Laudatio auf Ruth Weiss

15. November 2022
von Lutz Kliche

Am 15. September 2022 wurde in der Deutschen Nationalbibliothek der OVID-Preis 2022 an die Autorin und Bürgerrechtlerin Ruth Weiss verliehen. Ihr Lektor Lutz Kliche würdigte sie in einer persönlichen Laudatio und gab Einblicke in das bewegte Leben der Preisträgerin. Wir drucken die Laudatio hier ab.

Die Preisträgerin Ruth Weiss bei der Verleihung des OVID-Preises 2022. Foto: Alexander Paul Englert

Liebe Ruth, liebe Gäste,

eine Laudatio auf eine Persönlichkeit, eine Autorin oder einen Autor zu halten, ist immer ehrenvoll, doch nie habe ich mich so geehrt gefühlt wie heute, da ich diese Laudatio auf dich, liebe Ruth, zur Verleihung des OVID-Preises halten darf.

Und unter allen Persönlichkeiten, die ich im Laufe meines Lebens habe kennenlernen können – und das waren nicht wenige zwischen Europa, Lateinamerika und der Welt überhaupt – stichst du, das kann ich ohne Übertreibung und ohne irgendjemand Unrecht zu tun sagen, durch dein Werk und deine Biografie besonders hervor.

Als wir uns vor inzwischen vierzig Jahren kennenlernten, schriebst du, auf Vorschlag von Hermann Schulz, dem damaligen Verleger des Peter Hammer Verlags, und seiner Frau Ursula, an der ersten Fassung deiner Autobiografie „Wege im harten Gras“, die damals noch den Titel „Ein Lied ohne Musik“ trug. Ich war junger Lektor im Verlag, durfte das Projekt und dich als Autorin betreuen und in diesem Zusammenhang an manchen Wochenenden nach London fliegen, um mit dir am Manuskript zu arbeiten.

Das waren produktive Tage in deinem Haus in Worcester Park, wo wir uns über das Konvolut der vielen Schreibmaschinenseiten beugten, die du in den Wochen zuvor geschrieben hattest, und ich erzähle gern, wie du, wenn wir eine Passage oder ein Kapitel für verbesserungswürdig hielten, in die Küche hinübergingst, die Schiebetür schlossest, worauf emsiges Maschinengeklapper zu hören war. Und nach kurzer Zeit – einer halben Stunde vielleicht, maximal aber einer Stunde –  kamst du wieder zum Vorschein und hattest fünf, sechs Seiten neu geschrieben. Ich war sprachlos angesichts solcher Kreativität und sage seither, dass du schneller schreibst, als ich lesen kann. Natürlich war es dein Beruf als Journalistin, der dich dazu befähigt hat, in solchem Tempo und mit solcher Sicherheit Texte zu produzieren, aber es drückt sich darin auch ein schriftstellerischer Fleiß aus, der bis heute anhält und ein Werk von an die 70 Bücher hervorgebracht hat, von denen eine erhebliche Zahl noch auf ihre Veröffentlichung warten. Hoffentlich erreichen sie bald ihr Lesepublikum.

Als dieses Buch, diese erste Ausgabe deiner Autobiografie, Anfang der 1980er-Jahre entstand, warst du noch keine 60 Jahre alt, hattest aber schon soviel zu erzählen, dass es leicht für ein paar weitere Bände Erinnerungen gereicht hätte. Da war deine Kindheit als Tochter einer jüdischen Familie auf dem Dorf bei Nürnberg, eine unbeschwerte Kindheit – bis 1933 die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Dann die Jahre bei den Großeltern in Fürth, schwere Jahre unter der Naziherrschaft, aber auch Jahre prägender Erfahrungen im orthodoxen jüdischen Haushalt der Großeltern und in der Israelitischen Realschule, die – das berichtest du immer wieder – für euch alle, alle Kinder, die nicht mehr auf die „arischen“ Schulen gehen durften, ein Ort, oder besser: ein Hort der Solidarität und des Schutzes in einer Situation von Bedrohung und Ausgrenzung war. Dann die Flucht nach Südafrika, als euch der Vater, der schon 1933 dorthin emigriert war, so schnell er konnte nachholte, weil die Nürnberger „Rassegesetze“ euch die Bürgerrechte entzogen und keine Sicherheit mehr da war, und weil auch Südafrika auf Druck der nationalistischen, antisemitischen Buren keine Menschen jüdischen Glaubens mehr ins Land lassen wollte.

