Birken, Wege, Feuer und Eis
150 Jahre Lyrik von Robert Frost
„Some say the world will end in fire,
some say in ice […]“
Unvergesslich
Manche Gedichte vergisst man, einmal gelesen oder gehört, nie wieder.
Fire and Ice (Eis und Feuer), von Robert Frost im Jahr 1920 geschrieben, ist für viele Leser*innen solch ein Gedicht. Aber nicht nur dieses eine ist unvergesslich. Frosts Lyrik fasziniert und bewegt über die Jahrzehnte hinweg.
Robert Frost ist zweifellos einer der bedeutendsten englischsprachigen Dichter. Vor 150 Jahren, am 26. März 1874 kam er in der Pazifikstadt San Francisco zur Welt und verstarb am 29. Januar 1963 am Atlantikende der USA in Boston, Neuengland – dort, wo so viele Poeten und Künstler leb(t)en und wirk(t)en.
Robert Frost ist in der amerikanischen Lyrik eine Institution, seine Gedichte kann man als eine Art nationalen Schatzes betrachten. Vier Mal erhielt er den Pulitzer Prize for Poetry, bekam die Congressional Gold Medal, wurde Poet Laureate von Vermont und las eines seiner Gedichte 1961 bei der Inauguration des Präsidenten John F. Kennedy vor.
Da sich so vieles in seiner Dichtung auf das ländliche Leben und die Natur bezieht, könnte man ihn als einen Dichter des Nature Writing bezeichnen, der vertieften Betrachtung und des schreibenden Lebens über die Natur. Doch Frost entzog sich und sein Werk geschickt jeder eindeutigen Zuordnung und literarischen Strömung. Wie das auf Birkenästen schaukelnde Kind in seinem Gedicht The Birches (Birken) formt er den Baum seines Wirkens selbst, dabei wohl wissend, dass es in Wahrheit Naturphänomene sind, die die Astform der Birken bestimmen, und nicht sein Schaukeln.
Literaturgattung: Lyrik!
Im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek finden Sie Robert Frosts Werke in gedruckten und in digitalen Ausgaben, sowohl Gedichtsammlungen als auch Literatur über ihn.
In der DNB erschließen wir Werke der Schönen Literatur und Kinder- und Jugendbücher mit einer Auswahl von derzeit 63 Gattungsbegriffen. Diese sind den Warengruppen des Verzeichnisses lieferbarer Bücher (VLB) angeglichen. Beispiele für die literarischen Gattungen sind Erzählende Literatur, Spannung, Science-Fiction, Fantasy, Kinderbücher bis 11 Jahre und Jugendbücher ab 12 Jahren. Wenn wir Bibliothekar*innen auch Robert Frosts Bücher niemals bewerten würden (außer mit entzückten Seufzern von „wundervoll“ bis „wow!“), so gehören sie doch eindeutig in den Gattungsbegriff Lyrik.
Feuriges Eis, eisiges Feuer
Und damit kehren wir zurück zu dem Gedicht Fire and Ice. Seine Tonlage klingt nüchtern, fast als sei der Dichter ein unbeteiligter Beobachter und nicht persönlich betroffen – dabei geht es um die furchterregende Frage, ob die Welt wohl in Feuer oder Eis enden wird. Naturwissenschaftlich betrachtet durch eine Explosion der Sonne oder durch langsames Einfrieren im Weltraum. Literarisch betrachtet scheint ein Hauch von Dante Alighieris Inferno, dem ersten Teil der Göttlichen Komödie, in den Worten zu schwingen. In diesem werden die übelsten Unheilbringer in einer feurigen Hölle bis zum Hals in Eis eingetaucht.
„Fire and ice
Some say the world will end in fire,
Some say in ice.
From what I’ve tasted of desire
I hold with those who favor fire.
But if it had to perish twice,
I think I know enough of hate
To say that for destruction ice
Is also great
And would suffice.„
Nachdem er den Ersten Weltkrieg, „the Great War“, wie er in England und den USA auch genannt wurde, erlebt und in seinem persönlichen Leben Trauer und Verlust erfahren hatte, schrieb Robert Frost diese Zeilen. Auf uns, die ihn zu Lebzeiten nicht oder kaum kannten, mag dieses Gedicht wie eine Mahnung wirken, und zugleich als Warnung. Betrachten wir es im dämmrigen Licht globaler Krisen, lodernder Wälder und des zerstörten Lebensraums für alles Lebendige durch den klirrenden Hass von Krieg und Verfolgung, besitzen das Feuer und Eis dieses Gedichtes durchaus das Potential, die Welt, wie wir sie kennen, für uns unbewohnbar zu machen.
Zwei Wege in den Wald
Vor wenigen Tagen, am 21. März, rief die UNESCO den World Poetry Day 2024 aus. Ein guter Anlass für uns, im Lyrikband etwas weiter zu blättern und nach einem anderen berühmten Gedicht aus der Feder von Robert Frost zu suchen, The Road not taken (Der nicht eingeschlagene Weg).
Hier trifft das lyrische Ich auf eine Weggabelung, die in den Wald führt und muss sich entscheiden, welchen der beiden Wege es einschlagen will. Lassen wir Robert Frost an seinem 150. Geburtstag selbst sprechen:
Elke Jost-Zell
Elke Jost-Zell ist als Bibliothekarin, GND-Redakteurin und Autorin in der Abteilung Inhaltserschließung sowie für die AG Nachhaltigkeit der Deutschen Nationalbibliothek tätig.