„Was schauen Sie so? – Man stirbt rechts und links“
John M. Spalek und das Deutsche Exilarchiv
Sentimental war John M. Spalek nicht. Er war ein Pragmatiker und ein Getriebener. Getrieben von der Aufgabe, die Nachlässe deutschsprachiger Emigranten in den USA für die Nachwelt zu sichern. Der Tod gehörte für ihn zum Leben dazu. Betroffenes Innehalten erlaubte er sich nur kurz, zu wichtig schien es ihm, die schriftlichen Hinterlassenschaften der Exilierten nachhaltig zu sichern und für die Forschung zugänglich zu halten. Damit bewahrte er zugleich das Andenken an die Personen und ihre Lebensleistungen.
Mit 21 Jahren war der in Polen geborene John Spalek 1949 in die USA ausgewandert. Seinen Lebensunterhalt verdiente er in den ersten Jahren als Holzfäller und Zimmermann. Diese frühen Jahre hatten ihn geprägt. Spalek war ohne Dünkel, er hatte kein Verständnis für Bürokratie und Hierarchien, wenig Interesse an persönlichen Ehrungen. Sein Augenmerk war darauf gerichtet, möglichst viele Informationen zum deutschsprachigen Exil zu sichern. Er studierte in den USA Germanistik an der Stanford University, promovierte und fand über die Beschäftigung mit Ernst Toller zur Exilforschung. Er publizierte unermüdlich, 1968 erschien die Bibliografie „Ernst Toller and his critics“ (University Press), 1978 die gemeinsam mit Wolfgang Frühwald herausgegebene Toller-Werkausgabe (Hanser Verlag). Auch zu Lion Feuchtwanger und Franz Werfel legte Spalek Einzelstudien vor. 1960 wechselte er an die University of Southern California in Los Angeles, 1970 an die State University von New York in Albany. Gemeinsam mit Joseph Strelka, später mit Konrad Feilchenfeld und Sandra Hawrylchak gab John M Spalek zwischen 1976 und 2010 die zehnbändige Reihe „Deutschsprachige Exilliteratur seit 1933“ (Francke Verlag, später Verlag K. G. Saur/de Gruyter) heraus. Schon in den 1970er Jahren begann er zudem mit der Beschreibung materialer Zeugnisse des deutschsprachigen Exils in den USA. In vier Bänden erschien von 1978 bis 1997 „Spaleks Guide to the Archival Materials of the German-speaking Emigration to the United States after 1933“ (Verlag K. G. Saur).
Aber Spaleks Interesse ging über die Beschreibung der Bestände hinaus. Er sammelte die materialen Zeugnisse ein, fühlte sich zuständig, die überlieferten Manuskripte, Korrespondenzen, Dokumente für die Zukunft zu sichern. Unermüdlich reiste er durch die USA und ging jeder noch so kleinen Spur nach, um die Nachlässe deutschsprachiger Emigrant*innen zu bewahren. Koffer um Koffer füllte er. Dabei galt sein Interesse keineswegs nur berühmten Persönlichkeiten. Er wollte ein möglichst umfassendes Bild des Exils in den USA vermitteln. An der State University of New York in Albany gründete er eine beachtliche Exilsammlung. Sein Kontakt mit dem Deutschen Exilarchiv reicht bis in die frühen 1970er Jahre zurück, eine besonders enge Zusammenarbeit begann in den 1990er Jahren. Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung, der Robert-Bosch-Stiftung und der Hamburger Stiftung für Wissenschaft und Kultur kooperierten John M. Spalek und das Deutsche Exilarchiv bei der Sicherung von persönlichen Nachlässen deutschsprachiger Exilierter in den USA. Ein fast täglicher telefonischer Austausch, viele Postkarten von seinen Reisen und häufige Besuche Spaleks im Exilarchiv prägten viele Jahre lang die Zusammenarbeit
95 Bestände emigrierter Wissenschaftler*innen, Publizist*innen, Schriftsteller*innen und Künstler*innen hat John M. Spalek nach Frankfurt ins Exilarchiv gebracht. Inhaltsreiche, viele Meter von Material umfassende Nachlässe sind ebenso darunter wie Teilbestände oder Nachlasssplitter. Darunter beispielsweise die Bestände der Schriftsteller*innen Iwan Heilbut, Gina Kaus und Soma Morgenstern, des Chemikers Frederick R. Eirich, des Publizisten Werner Thormann und des Psychoanalytikers Ernst Schachtel.
Eine solche Zusammenarbeit ist ein einmaliger Glücksfall. Das Exilarchiv verdankt John M. Spalek viel. Er ist unvergessen und natürlich wird auch in der Dauerausstellung des Deutschen Exilarchivs an ihn und seine Leistungen erinnert.
111-Geschichten-Redaktion
Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November 2023 präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.