. Daraufhin zog unsere damalige Chefin aus einer Ecke in ihrem Schrank zwei Kittel. Ein wie ein Hemdblusenkleid tailliert geschnittener hellgrüner Kittel aus einem Baumwoll-Kunstfasergemisch, der fast chic aussah sowie ein hellblauer, kastenartig geschnittener Nylonkittel. So ausgerüstet zogen wir ins Magazin und waren nach anfänglicher Belustigung dankbar dafür.

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB, Stephan Jockel, CC-BY-SA 3.0DE

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