Eine Walhalla in Leipzig

22. Juni 2023
von Aline Kolditz

Die Marmorbüsten der Deutschen Nationalbibliothek

Neben jeder in Deutschland erschienenen Publikation in zwei Ausführungen, Musik, Filmwerken und anderen Schätzen findet man im Gebäude der Deutschen Nationalbibliothek in Leipzig auch zahlreiche Kunstgegenstände, wie zum Beispiel Marmorreliefs, Ölgemälde, aufwendigen Wandmalereien, üppige Deckengestaltungen und ausgefeilte Glasmosaike.

Marmorbüsten im Rundgang des zweiten Obergeschosses der Deutschen Nationalbibliothek / Foto: Aline Kolditz

Der Deutschen Nationalbibliothek, damals noch der „Deutschen Bücherei“, wurden zu Gründungszeiten für deren künstlerische Ausgestaltung Sachschenkungen im Wert von etwa 250 000 Mark gemacht. Gestiftet wurde unter anderem vom Land Sachsen, den Kommunen oder den Buchhändlerkreisen. Zu den Kunstgegenständen gehören noch heute rund 57 Büsten von Persönlichkeiten aus der deutschen Kulturgeschichte, die die Treppenhäuser, Flure, Lesesäle und Keller des Gebäudes bevölkern. Die Marmorplastiken haben eine Wanderung durch das Haus hinter sich, denn sie hatten niemals einen festen Platz in den Räumlichkeiten der Bibliothek, sondern wurden im Laufe der Zeit immer wieder umgestellt. Die Angaben zu ihrer Anzahl schwanken in den verschiedenen Quellen zum Kunstbestand des Hauses, was auf Kriegsverluste und die zum Teil großen Zeitabstände zwischen den Stiftungen zurückzuführen ist. Interessanterweise gehört bis heute nur eine Frau zu dieser stattlichen Porträtsammlung.

In weißen, hochwertigen Marmor gehauen, sollten vor allem Schriftsteller*innen und Gelehrte geehrt werden, die in enger Beziehung zum deutschsprachigem Schrifttum standen. Dabei galt zunächst das Prinzip, dass keine Konfession, Ethnie oder Fakultät von der Repräsentation der deutschen Wissenschaft und Literatur ausgeschlossen und damit jegliche Form der politischen Stellungnahme vermieden werden sollte.

Einige der ausgestellten Marmorbüsten wurden von verschiedenen Bildhauer*innen exklusiv für die damalige Deutsche Bücherei hergestellt.

Beim Betrachten dieser Plastiken fällt die Einheit auf, als die sie zusammenstehend erscheinen, die vor allem durch die Gleichartigkeit in Form, Maßen und Material entsteht.
Alle dieser Maßanfertigungen haben eine Höhe von ungefähr 70 Zentimetern und eine Sockelbreite von etwa 40 Zentimetern. Obwohl alle Plastiken unterschiedliche künstlerische Handschriften tragen, fällt auf, dass der stilistischen Einheitlichkeit eindeutig mehr Gewichtung beigemessen wurde als der individuellen Handschrift.

Alle Darstellungen strahlen dabei eine Sachlichkeit und Nüchternheit aus und präsentieren sich in überlebensgroßen, aber nicht kolossalen Maßstab.

Zu sehen ist ein Oberkörperausschnitt, der etwa am Schlüsselbein der Dargestellten endet. Vor der Brust ist zumeist der Name der repräsentierten Person eingraviert. Bei dieser Gravur wurde durch Verwendung unterschiedlicher Schriftarten von dem bei der Gestaltung der Büsten geltenden Prinzip der Einheitlichkeit abgewichen.

In den meisten Fällen wurden die Vornamen der Personen durch die Anfangsbuchstaben abgekürzt, bei wenigen Büsten aber auch voll ausgeschrieben, wie zum Beispiel bei der Plastik von Marie von Ebner Eschenbach, der einzigen Frau der Sammlung. In den Gesichtern schwebt stets eine gewisse Strenge des Blickes mit, welcher sich entweder direkt nach vorn dem Betrachter zuwendet oder leicht nach oben richtet. Ein weiterer der wenigen Unterschiede zwischen den Büsten, zeigt sich in der Gestaltung des Brustbereichs, welcher bei einigen Exemplaren von zeitgenössischer Kleidung bedeckt, und bei anderen nackt dargestellt wurde.

Bei der Betrachtung der beeindruckenden Sammlung drängt sich die Frage, in welcher Tradition Repräsentation deutscher Geistesheld*innen steht und inwieweit sie sich an Vorbildern orientiert.
Einen Hinweis dazu bietet ein Zitat aus der Denkschrift des Verlages des Börsenvereins des deutschen Buchhandels zur Einweihung der Deutschen Bücherei von 1916:

„Eine Walhalla für sich bildet die schon auf etwa 50 Nummern angewachsene Zahl von Marmorbüsten, die von dem Reichtum und der Vielseitigkeit des deutschen Geistes eine lebendige Vorstellung geben“

Verlag des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, Denkschrift zur Einweihung der deutschen Bücherei, Leipzig 1916

Die Verwendung des Begriffs legt einen Vergleich der Büstensammlung der Deutschen Bücherei mit einer anderen monumentalen Gedenkstätte Deutschlands, der Walhalla in Regensburg nahe.

