ÜberSetzen als Wagnis

19. Oktober 2021
von Maja Hetmank

Die Kabinettausstellung „ÜberSetzen – Von Babylon nach DeepL. Das Europa der Sprachen“ wurde am 4. November 2020 ganz im Stillen eröffnet – coronabedingt leider ohne Publikum. Auf externe Besucher*innen musste sie dann noch lange Monate bis zum Frühsommer 2021 warten.

Übersetzung als Sprach-, Kultur- und Wissenstransfer

Blick auf den Eingangsbereich der Ausstellung „ÜberSetzen – Von Babylon nach DeepL. Das Europa der Sprachen“ mit dem Babelturm und dem Ausstellungslogo
Die Ausstellung „ÜberSetzen. Von Babylon nach DeepL. Europa und seine Sprachen“ musste lange auf ihre Besucher*innen warten. Foto: Tecton, Julia Nitsche

Das Ausstellungsteam hatte und hat das gewagte Ziel, ein Schlaglicht auf die jahrtausendealte kulturelle Praxis des Übersetzens zu werfen und in zehn Vitrinen anhand verschiedener Subthemen zu beleuchten. Der Fokus liegt dabei auf der Transferleistung: Übersetzung als Sprach-, Kultur- und Wissenstransfer. Den Übersetzer*innen kommt dabei die schwierige Aufgabe zu, als Fährleute von einem sprachlich-kulturellen Ufer zum nächsten überzusetzen. Dieses Wagnis erfordert nicht nur ausgezeichnete Sprachkenntnisse, sondern auch ein Bemühen um das richtige Verstehen und, nicht zuletzt bei literarischen Übersetzungen, einen kreativen Geist. Die Ausstellung beleuchtet zudem wichtige Hilfsmittel, wie maschinelle Übersetzungsverfahren und Social-Media-Plattformen, die Übersetzer*innen vernetzen und unterstützen – und vielleicht eines Tages gar ersetzen könnten. Am Ende geht es auch um den uralten Menschheitstraum einer gemeinsamen Sprache, die es den Menschen nach dem biblischen Mythos ermöglicht hat, einen Turm bis in den Himmel zu planen – bis die babylonische Sprachverwirrung alles zunichtegemacht hat.

Übersetzen im Alltag: ein Kommunikationstransfer

Von Plänen, die nicht aufgegangen sind, zeugt nicht nur die verhinderte Ausstellungseröffnung, sondern auch unser gesamter Alltag in den letzten anderthalb Jahren. Überall sind Transfer- und Adaptionsprozesse nötig geworden. Überall stand und steht immer noch die Frage im Raum, wie man Lebensgewohnheiten, Arbeiten oder auch gemeinsame Rituale so übersetzen kann, dass sie in die neue Covid-19-Welt passen: Die analogen Teambesprechungen finden auf einmal im digitalen Raum über ein Videokonferenzsystem statt, Tagungsbeiträge verwandeln sich in Videobeiträge und die mimischen Interaktionen unter Kolleg*innen werden seit dem letzten Jahr vermehrt durch das Verschicken von Emojis ausgedrückt. Auch wenn es sich bei diesen Tätigkeiten nicht um ein Übersetzen im engeren Sinn handelt, geht es doch auch hier um einen Kommunikationstransfer, der mal besser und mal schlechter gelingen kann. Und für den, ebenso wie bei der Sprachübertragung, eine gehörige Portion Geschick und Fantasie vonnöten sind, damit ein gegenseitiges Verstehen möglich wird.

Mit neuen Vermittlungsformaten zu den Besucher*innen

Das Ausstellungsteam selbst fand sich plötzlich in der Rolle des Übersetzenden wieder und überlegte Folgendes: Wenn die Besucher*innen nicht in die Ausstellung kommen dürfen, könnte vielleicht ein kleines Stück der Ausstellung zu den potenziellen Besucher*innen nach Hause gebracht werden. Eine 1:1-Übertragung vom analogen in den virtuellen Raum war jedoch nicht so leicht möglich. Stattdessen waren kreative Transferideen gefragt: Eine geplante Lesung von Axel Thielmann zur Ausstellungseröffnung wurde online in mehreren Videoclips verwirklicht. Weitere kleine Filmbeiträge ermöglichen Einblicke in den Tresorraum und in die Ausstellung. Die Bundesfreiwilligen aus dem Museum haben außerdem die lustigsten Fehlübersetzungen von maschinellen Übersetzungsprogrammen als Instagram-Serie vorbereitet.

Diese neuen Vermittlungsformate ermöglichen wiederum, mehr Interessierte zu erreichen und vielleicht zu einem Besuch der Ausstellung anzuregen. Das ist jetzt auch wieder ganz analog möglich – wenn auch mit Abstand.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Deutsche Nationalbibliothek, Christine Hartmann

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