Unter allen Persönlichkeiten, die ich im Laufe meines Lebens habe kennenlernen können – und das waren nicht wenige zwischen Europa, Lateinamerika und der Welt überhaupt – stichst du, das kann ich ohne Übertreibung und ohne irgendjemand Unrecht zu tun sagen, durch dein Werk und deine Biografie besonders hervor.

Und so wuchsest du auf in einem Südafrika des Umbruchs, ab 1948 dem Apartheid-Staat Südafrika mit einer brutalen Rassentrennung, deren Rassismus direkt auf den abscheulichen so genannten „Rassegesetzen“ der Nazis fußte. Deine eigene Erfahrung mit dem Rassismus als Anti-Semitismus in Nazideutschland machte dich sensibel für die himmelschreiende Ungerechtigkeit dieses Systems, die du tagtäglich erlebtest, in deinem ersten Job in einer Rechtsanwaltskanzlei, dann in einem Versicherungsbüro – überall in der südafrikanischen Gesellschaft. Da war es nur zwangsläufig, dass du schon früh von Menschen umgeben warst, die in Opposition zur Apartheidsregierung standen. Widerstand gegen Unterdrückung und Unrecht wurde für dich zu selbstverständlichen Konsequenz deiner eigenen Erfahrungen, Gerechtigkeit eine deiner wichtigsten Lebensmaximen.

In der UKV, der Unabhängigen Kulturvereinigung, lerntest du Hans Weiss kennen, einen Berliner Journalisten, der ebenfalls vor den Nazis nach Südafrika geflohen war und der nach dem 2. Weltkrieg für die neu entstehenden deutschen Zeitungen zu schreiben begann, darunter auch die Frankfurter Rundschau. Durch Hans Weiss kamst du zum Journalismus, ließ er dich doch die Wirtschaftsartikel schreiben, die ihm eher lästig waren, für die du aber durch deine Arbeit in der Versicherungsbranche die notwendige Kompetenz mitbrachtest. Da war deine berufliche Laufbahn vorgezeichnet, und du setztest dich in der damals noch stark, jedenfalls stärker als heute von Männern dominierten Berufswelt mit derselben Selbstverständlichkeit durch wie vorher in der Versicherungsbranche.

Dann folgten viele, viele Jahre des Journalismus, für die Financial Mail in Südafrika und später Salisbury, Rhodesien, für die Times of Zambia, als du das Rhodesien der weißen Minderheitsregierung verlassen und nach Lusaka gehen musstest, unter anderem, weil du als Investigativjournalistin die Umgehung der Sanktionen durch das Regime von Ian Smith aufgedeckt hattest. Auch bei der Deutschen Welle in Köln warst du einige Jahr als „Chefin vom Dienst“ mitverantwortlich für das Afrika-Programm, verließest Deutschland jedoch wieder Richtung London, weil dir der Antisemitismus der Kriegsgeneration, die damals noch an vielen Schaltstellen von Gesellschaft und Politik saß, unerträglich war. Da zogst du es vor, als „Freie“ zu arbeiten, unter anderem für den englischen Guardian und den Investor‘s Chronicle.

Lutz Kliche während der Laudatio für Ruth Weiss. Foto: Alexander Paul Englert

Nach unserer so wunderbaren und fruchtbaren ersten Zusammenarbeit an deiner Autobiografie, bei der ich mich als junger „Eleve“, der ich damals ja noch war, immer von dir als der erfahrenen Autorin ernst und für voll genommen fühlte, haben wir im Peter Hammer Verlag zusammen noch ein besonderes Buch gemacht, „Afrika den Europäern“, ein ungewöhnlich aufwändig gestaltetes historisches Sachbuch über die so genannte „Kongo-Konferenz“, bei der sich im Jahre 1884 in Berlin auf Einladung von Bismarck die Kolonialmächte trafen, um Afrika unter sich aufzuteilen, und sie sich 1984 zum einhundertsten Male jährte. Als das Buch – übrigens unter der Mitautorenschaft von Hans Mayer und Anthony Martin – in jenem Jahr erschien, warst du schon wieder nach Afrika, nach Zimbabwe ausgereist, um dort, nachdem das Land seine Unabhängigkeit, seine Befreiung erstritten hatte, Journalisten auszubilden und so zum Aufbau eines neuen, eigenständigen Pressewesens beizutragen. Und nicht nur das: Das befreite Zimbabwe war ja einer der so genannten „Front Line States“, einer der Frontstaaten gegenüber dem Südafrika der Apartheid, und außer der Arbeit der Journalistenausbildung und des Berichtens aus Zimbabwe und den anderen Ländern des südlichen Afrikas trugst du durch die Mitarbeit bei ZISA, dem Zimbabwe Institute for Southern Africa, deinen Teil zum Ende der Apartheid bei. Das ZISA brachte in den späten 1980er-Jahren schwarze und weiße Südafrikaner, Entscheidungsträger, zusammen – was wegen der Apartheid in Südafrika selbst unmöglich war –, die durch diese Treffen den friedlichen Übergang in ein neues, demokratisches Südafrika vorbereiteten.

