Bildende Kunst an Leipzigs Wänden

31. August 2023
von Annalena Metz
Sgraffito von Heiner Vogel im Treppenhaus des zweiten Erweiterungsbaus / Foto: Annalena Metz

Die Deutsche Bücherei ist ein Gebäude mit einer bemerkenswerten Architektur und Baugeschichte. Doch nicht nur die äußere Gestaltung ist künstlerisch eindrucksvoll, auch in den Innenräumen des Erstbaus sowie der derzeit vier Erweiterungsbauten finden sich zahlreiche Kunstwerke, welche eine nähere Betrachtung wert sind. Und sie befinden sich nicht etwa wie die Literatur vor den Besuchern versteckt in Lagern oder Archiven, sondern hängen für alle Besuchenden sichtbar in den Treppenhäusern und an den Wänden fast jeder Etage.

Kunst im Treppenaufgang

Die Treppenhäuser des zweiten Erweiterungsbaus sind verziert durch drei Sgraffiti, welche sich in allen drei Geschossen präsentieren. In vereinfachter Form und Farbe schufen die Künstler Heiner Vogel und Gerd Pötzschig Kunstwerke, die sich thematisch der Geschichte des Buchwesens widmen. In grüner Farbe illustriert Vogels Bildtafel in der ersten Etage die Entwicklung von ägyptischen Hieroglyphenschreibern über mittelalterliche Buchmaler zur Arbeit an der Handpresse. Sein zweites Sgraffito hängt im Treppenhaus des Erdgeschosses. Dieses führt die geschichtliche Entwicklung weiter ins 19. Jahrhundert. Seinen Abschluss findet das Thema in der Arbeit von Gerd Pötzschig. Das querformatige Kunstwerk in blauer Farbe verbindet das Thema des Lebens in der sozialistischen Gesellschaft mit dem Zeitalter der Raumfahrt. Ob diese Kunstwerke direkt für die Deutsche Bücherei geschaffen wurden, ist unklar. Doch die Wandgemälde eines weiteren Künstlers, Otto Paul Rößler, waren bereits in den Planungen von 1915 für ihren heutigen Platz im Treppenhaus des Obergeschosses vorgesehen. Die zwei Werke mit den kontextuell passenden Titeln „Wissenschaft“ und „Das Leben“ wurden an ihrem Platz im obersten Treppenhaus bereits im September 1932 angebracht.

„Der Geschäftsführende Ausschuss“

Das wohl imposanteste Gemälde des Hauses, gefertigt vom Berliner Maler Hugo Vogel, befindet sich im Verwaltungsbau der Deutschen Bücherei. Allein seine Präsenz und Größe laden den Betrachter zum Verweilen und Staunen ein. Auf einer Fläche von 4.00 x 2.5 Metern erstreckt sich das Kunstwerk über eine Wand aus Lahntalmarmor, in welche es eingelassen wurde. Betitelt ist das Gemälde mit der Bildunterschrift:

 „Der erste Geschäftsführende Ausschuss
Boysen Ehlermann Dittrich Meiner Paalzow Schroeder
Seemann Siegismund Stiftung von Artur Meiner“

Der „Geschäftsführende Ausschuss“, Wandgemälde von Hugo Vogel / Foto: Stephan Jockel

Sie teilt den Besucher*innen zwar die Namen der abgebildeten Herren mit, doch wer waren sie und wieso wurde ausgerechnet ihnen so ein präsenter Auftritt im Haus zuteil? Die Männer im Wandgemälde präsentieren sich in einer beschäftigten Pose, während sie teilweise an einem Sitzungstisch platziert sind oder neben ihm stehen. Im Zentrum, mit einigen Papieren in der Hand, steht Karl Siegesmund, der damalige Vorsteher des Börsenvereins und Hauptinitiator des Baus der Deutschen Bücherei in Leipzig. Sein Nachfolger im Amt als Vorsteher war kurz vor Fertigstellung der Bibliothek der Leipziger Kunsthändler Arthur Seemann. Mit einem Schriftstück in der Hand und seinem Blick aus dem Gemälde heraus gerichtet, scheint er die Szene gerade erst am linken Bildrand betreten zu haben. Mit den Beinen überkreuz sitzt vor ihm, die Hand in der Seite und dem Betrachter halbseitig zugewandt, der Dresdner Verleger Dr. Erich Ehlermann. In seiner Position als zweiter Vorsteher des Börsenvereins erzielte er mit einer Denkschrift 1911 den benötigten Durchbruch zur Gründung der Bibliothek. Stehend hinter ihm befindet sich der Leipziger Oberbürgermeister Dr. Rudolf Dittrich. Während seiner Amtszeit von 1908 bis 1917 stellte er der Bücherei das verwendete Bauland zur Verfügung und bewilligte eine dankbar angenommene Baubeihilfe in Höhe von 250.000 Mark. Zur linken Seite Siegesmunds sitzt ein weiterer Herr, dessen Hintergrund entscheidend für die Geschichte der Deutschen Bücherei war. Der Ministerialdirektor des sächsischen Finanzministeriums, Dr. Otto Max Schroeder aus Dresden. Die rechte Bildhälfte präsentiert drei weitere Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses. Ganz rechts mit erhobenem Zeigefinger, vom Betrachter abgewandt, sitzt der Verlagsbuchhändler und Stifter des geschichtsträchtigen Gemäldes, Dr. Arthur Meiner. Zu seiner linken Seite finden sich zwei Fachexperten für bibliothekarische Einrichtung ein. Der geheime Hofrat Dr. Karl Boysen stützt seinen Kopf im Nachdenken auf den Arm. Er hatte zur Entstehungszeit des Kunstwerkes das Amt des Direktors der Universitätsbibliothek inne. Mit einem Schriftstück in der Hand steht ihm Prof. Dr.-Hans Paalzow, der Abteilungsleiter der damaligen königlichen Bibliothek Berlin, zur Seite. Die frühe Beauftragung des Künstlers Hugo Vogel im Jahre 1914 führte zu einer Fertigstellung des Gemäldes noch vor der Vollendung des Bibliotheksbaus.

