Spuren im Bestand

21. Juli 2023
von Eva Bös

Im November 1946, nach der Teilung Deutschlands, ist in Frankfurt die Deutsche Bibliothek gegründet worden. Sie war als westliche Archivbibliothek gedacht, da die Deutsche Bücherei in Leipzig nun in der Sowjetischen Verwaltungszone lag. Seit dieser Zeit werden in deutscher Sprache erschienene Publikationen in zweifacher Ausführung gesammelt.

Es ist gut vorstellbar, dass die ersten Neuzugänge für den Frankfurter Gründungsdirektor Hanns Wilhelm Eppelsheimer eine ganz besondere Bedeutung hatten. Zumindest vermittelt seine handschriftliche Notiz auf dem Innendeckel eines Buches im Frankfurter Bestand diesen Eindruck. Es handelt sich um den ersten Band der 1947 bzw. 1948 im Schweizer Spiegel Verlag (Zürich) erschienenen zweibändigen „Europäischen Kunstgeschichte“ von Peter Meyer: „Das erste Buch, das der Schweizer Verlag in die Dt. Bibliothek gab. Dez. 1947. Epp.“, ist dort in schwarzer Tinte festgehalten.

Foto: Alexander Englert, CC-BY-SA 3.0 DE

Frankfurt – „Pendant“ zu Leipzig?

Tatsächlich hatte die Deutsche Bibliothek in Frankfurt – wie auch das noch in der Neuordnung befindliche geteilte Land – einen schwierigen Start. Zuständigkeiten und die Finanzierung blieben lange unklar. Auch unter den Verlagen und Bibliotheken war die Gründung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt umstritten. Entsprechend wurde immer wieder diskutiert und verhandelt, bis abschließend geregelt war, welche Verlage nun gebeten werden sollten, Belegexemplare abzuliefern – und an welchen Standort. Eine Pflicht zur Abgabe von Druckwerken gibt es erst seit 1969.

Impressum aus Peter Meyer: Europäische Kunstgeschichte. Bd. 1. Zürich 1947, S. 4., PD-Mark 1.0

Kurz nach der Gründung umfasste der Frankfurter Bestand 14.000 Medieneinheiten (zum Vergleich: die 1912 gegründete Deutsche Bücherei in Leipzig verwahrte zu dieser Zeit über 2.000.000 Bände!). Das Konkurrieren um finanzielle Ressourcen, knappe Papiervorräte, Traditionsbewusstsein und weitere Faktoren haben die Anerkennung und Entwicklung des Frankfurter Standorts für einige Zeit gehemmt.

Es gab neben politischen auch praktische Gründe, die den Austausch von Neuerscheinungen zwischen der Sowjetischen und der von Westalliierten kontrollierten Besatzungszone erschwerten: Paketsendungen zwischen den Zonen waren auf ein Gewicht von 500 Gramm beschränkt, ab Februar 1947 war ein Kilogramm zulässig, sieben Kilogramm bis November 1947 nur mit Zielort Berlin. Gelegentlich teilten Verlage Belegexemplare in grammgenaue Portionen, um sie direkt an die jeweilige Bibliothek abliefern zu können. Ansonsten wurden auch Sammeltransporte organisiert, was allerdings zeitliche Verzögerungen mit sich brachte.

Ohne Bücher keine Bibliothek!

Der Erhalt eines Exemplars aus einem aktuellen Verlagsprogramm bedeutete also eine erfreuliche Erweiterung des Bestands und konnte möglicherweise auch als Zeichen der Anerkennung gelesen werden, das es zu würdigen galt. Vielleicht liegt hier der Grund für die abgebildete handschriftliche Eintragung von Hanns Wilhelm Eppelsheimer.

Übrigens haben wir die Inschrift während Digitalisierungsvorbereitungen gefunden: Aktuell werden die Monographien ab „Signatur 1“ – in Leipzig die Jahre ab 1912, in Frankfurt ab 1945 – Stück für Stück digitalisiert. Die Bestandserhaltung prüft den Zustand der Bücher im Vorfeld. Und natürlich wird dabei auch geblättert und ein bisschen gelesen.

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

Literatur:

Gesetz über die Deutsche Bibliothek. Vom 31. März 1969. In: Bundesgesetzblatt. Teil I, Nr. 28 (02.04.1969), S. 265–268. URL: https://www.bgbl.de/xaver/bgbl/start.xav?startbk=Bundesanzeiger_BGBl&jumpTo=bgbl169s0265.pdf

Roland Grimmer, Christa Junker: Geschichte der gedruckten Deutschen Nationalbibliographie. In: Dialog mit Bibliotheken 14,3 (2002), S. 10–20. (https://d-nb.info/1030946124)

Christian Rau: „Nationalbibliothek“ im geteilten Land. Die Deutsche Bücherei 1945–1990. Göttingen: Wallstein 2020, S. 191–221 (Kapitel 3. Risse: Bibliothekswesen und Buchmarkt im Zeichen des Ost-West-Konflikts). (https://d-nb.info/1211495442)

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Impressum aus Peter Meyer: Europäische Kunstgeschichte. Bd. 1. Zürich 1947, S. 4., PD-Mark 1.0

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  • ISSN 2751-3238