„Freiheit“ auf dem Schiff

14. Mai 2024
von Sylvia Asmus und Stephanie Jacobs

Das Wissenschaftsschiff des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) geht wieder auf Tour! In diesem Jahr lautet das Thema „Freiheit“. Die Deutsche Nationalbibliothek ist mit an Bord gegangen und beteiligt sich mit vier Beiträgen auf der Rundreise durch Deutschland.

Ein Boot mit der Aufschrift "MS Wissenschaft" steht angedockt an einem Fluss.
Wissenschaft im Dialog auf dem Wasser: MS Wissenschaft © Retusche: Ralitsa Kirova, CC BY-SA 4.0

Das Deutsche Buch- und Schriftmuseum und das Deutsche Exilarchiv sind von Mai bis September 2024 mit zahlreichen Exponaten und Workshopangeboten und diesen Themen vertreten: „Das Buch der Freiheit: 75 Jahre Grundgesetz“, „Gutenberg und die Demokratie. Der Buchdruck als Instrument der Meinungsfreiheit“, „Störenfriede. Protest in der DDR. Kunst als Fenster zur Freiheit“ und „Frag nach! Digitale interaktiven Interviews mit Überlebenden des Holocaust und des Exils“.

Blick in das Schiff: Entwürfe für die Inneneinrichtung der MS Wissenschaft, (c) molitor GmbH

Das Buch der Freiheit: 75 Jahre Grundgesetz – Freiheitsgarantie für die Demokratie

Anlass und Thema der „Freiheitstour“ ist der 75. Geburtstag des Grundgesetzes. Wir sind stolz, dass das Deutsche Buch- und Schriftmuseum mit großer Unterstützung von Kolleg*innen der Inhaltserschließung das zentrale Thema der MS Wissenschaft – das Grundgesetz – kuratieren darf. Wir geben unter dem Titel „Das Buch der Freiheit“ einen Einblick in die Rezeptionsgeschichte dieses „Buches der Bücher“ und greifen dabei auf den Fundus der Deutschen Nationalbibliothek zurück.

Das Grundgesetz ist das Fundament unserer Demokratie. Vor 75 Jahren – vier Jahre nach Ende des Nationalsozialismus – verfasst, enthält es viele Regeln, die wichtig für unser friedliches Zusammenleben sind. Insbesondere die in den ersten Artikeln formulierten Grundrechte schützen die Freiheit eines jedes Einzelnen. Das Grundgesetz ist ein großer Schatz, der von Menschenliebe und Achtung gegenüber Andersdenkenden zeugt und Schutz vor staatlicher Willkür bietet. Dass das alles nicht selbstverständlich ist, zeigt ein Blick auf andere Gegenden der Welt, in denen Diktatoren und Menschenverächter freie Bahn haben. Dass das Grundgesetz angesichts sich wandelnder Lebensverhältnisse auch immer wieder neu gedacht und verhandelt werden muss, hält den 75 Jahre alten Text lebendig.

Demonstration in Leipzig, Foto: LVZ picturework / Dirk Knofe

Das Ausstellungsmodul zeigt in wenigen Objekten, wie dieses Buch auf dem Publikationsmarkt rezipiert wurde. Ausgehend von den in Pergament bzw. rotem Leder gebundenen Urschriften von 1949 deuten wir die umfangreiche Palette von Grundgesetzausgaben und -bearbeitungen an: die teuren und die billigen, die literarischen und die künstlerischen, die lustigen und die fachlichen bis hin zu den kostenlosen Ausgaben für jeden Abiturjahrgang. Literarische Bearbeitungen etwa von Herta Müller oder Wolf Biermann stehen neben Ausgaben in Brailleschrift, Künstlerbüchern und Kinderbüchern.

Aber auch Comics und Karikaturen, eine Fülle an juristischer Fachliteratur und Übersetzungen sind dabei. Die Medien sollen in ihrer Vielfalt zur Lektüre dieses für die Geschichte unseres Landes so zentralen Textes animieren. Denn nüchtern und zurückhaltend im Stil, ist der Gesetzestext zugleich ein „bemerkenswert schöner Text“ – wie der Schriftsteller Navid Kermani sagt. 

