Bücher in Zeiten des Mangels

28. März 2024
von Eva Bös

Buchprodukte nach 1945

„Vier Verleger aus dem amerikanischen Sektor Berlins haben sich zusammengetan, um die drängende Nachfrage nach Klassikern zu befriedigen. DIE KLASSIKER-AUSGABE 1946 mußte den heutigen Verhältnissen angepaßt werden. Um Papier zu sparen und möglichst viel Text zu bringen, wurde eine kleine Drucktype gewählt, die trotzdem mühelos lesbar ist. Wir haben uns ferner bemüht, die Bände so haltbar wie möglich herzustellen, doch wir mußten uns auf das für uns erreichbare Material beschränken.“

Bedrucktes Blatt: Verlagsinformation zur Klassiker-Ausgabe 1946
Foto: DNB / Eva Bös, CC BY-SA-3.0

Diese kleine Notiz erzählt Verschiedenes von der Lebensrealität der Nachkriegsjahre. Das Interesse an literarischen Klassikern war offenbar hoch: Zentrale Werke von Goethe, Schiller, Shakespeare und Adalbert Stifter erscheinen Anfang 1947 in Sammelausgaben, weitere vier Bände werden, laut Verlagsankündigung, „hoffentlich zu Weihnachten 1947 vorliegen“. Wovon das pünktliche Erscheinen abhängt, ist wohl nicht zuletzt der in den Nachkriegsjahren in allen Lebensbereichen herrschende Mangel: Personal und Materialien sind nur begrenzt, letztere in unterschiedlicher, meist geringer Qualität verfügbar, die Produktivität somit eingeschränkt. Vielleicht liegt darin der Grund dafür, dass sich die vier Verlage zusammengeschlossen haben, um die Produktionskosten gemeinsam zu stemmen.

Was das „erreichbare Material“ betrifft, so sind die Bände der KLASSIKER-AUSGABE 1946 in unserem Bestand als Halbgewebebände mit Rückenprägung, Pappdeckeln und schlichtem Buntpapierbezug gestaltet, jeder Band in einer anderen Farbe.

Produktion für den „Übergang“ Verfügbarkeit und Qualität

So wie das zu Beginn gezeigte Blatt finden wir bei der Kontrolle der Bücher vor dem Digitalisieren immer wieder eingelegte Zettel mit Ankündigungen oder Zusatzinformationen zum vorliegenden Werk. Neben Hinweisen zu Inhalt und Umfang der beworbenen Werke werden auch verwendete Materialien („Ballonleinen“, „holzfreies Papier“), ihre Qualität und die Bedingungen ihres Erscheinens genannt. So entschuldigt sich Ferd. Dümmlers Verlag im Tabellenbuch für Elektrotechnik: „Einige Abbildungen dieses Buches sind infolge technischer Schwierigkeiten nicht so einwandfrei wiedergegeben, wie es sonst bei unseren Fachbüchern der Fall ist. Wir bitten, diesen Schönheitsfehler, der sich nur in dieser Zwischenauflage findet, als durch die Zeitverhältnisse bedingt, zu entschuldigen. Es war unser Bestreben, das begehrte Tabellenbuch nicht länger fehlen zu lassen.“ Der Carl Garte Verlag hingegen meldet in Die Meisterschule, die auch Prüfungsaufgaben für Berufe des graphischen Gewerbes enthält: „Durch außergewöhnliche Schwierigkeiten bei unserem Klischeehersteller – bedingt durch Aufträge der Militärregierung und der Exportmesse – sind wir mit der Lieferung des inzwischen fällig gewordenen Heftes 2 der Meisterschule zu unserem großen Bedauern in Verzug geraten.“

Diese wenigen Beispiele mögen die Bestrebungen der Verlage illustrieren, Fachbücher und praktische Hilfen, z.B. zu Anbau und Verarbeitung von Lebensmitteln oder medizinischem Wissen, Wörterbücher sowie Literarisches (Klassiker, Märchen, Jugendbücher u.m.) und Religiöses, aber auch persönliche Berichte mit Kriegserfahrungen schnell wieder verfügbar zu machen. Die ästhetischen Kriterien mussten oftmals hintangestellt werden und es bestand offenbar das Bedürfnis zu kommunizieren, dass die aktuellen Neuerscheinungen nicht den üblichen Qualitätsansprüchen gerecht wurden. Die Verlage selbst bezeichneten die Bücher deshalb gelegentlich als Produkte für die „Zwischenzeit“ oder den „Übergang“.