1992 kamst du nach Europa, nach England, zurück, um nun langsam, mit beinahe 70 Jahren, an so etwas wie Ruhestand zu denken – der allerdings – wie konnte es anders sein – eher zu einem Unruhestand geriet. Du begannst, nach all dem Journalismus, all den Sachbüchern auch, Romane zu schreiben, in denen du deiner Lust am Fabulieren freien Lauf lassen konntest. Und dieses späte schriftstellerische Œuvre kann sich sehen lassen: In drei Jahrzehnten sind mehr als 40 Romane entstanden, von denen bisher nur einige veröffentlicht werden konnten. Sie zeigen, welch kreativer Reichtum dir zu eigen ist, zu ganz unterschiedlichen Themen und durchaus auch in unterschiedlichen literarischen Genres. Da sind an erster Stelle die historischen Romane zur jüdischen Geschichte zu nennen, natürlich vor allem zur deutsch-jüdischen Geschichte: Der 7-bändige Familienroman „Die Löws“, ein veritables Epos, erzählt die Geschichte einer jüdischen Familie in Deutschland vom 30-jährigen Krieg durch vier, fast fünf Jahrhunderte bis in die heutige Zeit, er ist eben nicht nur die Geschichte einer Familie, sondern auch ein Roman über die deutsche, die europäische Geschichte durch diese Jahrhunderte, die den Hintergrund der Handlung bildet. Da ist dir, liebe Ruth, ein wirklich großer Wurf gelungen, ein Gesellschaftsroman, der den Vergleich mit anderen großen Werken der Weltliteratur nicht zu scheuen braucht, voller spannender Entwicklungen, voller Emotionen, voller Dramatik, aber auch voller historischer Fakten und oft kaum bekannter Informationen, die du als die versierte Journalistin, die du bist, meisterhaft recherchiert hast. Denn das ist ja, wie du selbst sagst, für dich die Rolle der Literatur: Du siehst sie auch als Mittel der Information, der Aufklärung mit Gefühlen. Und meisterhaft entgehst du in diesem 7-bändigen Werk und deinen anderen Romanen der Gefahr, dass sich die Intention der Wissensvermittlung vor die realistische Schilderung und Gestaltung der handelnden Personen legt. So geht man als Leser, als Leserin mit ihnen durch die Geschichten ihres Lebens, Liebens und Leidens und sagt sich: So oder so ähnlich könnte es tatsächlich gewesen sein.

Außer den „Löws“ sind da ja noch eine Reihe weiterer wichtiger historischer Romane: „Der jüdische Kreuzfahrer“, dessen Geschichte im 11. und 12. Jahrhundert spielt; „Der spitze Hut“ über die Ereignisse um die Judenpogrome in Süddeutschland im 14. Jahrhundert, hier ist die Hauptperson ein jüdischer Minnesänger, gestaltet nach einer historischen Vorlage, dem Süßkind von Trimberg; „Deboras Lied“, in dem es über die Geschichte der Jüdinnen und Juden in England geht, „Der Diamantenschleifer“, der ebenfalls im ausgehenden Mittelalter spielt, hauptsächlich in Antwerpen. Aber auch „Lilith“ wäre zu nennen, ein Roman, der mit der Zerstörung des zweiten Jerusalemer Tempels im Jahre 70 nach Christus beginnt und über verschlungene Erzählpfade auch nach Deutschland, nach Köln führt. Wir sehen, es ist ein Gesamtwerk entstanden, das einen großen Teil der Geschichte des jüdischen Volkes erzählerisch abbildet, ein ungeheurer Schatz an Geschichten und Geschichte, an erzählerisch vermitteltem Wissen.

Über allem steht aber deine Toleranz gegenüber anderen, anders Denkenden, anders Glaubenden, anders Fühlenden, anders Aussehenden, und du bringst dies selbst oft explizit zum Ausdruck, wenn du gefragt wirst, was du dir als wichtigstes wünscht für unser Zusammenleben: gegenseitige Toleranz.

