Kurbeln – Hören – Erinnern

3. Februar 2022
von Dr. Jesko Bender, Jürgen Czwienk

Der Medienkünstler Jürgen Czwienk hat in Frankfurt und Leipzig die „Hörstation Exil“ realisiert. Wir sprachen mit ihm über akustisches Gedenken.

Sonic Memory – unter diesem Titel haben Sie eine besondere Form des Gedenkens gefunden. Können Sie uns kurz beschreiben, was es damit auf sich hat?

Kurz gesagt handelt sich um eine akustische Vermittlung von historischen Themen, die in der Öffentlichkeit präsent sein sollen und immer einen Bezug zu dem jeweiligen Ort und seinem historischen Hintergrund haben. Das kann in Form eines akustischen Stolpersteins realisiert werden, oder als Hörstation, die einen thematischen Bezug zu dem jeweiligen Ort herstellt. Mich faszinieren Orte, deren Geschichte meist unsichtbar und deshalb nur wenigen Menschen bekannt ist. Es ist also der Versuch, im besten Fall wieder einen neuen Genius Loci herzustellen, der in unsere Gegenwart hineinwirkt.

Konstruktionszeichnung der Hörstation Exil
Konstruktionszeichnung der Hörstation Exil, mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Czwienk

Und nun etwas zum Hintergrund: Vor allem die Aussagen der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann („Erinnern ist Arbeit an der Zukunft“) beschäftigen mich permanent, auch wenn ich mit meiner Themenfindung eher intuitiv beginne. Im Übrigen bin ich der Überzeugung, dass gerade die akustische Form des Erinnerns, zum Beispiel anhand von Zeitzeug*innen, die meisten Menschen im öffentlichen Raum eher anspricht als ein neutraler Text oder die unzähligen visuellen Reize, die nur noch als ein diffuses Rauschen unterbewusst wahrgenommen werden. Oft reagieren meine Zuhörer*innen sehr emotional und subjektiv. Eher beiläufig funktionieren die Orte von Sonic Memory auch als Appell zum genaueren Hinhören. Aber dieser didaktische Ansatz ist eher zweitrangig.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Akustische so in den Mittelpunkt zu stellen?

Jürgen Czwienk bei der Montage der Hörstation am Erich Fromm Platz in Frankfurt am Main
Jürgen Czwienk bei der Montage der Hörstation am Erich Fromm Platz in Frankfurt am Main. Derzeit arbeitet er an Hörstationen zu Novalis in Weissenfels und an einem Fritz Bauer-Hörparkours in Frankfurt, Foto: mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Czwienk

Die Wirkung des Akustischen war auch immer ein Aspekt meiner Filmarbeit, die ich von ihren Bildern befreie. Alles begann vor Jahren als Experiment in Frankfurt an einem Ort, der die Geschichte eines jüdischen Ehepaares aufgriff. Aus dem improvisierten, akustischen Mahnmal wurde dann immer mehr ein Werkzeug der Wissensvermittlung im öffentlichen Raum, dessen weitere Entwicklung noch offen ist. 

Wenn diese neuen Orte auch einen Mehrwert an historischem Wissen und Gewissen schaffen, so ist das erwünscht. Ausgangspunkt ist jedoch immer die Offenheit und Neugierde der Passant*innen sich auf etwas einzulassen, was zunächst unbekannt oder einfach nur interessant zu sein scheint. Dann beginnt alles oft mit der Frage: Was ist das für eine Kiste und wofür ist diese Kurbel?

Sie spielen auf die Kurbel an, mit der man den Strom erzeugt, um die Audiostation zu betreiben – das animiert wirklich sofort dazu, die Hörstation zu erkunden. Welche Projekte haben Sie bereits realisiert?

Alles begann eigentlich aus einer Laune heraus. Die Stadt Frankfurt stellte Plätze und Orte zur Verfügung, die von Künstler*innen frei genutzt werden konnten. Gedacht war diese Maßnahme als Belebung des öffentlichen Raums, dessen Nutzung normalerweise institutionell stark reglementiert ist. Also experimentierte ich mit dem akustischen loop eines Mannes, der in seinem Zimmer einer jüdischen Pension am Erich-Fromm-Platz auf seine Deportation wartete. Was er auf einen Zettel gekritzelt hatte, war zufällig hinter einer Heizung entdeckt worden.