Verzierungen in Gold

Dem Gruppenporträt gegenüber befindet sich der Eingang zum Zeitschriftenlesesaal. Sein Portal wird flankiert von zwei Eisengussreliefs, geschaffen vom Leipziger Bildhauer Reinhold Carl. Beide Werke zeigen jeweils einen nackten Jüngling neben mehreren Putten. Unter den Titeln „Inspiration des Dichters“ auf der linken und „Inspiration des Gelehrten“ auf der rechten Seite wurden den Knaben passende Attribute zugeteilt. Im linken Relief schaut er vom Schreiben oder gar Dichten auf und ist umgeben von einer Eule, einer Harfe, einem Pegasus sowie einer Fackel. Das Gussrelief auf der rechten Seite der Tür zeigt die zentrale Figur mit einem Buch auf seinem Schoß, während seine linke Hand auf einem Totenschädel ruht. Ihn umgeben Früchte, Girlanden sowie ein Blasinstrument.

Ein Besuch der Deutschen Bücherei ist stets empfehlenswert. Doch auch wenn einem Mal nicht der Sinn danach stehen sollte, sich der dort aufbewahrten Literatur zu widmen, kann ein Spaziergang durch die Gebäude das Herz eines Kunstliebhabers erfreuen.  

Weißes Gold – Porzellanfliesen aus der Manufaktur Meissen

Manufaktursymbol mit Signatur des Künstlers / Foto: Annalena Metz

Wer einmal die Möglichkeit hat, sich in der Deutschen Bücherei umzusehen, kann im Erdgeschoss des zweiten Erweiterungsbaus sechs Säulen mit einer motivisch gestalteten Verkleidung aus weiß-blauem Porzellan bewundern. Wenn man sich die Zeit nimmt, die Wandbilder genauer zu betrachten, entdeckt man neben der Signatur des Künstlers ein fast unscheinbares Symbol, welches seit Anfang des 18. Jahrhunderts und bis heute für Prestige und das Versprechen von herausragender Qualität steht. 

Meissner Porzellan – Eine Erfolgsgeschichte der Angewandten Kunst

Die Begeisterung Europas für Porzellan begann bereits im 17. Jahrhundert. Die qualitativ hochwertigsten Keramiken stammten seinerzeit aus China und wurden exzessiv vom europäischen Adel gesammelt, darunter auch August der Starke, Kurfürst von Sachsen. Um seine Sammelleidenschaft finanziell abzusichern, beauftragte er Anfang des 18. Jahrhunderts den Alchemisten Johann Friedrich Böttger mit der Herstellung von Gold aus wertlosen Rohstoffen. Die Unfruchtbarkeit dieses Unterfangens brachte Böttger dazu, sich 1707 selbst an der Porzellanforschung unter der Leitung des Naturforschers Ehrenfried Walther von Tschirnhaus zu beteiligen. Nach zahlreichen Experimenten gelang ihnen 1708 die Entwicklung und Herstellung des europäischen Porzellans und 1710 deren Patentierung durch Kurfürst August den Starken. Um sein Monopolrecht bei der Herstellung des ersten Hartporzellans Europas zu sichern und eine Produktionsstätte aufzubauen, gründete er am 6. Juni 1710 per Dekret die „Königlich-Polnische und Kurfürstlich-Sächsische Porzellan-Manufaktur“. Als Standort diente für die kommenden 150 Jahre die Albrechtsburg in Meißen. Hier begann die Erfolgsgeschichte des heute weltbekannten „Meissner Porzellans“. Als Symbol der Manufaktur wurden zwei gekreuzte Kurschwerter erwählt, welche sich als Markenzeichen auf den Arbeiten wiederfinden.

