Ein Gentlemen’s-Agreement

21. März 2023
von Sylvia Asmus

Unter einem Gentlemen’s Agreement versteht man „eine auf die guten Sitten vertrauende, deshalb schriftlich nicht näher fixierte Abmachung zwischen zwei oder mehreren Partnern. Die Erklärungen werden ohne Rechtsfolgewillen abgegeben, weil der erstrebte Erfolg im Vertrauen auf das Wort des Partners oder mithilfe einer Bindung an den Anstand erreicht werden soll.“ (https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/gentlemens-agreement-33977).

Auf einer solchen Abmachung basiert die Gründung des Deutsche Exilarchivs 1933-1945, das seit 1948 Teil der Deutschen Nationalbibliothek ist. So wenige Jahre nach dem Ende der Nationalsozialistischen Diktatur eine Exilsammlung in Deutschland aufzubauen, war keine Selbstverständlichkeit für diejenigen, die entrechtet und verfolgt worden waren, die aus dem Land flüchten mussten, um ihr Leben zu retten.

Es waren ehemals Exilierte, die sich im Schutzverband deutscher Schriftsteller in der Schweiz zusammengefunden hatten und mit dem damaligen Direktor Hanns Wilhelm Eppelsheimer die Idee einer Exilsammlung an der Deutschen Bibliothek berieten.

Für das Selbstverständnis des heutigen Exilarchivs ist diese Unterstütztung der Exilierten und ihre Vorstellung vom dem, was diese Sammlung leisten sollte, bis heute von besonderer Bedeutung.

Beim Schutzverband waren insbesondere der einstige SAP-Politiker und Publizist Walter Fabian und die Schriftstellerin Jo Mihaly aktiv involiert.

Aber es gab durchaus kontroverse Haltungen. Während die einen in der Gründung der Exilsammlung eine Aufgabe von »großer und bleibender Bedeutung« und eine »ehrenvolle Verpflichtung« sahen, brachten andere Bedenken vor. Deutschland sei noch immer antisemitisch, von einem wirklichen Interesse an Exilliteratur könne nicht ausgegangen werden. Zudem wurde auch der Bibliotheksdirektor Eppelsheimer kritisch hinterfragt. Er war nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten als Direktor der Hessischen Landesbibliothek in Darmstadt zwangspensioniert worden, hatte aber 1937 ein Handbuch der Weltliteratur in Deutschland veröffentlicht, das durch die Auswahl der darin behandelten oder eben gerade nicht behandelten Schriftsteller ebenso Gegenstand der Kritik wurde wie sein 1947 erschienenes Werk Deutsche Bücher 1939–1945. Eine Auswahl.

Nach internen Diskussionen entschied der Vorstand des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in der Schweiz, die Gründung der Exilsammlung an der Deutschen Bibliothek aktiv zu unterstützen. Es gingen Aufrufe an die Mitglieder und deren Freund*innen, um Bücherspenden und bibliografische Angaben zu erhalten.

Von Beginn an war klar, dass diese Institution mehr sein sollte, als eine reine Sammlung, sie sollte „eine Kundgebung für die in Deutschland 1933–1945 verbannte, verbrannte und unterdrückte Literatur und deren geistige Nachfolge, ein Kampfmittel gegen das sich von neuem erfrechende Nazitum“ sein. Man hoffte darauf, dass durch die Wirkung einer solchen Exilsammlung, die für jedermann frei zugänglich sein sollte, ähnliche Aktivitäten an anderen Institutionen in Deutschland angeregt würden. Allerdings sicherten sich die Exilierten ab. Das Ende der NS-Diktatur lag erst wenige Jahre zurück – konnte man dem Land, das vorher für die Bücherverbrennungen, Zensur, Entrechung, Verfolgung und Vernichtung verantwortlich war, vertrauen? Es wurde festgelegt, dass die Emigrantenbibliothek als Dauerleihgabe des Schutzverbandes in der Deutschen Bibliothek aufgestellt werden solle. Bei »Gefahr im Verzug« sollte die Bibliothek jederzeit zurückverlangt werden können.

Aus diesen zaghaften und zugleich wirkmächtigen Anfängen entwickelte sich über die Jahrzehnte das heutige Deutsche Exilarchiv 1933-1945. Dem aufklärerischen Gründungsimpuls ist es bis heute verpflichtet. Die Sammlung zu erweitern, zu erschließen, insbesondere aber die Vermittlung des Themas in die Öffentlichkeit gehören bis heute zu den Aufgaben.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Sylvia Asmus

2 Kommentare zu „Ein Gentlemen’s-Agreement“

  1. Richard Voigt sagt:

    Sollte die Überschrift nicht „Gentlemen’s Agreement“ lauten – eine Übereinkunft mit nur einem „Gentleman“ ist zu einsam.

    1. Sylvia Asmus sagt:

      Danke für den Hinweis!

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