Parallel zur Ausstellung auf der MS Wissenschaft ist der Jahrestag des Grundgesetzes zudem Thema in der Foyerpräsentation „Wir! 75 Jahre Grundgesetz. Eine Publikationsgeschichte“ (9. Mai bis 17. November 2024) und der gleichnamigen Virtuellen Ausstellung.

Die beiden anderen Themen der MS Wissenschaft 2024, die das Deutsche Buch- und Schriftmuseum verantwortet sind das Ausstellungsmodul „Gutenberg und die Demokratie“, das die Erfindung des Buchdrucks als Instrument der Meinungsfreiheit vorstellt, sowie „Störenfriede. Kunst, Protest und das Ende der DDR“, das sich dem Thema Kunst als Fenster zur Freiheit widmet.

Gutenberg und die Demokratie

Handgießinstrument, Foto: Klaus-D. Sonntag

Ein weiteres Thema auf der MS Wissenschaft stellt den Buchdruck als Instrument der Meinungsfreiheit vor. Denn erst durch die Erfindung von Johannes Gutenberg – den Druck mit metallenen Lettern – konnten Texte massenhaft verbreitet werden. Vor Gutenberg musste jeder Text mühsam per Hand abgeschrieben werden. Der Buchdruck sorgte für eine explosionsartige Verbreitung von Wissen, z.B. durch Flugblätter: für mehr Meinungsfreiheit und Demokratie. Gutenbergs Technik war daher jahrhundertelang Wegbereiter für Revolutionen und Demokratiebewegungen, die ohne die massenhafte Verbreitung von Texten kaum denkbar gewesen wären. Die technischen Grundlagen: Blei, Metallbuchstaben, das Gießinstrument, ein Löffel und die Druckerpresse. Heute sind die digitalen Medien schneller bei der Verbreitung von Informationen, aber auch anfälliger für Fakenews. Also: Vorsicht!

Störenfriede. Kunst, Protest und das Ende der DDR – oder: Kunst als Fenster zur Freiheit

Jazzfestival in Peitz, 1980, Foto: Matthias Creutziger

Diktaturen schränken unliebsame Meinungsäußerungen ein, verbieten den freien Austausch von Gedanken und zwingen Autor*innen und Künstler*innen in die innere und äußere Emigration. Die oppositionelle Kunstszene in der DDR aber ließ sich den Mund nicht gänzlich verbieten. Die um 1960 in den USA begründete Mailart („Postkunst“) fand unter den Künstler*innen der DDR großen Anklang. Die Kommunikation über Postwege machte Mailart zu einem „Fenster zur Welt“. Doch durch die Staatssicherheit der DDR aus der Post gefischt, wurden die Karten für Ihre Absender zur lebensbedrohlichen Gefahr.

Auch oppositionelle Künstlerzeitschriften waren in der DDR-Kunstszene verbreitet, aber natürlich offiziell verboten. In kleinsten Auflagen mit Kreativität und Mut hergestellt, enthielten sie oft subversive Texte und Bilder.

Mail Art in der Ausstellung „Störenfriede. Kunst, Protest und das Ende der DDR“, Dt. Buch- und Schriftmuseum, 2019, Foto: Andreas Tauber
Brief des Bürgermeisters von Peitz an Ulli Blobel, Initiator der Jazzwerkstatt, 1982:
Brief des Bürgermeisters von Peitz an Ulli Blobel, Initiator der Jazzwerkstatt, 1982, Repro: Ulli Blobel

Und auch die Musik hat ihren Beitrag dazu geleistet, das Machtmonopol der SED zu unterwandern: Die Jazzwerkstatt Peitz – 1972 am Rande der Lausitzer Teichlandschaft von Ulli Blobel und Metag initiiert – mauserte sich binnen weniger Jahre zu einem Pilgerort für Jazzer aus vielen Teilen Europas und für die oppositionelle Kunstszene in der DDR. Dem Staat wurde das Anfang der 1980er Jahre zu bunt – und zu gefährlich: Inzwischen pilgerten bis zu 4.000 Jazzenthusiasten in die Lausitz. Die Stasi schließlich entzog den Verantwortlichen die Veranstaltungslizenz, die Jazzwerkstatt war am Ende – mit zum Teil verheerenden Konsequenzen für die mutigen Akteur*innen.

