Wie sich Bach in der Fassade wiederspiegelt
Musik hat in Leipzig tiefe Wurzeln. Die Jazztage sind in den Veranstaltungskalendern ebenso verankert wie das Wave Gotik Treffen, das Gewandhausorchester gehört zu den bedeutendsten Klangkörpern der Welt, und beim nächtlichen Spaziergang durch die Szeneviertel kann man jedes Mal aufs Neue Clubs und Kellerkneipen entdecken, in denen die Musik spielt. Das Label „Musikstadt“ hat Leipzig aber sicherlich der Strahlkraft seiner reichen Musikhistorie zu verdanken. Dabei ist vielleicht weniger interessant, welche großen Musikschaffende in der Stadt geboren wurden, als wer sich auf den Weg nach Leipzig machte, weil die Messestadt einfach durch die Jahrhunderte hinweg ein gutes Pflaster für Musikverlage, Komponist*innen und Musiker*innen war.
Neben Breitkopf, Bärenreiter, Schott und Co. sind es sicher die Namen Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert und Clara Schumann und Johann Sebastian Bach, die auch über Stadt-, Landes- und sogar Kontinentalgrenzen hinaus mit Leipzig in Verbindung gebracht werden. In der ganzen Stadt erinnern teils weltberühmte Bauwerke an ihre Wohn- oder Schaffensorte (Thomaskirche, Schumann- und Mendelssohnhaus), an einigen Stellen wird ihnen aber auch auf eine Weise gehuldigt, die erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.
Im Musikerviertel etwa befindet sich das Mendelssohn-Ufer, das – in guter Gesellschaft zwischen Beethoven- und Mozartstraße – 2007 als Grünanlage am Pleißemühlgraben angelegt worden ist. Hier befand sich bis zu seiner Bombardierung 1945 das Zweite Gewandhaus, Wirkungsstätte Mendelssohn Bartholdys.
Am nördlichen Ufer des Pleißemühlgrabens befinden sich stufenförmige Terrassen mit hölzernen Sitzelementen. Was zunächst wahllos anmutet, ist aber eine architektonische Darstellung von Musik: Erkennt man die Stufen als Notenlinien, ergeben die Holzblöcke Noten: Hierin verbirgt sich der Anfang des ersten Satzes aus Mendelssohns Violinkonzert e-Moll.
2007 ist auch das Jahr, in dem die Arbeit am vierten Erweiterungsbaus der DNB begann, auf Grundlage eines Entwurfs der Stuttgarter Architektin Gabriele Glöckler. Dieser Erweiterungsbau beherbergt nicht nur das Deutsche Buch- und Schriftmuseum, sondern auch das Deutsche Musikarchiv. Letzteres hatte sein Domizil zuvor in Berlin, und zog mit Fertigstellung des Erweiterungsbaus nach Leipzig um.
Was nun aber hat der vierte Erweiterungsbau mit Johann Sebastian Bach zu tun? Hier gibt vielleicht nicht schon der zweite, sondern erst der dritte Blick Aufschluss: Die Fassade glänzt in unterschiedlichen Rottönen. Die Intensität der Farbe codiert eine Tonhöhe, die Anordnung der Elemente Tonlängen und Pausen. Zusammen ergibt dies die vierte Goldberg-Variation (BWV 988; Erstdruck 1741), einer der Höhepunkte barocker Variationskunst. Die Zuordnung ist dann weniger schwierig zu erkennen: Die Verwendung von Bachs Musik spielt auf die Musikstadt Leipzig an, und die vierte Variation auf den vierten Erweiterungsbau.
Die Goldberg-Variationen spielen aber nicht nur an der Außenhülle der DNB eine bedeutsame Rolle: Eine Katalog-Suche nach den Begriffen „Goldberg“ und „Bach“ führt im Tonträgerbestand des Deutschen Musikarchivs zu mehr als 350 Treffern: https://shorturl.at/djtV1
111-Geschichten-Redaktion
Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November 2023 präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.