Auszug Dresdner Fürstenzug / Foto: Lizenzfrei

Wandbilder aus Porzellan

Neben der Fertigung von hochwertigen Porzellanservices und farbig staffierten Kleinplastiken führte die Manufaktur Meissen 1953 eine hauseigene Abteilung für „Künstlerische Wandgestaltung“ ein. Bei den dort gefertigten Wandbildern handelte es sich hauptsächlich um Auftragsarbeiten, welche in ihrer Größe zwischen kleinen Wandbildern bis hin zu großformatigen Bildwänden variierten. Sie wurden meist für die Ausschmückung von Fassaden und Innenräumen gefertigt. Das größte und wohl auch bekannteste Exemplar eines Wandbildes der Manufaktur Meissen ist der Fürstenzug in Dresden.  Doch auch in Leipzig finden sich sehenswerte Arbeiten. So beauftragte die Deutsche Bücherei die Manufaktur über den Zeitraum vom August bis September 1962 mit der künstlerischen Verkleidung von sechs Pfeilern im „Speise- und Kultursaal“ des Lesesaalanbaus. Die Designs für die Porzellanfliesen entwarf der Leipziger Künstler Günter Rackwitz. Anschließend wurden sie von Porzellanmalern auf rund 1080 Fließen mit den Einzelmaßen von 20,0 x 10.0 cm übertragen und gebrannt. Die Pfeiler wurden jeweils nur auf zwei gegenüberliegenden Seiten mit Ornamenten in hellem Türkis auf weißem Grund versehen. Die übrigen Pfeilerseiten wurden mit schlichten weißen Porzellanplatten verkleidet. Motivisch hielt sich der Künstler an Dekorationen aus verschiedenen Tieren und Pflanzen. Sie zeigen im Stil der 50er-Jahre die drei Elemente: Wasser, Erde und Luft. In den jeweiligen Designs finden sich durchgehend verschiedene Pflanzen, die sich ihren Weg vom Fuß der Säule bis hin zur Zimmerdecke zu suchen scheinen. In den Designs für die Elemente Luft und Wasser finden sich zusätzlich einige Tiere wie ein Eichhörnchen sowie verschiedene Fische, Schecken und eine Libelle. Die Naturverbundenheit des Dekorationsmalers Günter Rackwitzs spiegelte sich in seinem Design wider. Sein Name sowie das Symbol der Manufaktur Meissen befinden sich für den Betrachter sichtbar an einer Seitenwand der mittleren Pfeiler.

Doch dies sind nicht die einzigen Wände in Leipzig, welche durch Meissner-Porzellan-Fliesen verziert wurden. Auch das Opernhaus im Leipziger Zentrum beauftragte die Manufaktur mit der Ausschmückung einiger Wände und Pfeiler. Die reliefartigen Porzellanplatten in mattem Weiß wurden handgefertigt und befinden sich deutlich präsent im Foyer, der Garderobenhalle sowie dem Treppenhaus der Spielstätte für Oper und Ballett. Ebenfalls im Zentrum der Stadt kann man ein weiteres Kunstwerk aus Meissner-Porzellan begutachten. Im mittleren Lichthof des Mustermessehauses „Specks Hof“ befindest sich ein Bildfries in beachtlicher Größe. Auf einer Fläche von 7,70 Meter Länge und 1,15 Meter Höhe zeigt es die eine Abbildung der historischen Hausfassaden der Reichs- und Nikolaistraße in der Zeit um 1880. Entworfen wurde es 1983 von dem Leipziger Künstler Heinz-Jürgen Böhme im Auftrag des Instituts für Denkmalpflege Leipzig, ausgeführt wurde es auf Meissner-Porzellan. Das Kunstwerk ist heute von zahlreichen anderen umgeben, aber nach wie vor im öffentlichen Raum zu sehen.

Oper Leipzig Foyer / Foto: Andreas Birkigt
Wandbild auf Meissner Porzellanfliesen im Specks Hof / Foto: Martin Geisler

Wer Interesse an künstlerischen Wandverzierungen aus hochwertigen Meissner Porzellanplatten hat, bekommt in der Deutschen Bücherei und an anderen Orten Leipzigs eine bemerkenswerte Auswahl solcher Kunstwerke geboten.

Annalena Metz ist Studentin der Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Nach ihrem Bachelorabschluss befindet sie sich aktuell im ersten Semester des Masterstudienganges.

Im Kontext seiner Kooperation mit der Wissenschaft hat das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Wintersemester 2022/23 einen Lehrauftrag an der Universität Leipzig durchgeführt, das sich unter dem Aspekt der Gestaltung, Funktionen und Ästhetiken des Speicherns mit der spannenden 111-jährigen Geschichte der DNB beschäftigt. Es ist eine in der Strategie der DNB fest verankerte Lehrkooperation, deren Ergebnisse zugleich Auskunft geben über 111 Jahre Bibliotheksgeschichte.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Annalena Metz

2 Kommentare zu „Bildende Kunst an Leipzigs Wänden“

  1. Leah Trefflich sagt:

    Vielen Dank für diesen spannenden und informativen Beitrag! Eine Frage bleibt uns jedoch noch unbeantwortet: Wann ist das Sgraffito von Herrn Pötzschig ungefähr entstanden? Und wann wurde es in der Deutschen Bücherei installiert?

    1. Christine Hartmann sagt:

      Liebe Frau Trefflich, der Lesesaal Technik ist 1963 fertiggestellt worden. Kurz davor muss das Sgraffito entstanden sein. Viele Grüße, Ihr DNB-Team

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  • ISSN 2751-3238