Luftschiff und Schwimmbad

5. April 2023
von Tina Bode

Die Mitarbeiter*innen der Deutschen Nationalbibliothek arbeiten in der Regel an Schreibtischen und (noch nicht allzu lange in der 111-jährigen Geschichte) vor Computern sitzend. Doch bekanntlich kann kein Mensch den ganzen Tag hochkonzentriert sein.

Der moderne Arbeitsschutz regt sogar an, hin und wieder den Blick vom Arbeitsplatz weg aus dem Fenster in die Ferne schweifen zu lassen. So kann sich das Auge entspannen. Die Gefahr der Ablenkung ist natürlich gegeben. In der Regel bietet der Blick hinaus gewohnte Ansichten, zum Beispiel auf den begrünten Deutschen Platz oder auf das Messegelände.

Manchmal aber sind es auch ungewöhnliche Ausblicke, die sich in Fotografien verewigt haben. So konnte man einst aus der Deutschen Bücherei Leipzig (seit 2006 Deutsche Nationalbibliothek) gen Erde auf ein Schwimmbad schauen und gen Himmel Luftschiffe sehen!

Ein Herr der Lüfte über der Deutschen Bücherei

Am 3. Oktober 1928 überflog der 236,6 Meter lange Graf Zeppelin, das bis dahin größte Luftfahrzeug der Welt, die Deutsche Bücherei (Abb. 1).

Hauptgebäude der Deutschen Bücherei, darüber am Himmel ein Zeppelin
Das Luftschiff Graf Zeppelin über der Deutschen Bücherei, Foto: M. Thon, 3.10.1928

Es war die große Zeit der Luftschiffe, die nach ihrem Erfinder Ferdinand Graf von Zeppelin (1838-1917) synonym Zeppelin genannt wurden und ab den 1920 Jahren auch Eigennamen besaßen.

Im Jahr 1900 startete das erste Luftschiff in Friedrichshafen am Bodensee – eine Weltsensation. Die gigantischen Luftfahrzeuge waren touristische Attraktionen, wurden aber durchaus auch skeptisch als Luftfahrzeuge der Zukunft für militärische Zwecke oder die Personenbeförderung beurteilt. Ferdinand Graf Zeppelin akquirierte jedoch ausreichend Spendengelder für einen Unternehmensaufbau. Ziel war es, einen Linienverkehr zwischen deutschen und anderen europäischen Großstädten zu etablieren.

Wie viele andere Städte leistete sich auch Leipzig einen eigenen Luftschiffhafen. Er wurde 1913 im Beisein S. M. König Friedrich August von Sachsen eingeweiht. Es war bis dahin die größte Anlage ihrer Art weltweit, von der in jedem Sommer 100 Fernfahrten starten sollten. Die sächsische Metropole lag unter anderem auf der Flugroute Friedrichshafen – Berlin, die in 8 Stunden bei durchschnittlich 75 km/h bewältigt werden konnte. Der Anblick eines Luftschiffes am Himmel über Leipzig war folglich nicht so außergewöhnlich wie aus heutiger Retrospektive.

Nicht ahnen konnte die Mitarbeiterin der Deutschen Bücherei, die im Oktober 1928 den gerade erst in den Dienst gestellten Graf Zeppelin beim Überfliegen des Hauses fotografierte, dass dieses Luftschiff das erfolgreichste Verkehrsluftschiff seiner Zeit werden sollte. Vor allem eine 20-tägige Weltfahrt (1929) und eine Polarfahrt (1931) machten es neben Fernfahrten nach Nord- und Südamerika oder in den Orient berühmt.

Das Unglück des Luftschiffs Hindenburg, das bei einer Landung im Jahr 1937 in Flammen aufging, führte neben dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zum Niedergang der Luftschifffahrt. So mutet der seltene Anblick von Luftschiffen heute zugleich faszinierend wie fremd an.

Ein Vergnügungspark vor dem Fenster

Zwei Jahre nach dem Überflug des Luftschiffs über die Deutsche Bücherei, im Jahr 1930, bot sich wiederum ein interessanter und vermutlich sehnsüchtiger Ausblick aus dem Fenster: ein beachtliches Schwimmbad erstreckte sich gegenüber auf der heutigen Fläche der Bio City Leipzig.

Das Becken war Teil eines Vergnügungsparks, der anlässlich der Internationalen Pelzfach-Ausstellung (IPA) geschaffen worden war (Abb. 2). An der groß angelegten Fachausstellung der Pelzbranche beteiligten sich 15 Länder auf 400.000m2 Ausstellungsfläche auf dem Gelände der Technischen Messe.

Der Vergnügungspark zur Internationalen Pelzfach-Ausstellung 1930. Im Hintergrund die Deutsche Bücherei; Postkarte, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv.Nr. F/1047m/2010

Ein großer wirtschaftlicher Erfolg war die Messe vor dem Hintergrund der einsetzenden Weltwirtschaftskrise nicht. Sie wurde nie in Leipzig oder andernorts in Deutschland wiederholt (aus Perspektive des Tierwohls darf man sagen, zum Glück).

Die Idee, parallel zu einer großen Ausstellung einen Vergnügungspark anzulegen, war keineswegs neu. Hier wurden die Besucher gastronomisch versorgt, unterhalten und nicht zuletzt damit angelockt. Neben dem Schwimmbad befand sich auf dem Gelände des Parks auch eine Achterbahn, eine Rodelbahn sowie eine Zeppelinschau.

In der Werbebroschüre zur von Mai bis September 1930 stattfindenden Pelzfach-Ausstellung hieß es: „Der weltstädtische Vergnügungspark bietet den Besuchern Erholung und Zerstreuung in mannigfachster Form“. Im Veranstaltungsprogramm wurde der Park empfohlen „für die Damen und die an den Sitzungen nicht beteiligten Herren“.

Jenseits der Besucher*innen der Ausstellung erfreuten sich offensichtlich die Leipziger*innen besonders am Schwimmbad. Noch war die Leipziger Seenlandschaft ferne Zukunft. So blieb das Freibad nebst dem angrenzenden Restaurant (Abb. 3) auch nach der Ausstellung erhalten, wurde dann aber im Zweiten Weltkrieg durch Bomben zerstört.

Freibad und Restaurant im Vergnügungspark der Internationalen Pelzfach-Ausstellung 1930. Im Hintergrund die Deutsche Bücherei; Postkarte, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig, Inv.Nr. F/1047j/2010

Lasst das Auge schweifen

Ein Blick durchs Fenster nach draußen lohnt sich – früher wie heute, auch auf die anderen ca. 100-Jährigen: die Laubbäume auf dem Deutschen Platz, die inzwischen mit ihren Kronen bis auf die Höhe der dritten Etage der Bibliothek reichen. Könnten sie sprechen, würden sie wohl auch so manche Geschichte erzählen.


Literatur:

Der Zeppelin – Luftschiff des Kaiserreichs 1909, in: Deutsche Geschichte in Dokumenten 7 (2022), Faltblatt. Grüttel, Else, Im Luftschiff über Sachsen, Bd. 1 Leipzig und Umgebung, Stuttgart 1914.
IPA, Internationale Pelzfachausstellung, Jagdausstellung, [Werbedruck, Sammelmappe], Leipzig 1930.
Internationale Pelzfach-Ausstellung, in: wikipedia. Die freie Enzyklopädie (Abruftag: 9.2.2023).

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:M. Thon

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