Nicht nur Bücher – Kunst am Bau und mehr 1

3. Juli 2023
von Ellen Kipple

Für den Neubau der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, 1997 eröffnet, wurden im Rahmen der Kunst-am-Bau-Regelung durch einen Wettbewerb 6 Künstler*innen ausgewählt: Georg Baselitz, Jochen Gerz, Candida Höfer, Ilya Kabakov, Per Kirkeby und Tobias Rehberger. Kunst am Bau steht in Verbindung mit öffentlichen Baumaßnahmen, wird aus dem Bautitel finanziert und soll möglichst mit der Architektur, dem Ort, der Funktion oder der nutzenden Institution zusammenhängen. Im Laufe der Jahre haben sich in der Bibliothek noch weitere Kunstwerke von anderen Künstler*innen hinzugesellt.

Das moderne Gebäude der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main
Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main;
DNB, Stephan Jockel

Als ich an der Haltestelle „Deutsche Nationalbibliothek“ aus der U5 steige, fängt es an zu regnen. So beeile ich mich, dass ich, sobald ich die Straße überquert habe, unter dem rechtwinkeligen Torgang, der den Vorplatz der Bibliothek von der Kreuzung Adickesallee – Eckenheimer Landstraße abschirmt, kurz Schutz vor dem Regen finde. Dieser Gang erinnert mich an einen Kreuzgang in Klöstern, Stätten der Bildung, die rötlichen Backsteine an die Millionen von Büchern, die in der Nationalbibliothek untergebracht sind … Aber was ist das – der Regen fällt auf mein Smartphone und ich werde auch nass. Ich blicke nach oben und sehe, dass es gar kein „Dach“ gibt, sondern es sich eigentlich um eine Mauer handelt, die sich in rechten Winkeln fortsetzt. Das ergibt ein Mäander-Muster, wie es auch in der griechischen Antike oft verwendet wurde. Das Material des Backsteins für diese begehbare Skulptur ist typisch für den Künstler Per Kirkeby, der in Dänemark in einer Gegend mit vielen Backsteinhäusern aufgewachsen ist.

Die mäandernde Backsteinmauer schützt die Bibliothek vor dem Lärm und Trubel der stark befahrenen Kreuzung. Zugleich lenkt sie aber auch den Blick der vorbeigehenden Menschen auf sich und weckt deren Neugierde auf das, was dahinter ist.

Ich gehe zügig über die schiefergrauen Platten des Platzes in die Bibliothek, wo sich der Lavaboden fortsetzt, und stehe in der runden Eingangshalle. Mit erhobenem Arm begrüßt mich eine Frau auf einem Podest in der Mitte der Rotunde. Diese überlebensgroße Holzskulptur, die als Halbfigur in karierten Stoff gekleidet ist, heißt „Armalamor“. Das lässt an Liebe denken, hat aber eher mit Verehrung zu tun: „Armalamor“ ist ein Kunstwort und eine Hommage von Georg Baselitz, dem Schöpfer der Skulptur, an vier Künstler der Moderne – im Prinzip zusammengesetzt aus den Anfangssilben ihrer Namen: Hans Arp, Henri Matisse, Henri Laurens und Henry Moore. Eher grob bearbeitet und kantig belassen erinnert “Armalamor” an die Bildhauerkunst im Expressionismus, die sich wiederum gerne an afrikanischer Skulptur orientiert hat.

Nachdem ich allen Ballast – Schirm, Jacke, Tasche – im Schließfach zurückgelassen habe, schlendere ich durch die Lesesaallandschaft, die sich über 3 Ebenen erstreckt. Sofort fällt mir der große Bronzekopf an der Treppe zum Multimedialesesaal auf. Ganz anders als „Armalamor“ ist die Bronzebüste des Bildhauers Knud Knudsen –  bereits sehr früh, 1959, entstanden – realistisch gestaltet und zeigt Professor Hanns Wilhelm Eppelsheimer, den 1. Direktor der Deutschen Bibliothek, die hier in Frankfurt am Main 1946 im geteilten Deutschland als westliches Gegenstück zur Deutschen Bücherei in Leipzig gegründet wurde.

Im Erdgeschoss ein Stück weiter hinten befindet sich „Eifeltor“ des amerikanischen Künstlers John Gerard an der Wand. Ich lese “gegossenes Papier”, und denke, das passt doch auch heute noch sehr gut in eine Bibliothek.