Natürlich beschäftigt sich Ruth in einigen ihrer Romane auch mit Afrika, vor allem mit Südafrika, und ich bin persönlich besonders froh darüber, dass ich dafür sorgen konnte, dass der Roman „Meine Schwester Sara“ im Jahre 2002 das Licht der Welt erblickte und als echter Bestseller und Longseller immer noch erhältlich ist. Eine besonders einfühlsame Geschichte, die Geschichte eines kleinen jüdischen Waisenmädchens, im KZ geboren, das nach dem Ende des 2. Weltkriegs von einer südafrikanischen Burenfamilie adoptiert wird, die irrtümlich glaubt, eine „arische“ deutsche Kriegswaise adoptiert zu haben, worauf der Vater, als sich der Irrtum aufklärt, das Kind kategorisch und brutal ablehnt. Durch seine Erfahrungen der Ausgrenzung schließt sich Sara dem Widerstand gegen das Apartheidsregime an, ihre Spur verliert sich in den Wirren des Aufstands von Soweto.

Nicht zu vergessen die Krimis um Miss Moore, eine ehemalige Angehörige des britischen Geheimdienstes MI 5, die schon als junges Mädchen mit dem Fallschirm hinter den feindlichen deutschen Linien abgesprungen ist und in ihrem Ruhestand Mordfälle löst, die immer einen politischen, gesellschaftlich relevanten Hintergrund haben. Diese Krimis zeichnet ein immer gut dosierter, nie übertriebener schwarzer (englischer) Humor aus, der auch in manchen von Ruths anderen Romanen zum Ausdruck kommt.

Alle deine Bücher, Ruth, sind geprägt von der Haltung, von den Werten, den Überzeugungen, die dich selbst und dein Leben geprägt haben und die auf so authentische Weise auch in deinen Romanen zum Ausdruck kommen.  Da ist einmal eine unbedingte Verpflichtung zur Wahrheit, die natürlich aus deiner journalistischen Praxis herrührt und die bei aller dichterischen Freiheit auch in erzählender Literatur, zumal wenn es sich um historische Romane handelt, eine wichtige Rolle spielt. Deine Romane zur jüdischen Geschichte, zur Geschichte Südafrikas, auch die Krimis um Miss Moore sind mit größter Sorgfalt recherchiert. Inhaltliche Kompetenz, was die Stoffe angeht, souveräner Umgang mit den Fakten und Hintergründen, Verstandesschärfe und sichere Urteilskraft, Gerechtigkeit auch gegenüber der historischen Realität zeichnen deine Bücher aus.

Getreu deiner Maxime „Wissensvermittlung mit Gefühlen“ kommt jedoch in deinen Romanen auch deine menschliche, ethische Haltung zur Geltung. Hier möchte ich an erster Stelle dein hohes Maß an Empathie für andere Menschen nennen, an Verständnis für das Menschliche, manchmal allzu Menschliche. Dieses Verständnis bezieht, bei aller Klarheit und Schonungslosigkeit im Urteil, auch die Täter mit ein: So hat es mich immer beeindruckt, wie du, wenn du aus deinem eigenen Leben erzählst, davon berichtest, wie die Deutschen in der Nazizeit – durch Hetzblätter wie den „Stürmer“ und andere Propagandainstrumente – antisemitisch indoktriniert wurden, und dann feststellst, dass es nachvollziehbar ist, wenn die Menschen dann diese antisemitischen Einstellungen übernommen haben. Natürlich entschuldigt diese scharfsinnige Analyse nichts, weder den Antisemitismus noch den Rassismus, die Ausgrenzung und Diskriminierung überhaupt, doch die Analyse, das Verständnis schafft die Grundlage dafür, dass Hass nicht mit Hass beantwortet wird. Von B. Brecht stammt der Satz: Auch der Hass gegen die Niedrigkeit verzerrt die Züge. Von dir habe ich, solange, wie ich dich kenne, nie irgendeinen Ausdruck von Hass gehört, auch wenn du Grund genug dafür gehabt haben magst. Auch dadurch bist du ein großes Vorbild für mich.

Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, wird Ruth oft gefragt, wo für sie Heimat ist, ob sie überhaupt eine Heimat oder ein Heimatgefühl hat. Sie antwortet dann, dass Heimat für sie dort ist, wo sie Freunde hat und sich verstanden fühlt.