Ansicht des Innenraums der Walhalla in Regensburg / Foto: Robert Hardin – Picture Alliance

Seit 1842 wurden hier bedeutende deutsche Persönlichkeiten in Form von eben solchen Marmorbüsten und Gedenktafeln geehrt. Dreizehn der Geehrten sind zum heutigen Stand Frauen. Die Anlage der Walhalla erhielt die Form eines griechischen Tempels im Stil eines dorischen Peripteros nach dem Vorbild des Parthenons in Athen. Sechs Büstengruppen wurden in der Halle jeweils um die Plastik einer Siegesgöttin aufgestellt.
In der Gestaltung der Büsten lässt sich eine gewisse Analogie zur Ausgestaltung der Stifterbüsten für die Deutsche Bücherei feststellen. Das gilt für den Grundgedanken der Repräsentation und Ehrung deutscher Denker*innen, ebenso wie für die Formsprache. Auch in Regensburg wurden alle Büsten in einer gewissen Grundform geschaffen, die als Material weißen Marmor und einen flachen Abschlag vor der Brust mit der Gravur der Namen der ausgestellten Personen aufweist.

Dabei können auch direkte Vergleiche zwischen den dargestellten  Personen gezogen werden. Beispielsweise weisen die Büsten von Martin Luther eine erstaunliche Ähnlichkeit auf. Fünf Büsten in der heutigen Walhalla in Regensburg sind in ihrer Erscheinung nahezu identisch mit ihren Pendants in der Deutschen Nationalbibliothek.

Es ist also denkbar, dass die Walhalla als unmittelbares Vorbild für die Leipziger Skulpturensammlung diente.

Die Stifterportraits der Deutschen Nationalbibliothek und die Umgestaltung der Büstenpräsentation nach der Machtübernahme des NS Regimes

Die Porträtbüsten in der Deutschen Bücherei sind ebenso wie die zahlreichen Schenkungen anderer Ausstattunsgegenstände und Kunstwerke ein Beispiel für bürgerliches Mäzenatentum.

Darunter wird die meist finanzielle Unterstützung im kulturellen Bereich, ohne die Forderung nach einer direkten Gegenleistung verstanden. Das Mäzenatentum erstreckt sich auf verschiedene Kultursegmente wie Kunst, Wissenschaft, Sport oder auch Unterhaltung. Der profane Charakter des Mäzenatentums unterscheidet es vom religiös motivierten Stiftertum.

Grundsteinlegung der Deutschen Bücherei. Aus: Leipzig, Börsenverein der deutschen Bücherei. 1914

Einer der wichtigsten Vereine für die Kunststiftungen der DNB war „Die Gemeinschaft der Freunde der deutschen Bücherei“, welche am 19.10.1913 anlässlich der Grundsteinlegung der Deutschen Bücherei gegründet wurde. Zunächst konnte sie als eine lose Verbindung angesehen werden, in der alle Verleger*innen automatisch zu den Mitgliedern gezählt wurden, sofern sie bereit waren, ihre Verlagserzeugnisse ständig der Bücherei zu spenden. Es gab zu Beginn noch keine starke Hierarchie oder die Struktur eines Vorstandes. 1917 wurde der Verein schließlich neu strukturiert, die Satzung endgültig beraten und die Gesellschaft im Vereinsregister eingetragen. Ihre große Aufgabe war es, die Bestrebungen der Deutschen Bücherei publik zu machen und deren Interessen zu fördern, was als eine spezifische Art der bibliothekarischen Öffentlichkeitsarbeit angesehen werden kann. Gestellt wurden Mittel für den Ausbau und die Gestaltung der Bibliothek, sowie Finanzierungen für die Herausgabe wissenschaftlicher Publikationen. Generiert wurden die finanziellen Mittel vor allem durch die Jahresabgaben der Mitglieder und Spenden von Privatpersonen, aber auch Industrielle, Firmen, Verleger, Schriftsteller*innen und Politiker*innen gehörten zu den Förderern. Diese bekamen als Dank für ihre Unterstützung zumeist eine künstlerische Jahresgabe, die im Regelfall aus einer Publikation bestand, welche nicht für den freien Verkauf gedruckt worden war.

Durch die nationalsozialistische Machtübernahme kam es schließlich zu einer erzwungenen Neuorganisierung der Gesellschaft, nicht zuletzt aufgrund der Gleichschaltungsmaßnahmen, welche einige der zu den Förderern der Deutschen Bücherei gehörenden Vereine vernichteten. Sogenannte „nichtarische Mitglieder“ wurden aus der Gemeinschaft ausgeschlossen, was einen massiven Einbruch der Mitgliederzahlen nach sich zog.