Ich steige die Treppe zur Empore hinauf. Ganz am Ende des Zeitschriftenlesesaals leuchten links vier große blaue Rechtecke – an der Wand wiederum zu einem Rechteck mit Zwischenräumen angeordnet und jeweils durch eine dünne Trennlinie in zwei Seiten aufgeteilt. Darauf weiße Punkte, wie Sterne verschiedener Galaxien am Nachthimmel … Der in Hessen geborene Künstler Klaus Schneider hat in diesem Kunstwerk „Ein Würfelwurf“ ein Gedicht des französischen Dichters Stéphane Mallarmé, Ende des 19. Jahrhunderts entstanden, zunächst in die Brailleschrift, eine für blinde Menschen entwickelte Schrift aus erhobenen, tastbaren Punkten, umgesetzt. Dann löste er die Buchstaben des Gedichtes in Brailleschrift auf und brachte die Punkte mit der Heißklebepistole weiß leuchtend per Zufallsprinzip auf die tiefblau lackierten Laminatplatten. Er hielt sich dabei jedoch an die Position der Wörter im Gedicht, bei dem die Zeilen in einer für Mallarmés Zeit ungewöhnlichen typografischen Gestaltung unregelmäßig über vier Doppelseiten verteilt waren.

Un coup de dés jamais n’abolira le hasard – Ein Würfelwurf tilgt niemals den Zufall,

ich lese das Gedicht von Stéphane Mallarmé im Internet nach, bei einer heißen Tasse Schokolade in der Cafeteria der Bibliothek, wo 6 Farbfotos von anderen Bibliotheken erzählen. Sie stammen von der Fotografin Candida Höfer, die unter anderem in Bernd Bechers Fotoklasse an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert hat. Eines der Bilder zeigt einen Ausschnitt der kleinen wissenschaftlichen Bibliothek der Frankfurter Städelschule von 1993 mit weißen Regalen und 8 dunkelbraunen Holzstühlen um einen Tisch auf einem hellen Holzfußboden. Darüber ist ein Teil einer Galerie zu sehen und an der Wand ein quadratisches Fenster mit Blick ins Grüne. Typisch für die ruhigen und kontemplativen Bibliotheksfotos von Candida Höfer ist die Abwesenheit von Menschen, doch hier weisen Bücher und anderes Studienmaterial auf dem Tisch und nicht unter den Tisch zurückgeschobene Stühle auf die Benutzung der Bibliothek hin.

Tische und Stühle in der Cafeteria der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, an der Wand hängen 6 Farbfotos der Fotografin Candida Höfer mit Aufnahmen aus verschiedenen Bibliotheken, rechts im Bild ist der Umriss der Skulptur „Armalamor“ von Georg Baselitz in dem in blaues Licht getauchten runden Foyer der Nationalbibliothek zu sehen.
Bibliotheksbilder. Fotografien von Candida Höfer an drei Orten in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main. Kunst am Bau. Foto: DNB, Stephan Jockel

Weitere Fotos von ihr hängen auch im Foyer vor dem großen Vortragssaal. Eine dritte Fotoserie, in denen Candida Höfer das Thema Bibliothek aufgreift, befindet sich im Dienstbereich der Nationalbibliothek, der für Besucher*innen nur im Rahmen geführter Rundgänge zugänglich ist, den ich auf den Spuren der Kunst in der Nationalbibliothek in Frankfurt aber auch noch besuchen werde.   

Heute nicht mehr, sondern an einem anderen Tag.


Abbildungen der Kunst am Bau sowie zu „Ein Würfelwurf“ in der DNB in Frankfurt finden sich unter: https://www.museum-der-1000-orte.de/bauwerke/bauwerk/deutsche-nationalbibliothek.

Wer Informationen nachlesen möchte oder sich intensiver mit der Kunst in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt befassen will, vielleicht auch mit den anderen interessanten Kunstwerken, die ich hier nicht alle erwähnen konnte, kann sich aus den Beständen der Bibliothek das Buch “Zugabe – Kunst in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main” von Ruth Langen-Wettengl (2017) oder andere Literatur dazu – siehe auch https://www.museum-der-1000-orte.de/bauwerke/bauwerk/deutsche-nationalbibliothek – in unsere Lesesäle bestellen und dann darin schmökern und zugleich die öffentlich zugängliche Kunst am Bau real bestaunen.

Darüber hinaus werden in Gästeführungen vor Ort auch Kunstwerke im Dienstbereich besichtigt.

Bei bestehendem Interesse kann eine Führung speziell zur Kunst in der Bibliothek angeboten werden (Anmeldungen an: Fuehrungen-Frankfurt@dnb.de).

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB, Stephan Jockel

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  • ISSN 2751-3238