Wozu Socken?

6. November 2023
von Jörn Hasenclever

Wozu Socken? Sie schaffen nur Löcher!

Albert Einstein

Es ist eines der vielen kleinen Zitate, die dem weltberühmten Physiker Albert Einstein seit Jahrzehnten in den Mund gelegt werden. In der Tat soll sich der Nobelpreisträger gegenüber dem Exilanten Philippe Halsman, dem er 1940 zur Flucht in die USA geholfen hatte, entsprechend geäußert haben. Der in den USA als Fotograf berühmt gewordene Halsman beschrieb in einem seiner Fotobücher, wie Einstein ihm 1947 auf seine Frage, warum er keine Socken trüge, antwortete, er habe in jüngeren Jahren festgestellt, dass die große Zehe immer die Angewohnheit habe, ein Loch in die Socke zu machen. Und so habe er aufgehört Socken zu tragen.1 Vielfach wurde diese Anekdote kolportiert, verkürzt und schließlich zu einem Bonmot, dass in keinem Zitate-Kalender fehlen darf. Allein den fotografischen Beweis blieb Halsman schuldig.

Eric Schaal im Profil vor einer Klinker-Mauer kniend/hockend. Er hält eine Kamera der 30er/40er Jahre in der Hand.
Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Eric Schaal, EB 2003/051,
Foto: Weidle-Verlag, Bonn

Möglicherweise wird der fehlende Nachweis durch einen Kollegen Halsmans erbracht. Eric Schaal emigrierte 1936 ebenfalls in die Vereinigten Staaten. Wie Halsman machte er im Exil sein Hobby schließlich erfolgreich zum Beruf. Ab 1937 arbeitete er für Alfred Eisenstaedts Agentur „Pix“, wo auch Halsman zunächst ein Auskommen fand, und fotografierte ab 1941 für die Magazine „Time“ und „Life“. Schaals Schwerpunkt lag auf der Kunstfotografie. Er fotografierte Kunstsammlungen, einzelne Werke und Ausstellungen und portraitierte Künstlerinnen und Künstler. In seinem Nachlass, der seit 2003 im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der DNB aufbewahrt wird, befinden sich knapp 2.500 Aufnahmen von mehr als 220 Persönlichkeiten. Teilweise sind sie mit Widmungen der Porträtierten versehen, da er privat leidenschaftlich Autografen sammelte und plante die Porträtaufnahmen als Bildband herauszugeben. Schaal zog 1967 in die Schweiz, wo er 1994 verstarb.2

Albert Einstein 17.01.1939 in einem Zimmer seines Hauses in Princeton. Im Sessel sitzend, lesend vor Bücheregal und Fenster, die obligatorische Pfeife im Mund. Ein Bein über das andere geschlagen, ist am unteren Bildrand gerade noch der rechte Fuß, mit Lederslipper, ohne Socken sichtbar.
Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Eric Schaal, EB 2003/051,
Foto: Weidle-Verlag, Bonn

Das Beweisfoto für Albert Einsteins Sockenlosigkeit entstand am 17. Januar 1939 in dessen Haus in Princeton, wo der Physiker seit 1935 lebte und arbeitete. Es ist Teil einer Fotosession, von der sich insgesamt 14 Abzüge und vier Bögen mit Kontaktabzügen im Nachlass befinden. Schaal fotografierte den Nobelpreisträger in einem Zimmer im Obergeschoß im Sessel sitzend, lesend vor Bücheregal und Fenster, die obligatorische Pfeife im Mund. Ein Bein über das andere geschlagen, ist am unteren Bildrand gerade noch der rechte Fuß sichtbar. Und tatsächlich blitzt zwischen Hosensaum und Lederslipper ein nackter Knöchel hervor. Quod erat demonstrandum.

Wer herausfinden möchte, welche Geheimnisse Eric Schaal möglicherweise noch fotografisch dokumentiert hat, kann im Katalog der DNB (https://d-nb.info/982021593) oder im Archivportal-D recherchieren: http://www.archivportal-d.de/item/6GKKIH5F33FM2L2CBMHH44C2IWCIP7WO

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.


  1. Philippe Halsman erinnert sich in Sight and insight, (New York, 1972) an sein Treffen mit Einstein im Jahr 1947. Zitiert nach French, Anthony, Albert Einstein. Wirkung und Nachwirkung, Braunschweig 1985. S. 91. ↩︎
  2. Meinem besten Porträtisten …“ Porträtfotografien und -zeichnungen aus den Beständen des Deutschen Exilarchivs 1933–1945. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 Der Deutschen Bibliothek / Die Deutsche Bibliothek. [Ausstellung und Begleitbuch: Sylvia Asmus und Brita Eckert], Frankfurt a.M. 2005. S. 40ff.; Sylvia Asmus, Das besondere Stück – Albert Einstein und Thomas Mann in Princeton, in: Dialog mit Bibliotheken (Bd. 32, 2020, Nr. 2) S. 35–37. ↩︎
*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Deutsches Exilarchiv 1933-1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Nachlass Eric Schaal, EB 2003/051, Foto: Weidle-Verlag, Bonn

2 Kommentare zu „Wozu Socken?“

  1. Rudi Neu sagt:

    Mich haut es aus den Socken…🤗

  2. Rudi Neu sagt:

    Das beste was ich heute gelesen habe….

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