Als zentrale Sammelstelle für das deutschsprachige Schrifttum weckte die Deutsche Bücherei schon bald die Aufmerksamkeit der NS- Machthaber, die zu regen Förderern der Bibliothek wurden. Finanzielle Unterstützung erhielt die Deutsche Bücherei unter anderem durch Reichsfinanzminister Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk, Joseph Goebbels, Reichsleiter Alfred Rosenberg und vielen weiteren Vertretern des NS Regimes.

Der Präsident der Reichspressekammer Max Amann stiftete erstmals eine Büste des nationalsozialistischen Dichters Dietrich Eckard. Nach der Einrichtung des Propagandaministeriums wurde schließlich auch die Deutsche Bücherei Joseph Goebbels unterstellt.[1] Die Bücherei, der Börsenverein sowie die Stadt Leipzig sahen sich, was die Gestaltung des Gebäudes betraf, nun immer öfter vor vollendete Tatsachen gestellt, denen sich die Verantwortlichen der Bibliothek aber auch nicht widersetzten.  Zu Feierlichkeiten musste die Bibliothek festlich geschmückt werden. Zu den ursprünglich für die Bücherei angefertigten Marmorbüsten kamen nun neue Stiftungen hinzu wie zum Beispiel eine Büste von Paul von Hindenburg oder die vom Leipziger Verlag „Otto Wiegand“ gestiftete Hitlerbüste. Zugleich ging der gelebte Antisemitismus auch an der Verteilung der bisherigen Büsten im Gebäude nicht vorbei. Nach Ansicht nationalsozialistischer Bilderstürmer befanden sich unter der stattlichen Sammlung der Büsten auch ideologisch inakzeptable Plastiken. Besucher*innen beschwerten sich immer häufiger über die Ausstellung von Büsten wichtiger deutscher Geisteshelden mit jüdischer Abstammung, etwa der von Moses Mendelssohn. Aufgrund der starken Außenwirkung sollte die Deutsche

Bücherei dem Problem nun möglichst zügig nachgehen. Büsten von Juden, sowie jene, die von jüdischen Vereinen oder Verleger*innen gestiftet wurden, sollten nun an Orte verbannt werden, die der Öffentlichkeit nicht zugänglich waren. Büsten oder Namensschilder wurden mit Sackleinen verhüllt, in den Keller gebracht oder gänzlich zerstört.
Zudem fand eine Prüfung der Künstler*innen statt, die die Marmorbüsten für die Bibliothek angefertigt hatten. Befanden sich unter ihnen sogenannte „Nichtarier“, wurden auch diese Büsten aus dem öffentlichen Raum entfernt.[2] Ganz konsequent wollten, oder konnten sich die Mitarbeiter*innen der Deutschen Bücherei allerdings nicht an die geforderte Umgestaltung halten. So wurde beispielsweise verheimlicht, dass die Büste Johann Wolfgang von Goethes durch den jüdischen Künstler Rudolf Saudek geschaffen wurde, um eine Aufstellung der Plastik weiterhin zu gewährleisten.
Rudolf Saudek selbst wurde von der Reichskulturkammer bereits 1935 ein Berufsverbot erteilt, wonach er 1942 schließlich in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurde.[3]

Die Deutsche Bücherei betrieb unter anderem mit dieser Umgestaltungsmaßnahme nun genau die Politisierung, die zu Beginn der Gründung noch ausdrücklich unerwünscht war. Diese äußerte sich zum Teil auch durch die rege Teilnahme der Mitarbeiter*innen an Kundgebungen, Maiaufmärschen oder Kameradschaftsabenden. Es zeigte sich eine erschreckende Anpassungsbereitschaft der Deutschen Bücherei im Hinblick auf die Symbolik und Propaganda des NS Staates.


[1] Die Deutsche Bücherei nach dem ersten Jahrzehnt ihres Bestehens, Rückblicke und Ausblicke, Leipzig 1925, S. 614

[2] FLACHOWSKY, Sören: Zeughaus für die Schwerter des Geistes. Die deutsche Bücherei in Leipzig 1912 – 1945, Göttingen 2018, S.656

[3] FLACHOWSKY, Sören: Zeughaus für die Schwerter des Geistes. Die deutsche Bücherei in Leipzig 1912 – 1945, Göttingen 2018, S.658

Aline Kolditz ist Master Studentin am Institut für Kunstgeschichte in Leipzig. Ihren Bachelorabschluss belegte sie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Neben dem Studium ist sie selbstständig und leitet ein Tattoo Studio in ihrer Heimatstadt Weißenfels.

Im Kontext seiner Kooperation mit der Wissenschaft hat das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Wintersemester 2022/23 einen Lehrauftrag an der Universität Leipzig durchgeführt, das sich unter dem Aspekt der Gestaltung, Funktionen und Ästhetiken des Speicherns mit der spannenden 111-jährigen Geschichte der DNB beschäftigt. Es ist eine in der Strategie der DNB fest verankerte Lehrkooperation, deren Ergebnisse zugleich Auskunft geben über 111 Jahre Bibliotheksgeschichte.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Aline Kolditz

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