Kontrolle und Steuerung der Buchproduktion nach 1945

Buchschnitt eines Bandes mit Schillers Dramen von 1946 mit ehemaligem Besitzstempel "U.S. Property"
Buchschnitt mit ehemaligem Besitzstempel „U.S. Property“, Signatur: D 62/16970. Foto: DNB / Eva Bös, CC BY-SA-3.0

Bei der Sichtung des oben abgebildeten Klassiker-Bandes mit Schillers Dramen geriet eine für die Verlagstätigkeiten ab 1945 wichtige Institution ins Blickfeld: Verschiedene Stempel im Buch erzählen, dass die Schiller-Dramen einmal im Besitz der amerikanischen Militärregierung für Deutschland gewesen sind, und zwar als Teil der OMGUS Reference Library (Office of Military Government), untergebracht im Director Building in Berlin. In dieser Referenzbibliothek wurden seit 1945 Publikationen zum Thema Deutschland und seine Besetzung gesammelt. Die Bücher sollten Hintergrundinformationen für ein umfassendes Verständnis des gegenwärtigen Deutschland bereitstellen („Background Books, since they contain the type of information needed in order to understand fully present-day Germany“). Dies bildet natürlich nur eine Perspektive unter den westlichen Besatzern ab.

Im Military Government Weekly Information Bulletin berichtete die amerikanische Militärregierung regelmäßig über die Neuerscheinungen in deutscher Sprache und den Bestand der Reference Library. Daneben aber auch über eine Reihe von Alltagsthemen im besetzten Deutschland. Ein Artikel in der April-Ausgabe 1947 beschäftigt sich mit der Papiermangelproblematik und liefert damit Hintergründe zu den oben zitierten Botschaften der Verlage an ihr Lesepublikum. Der Text beschreibt die Anstrengungen und die Ideen, an Papier für die Herstellung von Büchern und Zeitschriften zu kommen. Das Thema war deshalb wichtig, weil die Verbreitung von gedruckten, inhaltlich geprüften Informationen zur Entnazifizierungsstrategie gehörte. Zur Papiergewinnung für neue Druckwerke wurden bspw. Veröffentlichungen aus der Zeit des Nationalsozialismus recycelt und Papierspenden von religiösen und wirtschaftlichen Institutionen im Ausland angenommen.

Was bedeutet das für die DNB heute?

Die DNB ist als Archivbibliothek gesetzlich dazu verpflichtet, deutschsprachiges Schriftgut „auf Dauer zu sichern und für die Allgemeinheit nutzbar zu machen“. Aufgabe ist folglich auch, solche Buchexemplare aufzubewahren, die in Zeiten des Materialmangels produziert worden sind und als provisorisch gedacht waren. Der Bestand an Nachkriegsmonografien, der aktuell systematisch digitalisiert wird, ist hierfür ein Beispiel. Die verwendeten Papiere sind oft verbräunt und brüchig, die Seiten häufig nur mit Metallklammern zusammengetackert. Nicht selten kommt es beim In-die-Hand-Nehmen zu Materialverlust, Seiten oder papierne Buchdeckel lösen sich. Das macht die Erfüllung der Erhaltungsaufgabe manchmal schwierig.

Eine Möglichkeit, die Originale zu schützen, ist der Zugriff auf vorhandene Digitalisate. Innerhalb des Netzwerks der DNB können Nutzende alle Digitalisate und ebooks direkt aufrufen und lesen. Die Wartezeit der Bereitstellung bei der Nutzung physischer Bücher entfällt. Mitarbeitende in der Rechteklärung kümmern sich darum, dass Digitalisiertes nach und nach auch außerhalb der DNB zugänglich ist. Wie zum Beispiel der Weltraumflug. Astronomische und physikalische Grundlagen von Werner Schaub, erschienen 1949 im Dümmler Verlag.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Eva Bös

Ein Kommentar zu „Bücher in Zeiten des Mangels“

  1. Elke Jost-Zell sagt:

    Danke für diesen informativen Ausflug in die Geschichte! Gut, dass die DNB die Originale behütet und vorausschauend für die Zukunft digitalisiert!

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