Die Hörstation zur Erinnerung an Klara Leucht in Stuttgart
Die Hörstation zur Erinnerung an Klara Leucht in Stuttgart, mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Czwienk

Diese sehr bewegende Anklage an eine Gesellschaft, die einfach nur noch wegsah, habe ich dann von einem Schauspieler sprechen lassen und in einem Baum stundenweise zu Gehör gebracht. Der Hausmeister der Synagoge achtete dann immer darauf, dass die Batterie auch geladen wurde, was ich als sehr sympathisch empfand. Alle Anwohner*innen – auch die Thora-Schüler*innen der Synagoge – empfanden diese temporäre Installation als positiv. Ich war also in der Mitte deutscher Erinnerungskultur gelandet.

Etwas später wurde daraus dann ein akustischer Stolperstein für Klara Leucht in Stuttgart. Sie wurde aufgrund ihrer geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen von den Nazis ermordet. Die permanente Hörstation vor dem Stadtmuseum erweitert die dortige zeitgeschichtliche Ausstellung in den Außenbereich.

In Frankfurt und Leipzig haben Sie in Kooperation mit dem Deutschen Exilarchiv 1933–1945 ebenfalls akustische Hörstationen geschaffen – die „Hörstation Exil“. Welche Bedeutung hat das akustische Erlebnis für die Erinnerungskultur?

Neben dem Sehsinn erscheint unser Gehör immer als Sinnesorgan zweiten Grades. Farben und Formen brennen sich stärker in unser Erinnerungsvermögen ein als etwa Töne und Klänge – zumindest bewusster. Allerdings gilt auch: Nur weil das Visuelle das offensichtlich Einprägsamere hervorbringt, heißt das noch nicht, dass auch das akustische Erlebnis keinen bleibenden Eindruck hinterlässt. Es wirkt nur nachhaltiger.

Collage von drei Ansichten der Montage in Leipzig
Während der Montage der Hörstation Exil in Leipzig, mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Czwienk

Bewusstes Hören geschieht nur durch besondere Anlässe und ist deshalb eine andere Art der Wahrnehmung. Es schleicht sich eher unterschwellig in unser Gedächtnis. Hinzu kommt noch das besonderes Erlebnis der menschlichen Stimme. Das Erinnern erhält so neben den eher historischen Fakten eine sehr menschliche und persönliche Komponente.

Der Akt des Kurbelns bindet die Zuhörer*innen zusätzlich an diese Erfahrung und schafft so eine Form des Erinnerns, die sich stark von anderen, eher alltäglichen Hörsituationen unterscheidet. Das reine Hören – unabhängig von visuellen Reizen – war von Anfang an mein Konzept eines Erinnerns, das so aus dem Reigen alltäglicher Sinnesreize eine Sonderstellung bekommen kann.

Leider gibt es nicht immer fesselnde Tondokumente von Zeitzeug*innen und so wird die Recherche von Texten und anderen Tönen immer wichtiger. Daraus muss dann eine Klangcollage geschaffen werden, die am Ende dann doch das Menschliche am jeweiligen Thema zu Gehör bringen sollte.

Die Hörstation Exil in Frankfurt am Main, mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Czwienk

Die Besonderheit der Hörstation Exil ist, dass die Inhalte regelmäßig ausgetauscht werden – zum Beispiel anlässlich von Sonderausstellungen. Welches war bisher Ihr Lieblingshörstück? Warum?

Diese Frage ist für mich leicht zu beantworten: Es ist ganz klar die Stimme und die Art des Vortrags von Ruth Westheimer. Sie erzählt, dass sie „weiter lustig“ sein wollte, nach all den schlimmen Erfahrung, die sie durch ihre Flucht mit einem Kindertransport aus Frankfurt gemacht hat. Auf mich wirkt sie fast mitreißend und sehr optimistisch, was ja insgesamt mehr Mut machen kann, um negative Erfahrungen im Leben gut verarbeiten zu können.

Ein wunderbarer Appell, fröhlich zu sein im Leben und immer optimistisch zu bleiben – auch wenn die Umstände zu schwer zu sein scheinen. Man spürt das Lebensbejahende an ihrer Einstellung zum Leben, und ich glaube sie fährt sehr glücklich damit. Sehr sympathisch!

Dr. Ruth K. Westheimer, Audiospur aus der Hörstation Exil (Auszug aus einem Interview mit Dr. Sylvia Asmus, 2021), Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Czwienk

Ein Kommentar zu „Kurbeln – Hören – Erinnern“

  1. Jürgen Czwienk sagt:

    Ab dem 01.01.2022 befindet sich die zentrale Produktions- und Kommunikationsstätte in 33125 Mainz-Finten, Poststraße 37. Telefon 06131-6692380
    Mobil 0160 98465751

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  • ISSN 2751-3238