Frag nach! Digitale interaktive Interviews mit Überlebenden des Holocaust und des Exils

Blick in das Schiff, 2: Entwürfe für das Exponat „Frag nach!“ des Exilarchivs auf der MS Wissenschaft, (c) Framegrabber Medien GmbH.

Das Deutsche Exilarchiv widmet sich mit seinem Exponat auf der MS Wissenschaft den Themen Zeitzeug:innenschaft und Künstliche Intelligenz. Inge Auerbacher und Kurt Salomon Maier haben den Nationalsozialismus als jüdische Kinder in Deutschland erlebt. Sie haben erfahren, was es bedeutet, wenn man die Freiheit verliert, wenn man keine demokratischen Grundrechte mehr hat. Kurt Salomon Maier wurde mit seiner Familie in dem französischen Lager Gurs interniert, sie konnten von dort in die USA entkommen. Inge Auerbacher als eines von nur wenigen Kindern das Ghetto Theresienstadt überlebt. Als sogenannte Displaced Persons konnten ihre Eltern mit ihr nach Kriegsende in die USA einreisen. Vor dem Hintergrund dieser Erlebnisse hat Freiheit für Ing Auerbacher und Kurt Salomon Maier eine ganz besondere Bedeutung. Davon berichten sie in den interaktiven, digitalen Interviews, die das Deutsche Exilarchiv in Kooperation mit der USC Shoah Foundation von Inge Auerbacher und Kurt Salomon Maier erstellt hat.

Ausschnitt aus der Graphic Novel zur Biografie Inge Auerbachers, Illustration: Hamed Eshrat

Je 900 Fragen haben die beiden beantwortet. Mit Hilfe Künstlicher Intelligenz können ihre digitalen Zeitzeugnisse in der Ausstellung „Frag nach!“ im Deutschen Exilarchiv in Frankfurt am Main oder online auf fragnach.org als interaktives Medium befragt werden. Auf der MS Wissenschaft machen Graphic Novels und Interviewsequenzen deutlich, warum es sich lohnt, Demokratie und Freiheit zu verteidigen.

In Potsdam bietet das Exilarchiv an Bord der MS Wissenschaft an vier Terminen den Workshop „Vom Wert der Freiheit“ an. Die Teilnehmer:innen lernen die Lebensgeschichten von Inge Auerbacher und Kurt S. Maier kennen und erfahren, was sie in ihren digitalen interaktiven Interviews von der Missachtung und dem Entzug von Rechten und Freiheiten berichten. Ihre Erzählungen laden auch dazu ein, sich selbst zu befragen: Welche Freiheiten sind mir besonders wichtig und was kann ich tun, um Freiheit zu schützen?

Netzwerk wissenschaftlicher Partnerinstitutionen

Das Einmalige an der Initiative des Forschungsministeriums ist, dass sich auf der MS Wissenschaft auch in diesem Jahr wieder ganz unterschiedlich Player der deutschen Wissenschaftslandschaft an Bord trifft: Von den verschiedenen Max Planck-, Fraunhofer- und Leibnizinstituten über das Wissenschaftszentrum Berlin und das Zentrum für Konfliktforschung, Marburg bis hin zum Museum Koenig. Sie alle verbindet das Thema Freiheit, das dem Publikum in überraschenden Variationen präsentiert wird. Dabei bietet das Schiff auch spannende Interaktionsmöglichkeiten. 

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:© Retusche: Ralitsa Kirova, CC BY-SA 4.0

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