Macht es dir deine Empathie möglich, keinen Hass gegenüber den Tätern zu empfinden, so sorgt sie andererseits dafür, dass dein Verhältnis zu den Opfern, den Leidenden, den Verfolgung, Ausgrenzung und Diskriminierung Erleidenden von Herzenswärme und Güte geprägt ist, die dich das Erlittene realistisch darstellen und literarisch gestalten lässt.

Über allem steht aber deine Toleranz gegenüber anderen, anders Denkenden, anders Glaubenden, anders Fühlenden, anders Aussehenden, und du bringst dies selbst oft explizit zum Ausdruck, wenn du gefragt wirst, was du dir als wichtigstes wünscht für unser Zusammenleben: gegenseitige Toleranz.

Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, wird Ruth oft gefragt, wo für sie Heimat ist, ob sie überhaupt eine Heimat oder ein Heimatgefühl hat. Sie antwortet dann, dass Heimat für sie dort ist, wo sie Freunde hat und sich verstanden fühlt. Das spiegelt ihr bewegtes Leben wider und zeigt ihre Großherzigkeit. Und es erinnert mich an Hannah Arendts große Worte: „Nie in meinem Leben habe ich ein Volk oder ein Kollektiv geliebt – nicht das deutsche, nicht das französische, nicht das amerikanische, nicht die Arbeiterklasse oder irgend etwas anderes dieser Art. Ich liebe ,nur‘ meine Freunde, und die einzige Liebe, die ich kenne und an die ich glaube, ist die Liebe zu den Menschen.“

Mir hat Ruth mit ihrem Leben und ihrem Werk einen Begriff von Heimat vermittelt, wie ihn Ernst Bloch in seinem Opus Magnum „Das Prinzip Hoffnung“ definiert. Bloch spricht dort von der „Utopie vom Umbau der Welt in Heimat“, sie ist für ihn das Ziel aller menschlichen Hoffnung. Das lange Leben und das große Werk von Ruth Weiss stehen für mich ganz im Zeichen dieser Hoffnungsphilosophie. Und so möchte ich mit den Worten schließen, die auch Blochs großes Werk der Hoffnungsphilosophie beschließen:

„Der Mensch lebt noch überall in der Vorgeschichte, ja alles und jedes steht noch vor Erschaffung der Welt, als einer rechten. Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.“

Verleihung des OVID-Preises an Ruth Weiss, v.l.n.r.: Dr. Deborah Vietor-Engländer (PEN Zentrum), Lutz Kliche, Ruth Weiss, Martin Maria Schwarz (hr2-kultur), Dr. Sylvia Asmus (Leiterin Deutsches Exilarchiv). Foto: Alexander Paul Englert

Liebe Ruth, durch dein Leben und dein Werk, durch dein Lebenswerk, hast du uns allen unendlich viel gegeben. Dafür sei dir im Namen von uns allen gedankt, es soll uns Ansporn sein, in so unsicheren und oft genug dystopischen Zeiten an unserer Hoffnung auf eine bessere Welt festzuhalten und zu ihr, wo immer es uns möglich ist, beizutragen, so wie du es über so viele Jahre durch dein Leben und dein Werk getan hast.

Ruth Weiss wurde 1924 als Kind jüdischer Eltern in Fürth bei Nürnberg geboren. Ihr Vater verlor 1933 bereits kurz nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten seine Arbeitsstelle und wanderte mit Hilfe von Verwandten nach Südafrika aus. 1936 konnte auch die restliche Familie, darunter die damals 11-jährige Ruth, nach Johannesburg nachkommen. Sensibilisiert durch das eigene Schicksal als verfolgte Jüdin und durch ihre Mitarbeit im »Unabhängigen Kulturverein«, einem Zusammenschluss deutscher Emigrant*innen, entwickelte Ruth Weiss schon bald ein politisches Verständnis und Bewusstsein, das ihr Lebenswerk als Journalistin und Autorin bis heute prägt. Ruth Weiss schreibt gegen Rassismus und Diskriminierung an. Sie ist Autorin zahlreicher Sachbücher und historischer Romane, darunter Bestseller sowie Bücher, die als Pflichtlektüre für den Schulunterricht dienen. Weitere Infos unter: Ruth Weiss Gesellschaft – Ruth Weiss Gesellschaft e.V. (ruth-weiss-gesellschaft.de)

Der OVID-Preis wird seit 2017 vom PEN-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland verliehen. Die feierlicher Preisverleihung findet seither in Kooperation mit dem Deutschen Exilarchiv 1933-1945 in der Deutschen Nationalbibliothek statt. Weitere Infos unter: OVID PREIS – Exil Pen | PEN Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Alexander Paul Englert

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  • ISSN 2751-3238