Metadaten im Netz
Panta rhei – alles fließt, nicht nur in der Philosophie von Heraklit von Ephesos, sondern auch 2.500 Jahre später im Datenmeer. Die Bibliotheks-TARDIS minimiert sich zu der winzigsten Version ihrer selbst, taucht ein in Datenströme aus 0 und 1 und wir reisen blau in blau durch digitale Ozeane.
Den Kompass auf bibliografische Gestirne gerichtet, rauschen wir durch in eine neue, unbekannte Welt. Welche Datenformate, Schnittstellen, Portale und Shopsysteme helfen uns durch die Strömungen, umschiffen Bermuda-Dreiecke, gefährliche Kliffe und führen und sicher durch die stürmischen Brandungen von Zeit und Raum?
Retrieval online: BIBLIODATA
Wir finden uns wieder im Jahr 1978. Eine Benutzerin in Häkeltop und Schlaghose, die Zigarette unangezündet im Mundwinkel baumelnd (weil sie in der Bibliothek nicht rauchen darf) sucht im Zettelkatalog nach Ursula LeGuins Science Fiction-Roman „Das Wort für Welt ist Wald“. Leider vergeblich. Zum Glück gibt es eine neue, moderne Möglichkeit, das Buch doch noch zu finden! Man gibt den Leihschein mit dem Buchwunsch an der Ausleihtheke der Deutschen Bibliothek in Frankfurt am Main ab und hofft auf Hilfe.
Alle Problemfälle, bei denen Benutzer*innen ihr gewünschtes Buch nicht finden, werden gesammelt und in den sogenannten Signierdienst der Bibliografischen Auskunft gegeben. Die Auskunftsbibliothekar*innen können für vier Stunden pro Tag und an fünf Tagen pro Woche in einer Datenbank recherchieren. Die Recherche-Datenbank, die diese professionellen elektronischen Recherchen ermöglicht, heißt BIBLIODATA, und macht bereits die ersten Schrittchen in Richtung Internet. Sie gilt als die erste Online-Version der Deutschen Nationalbibliografie und ist ein wichtiges Tool für den Signierdienst. Auch außerhalb der Bibliothek kann man jetzt mit BIBLIODATA recherchieren. Die Auskunftsbibliothekare sind die Miracle Worker ihrer Zeit und genießen durchaus ein wenig Kultstatus. Auch im Fall Ursula LeGuin können sie helfen. Kleiner Tipp: man findet die Bücher der berühmten Schriftstellerin in der Datenbank und im Zettelkasten unter Le Guin, Ursula K. und danach alphabetisch nach dem Buchtitel (ohne Artikel). Die Schreibweise, unter der Personen und ihre Veröffentlichungen im Katalog aufgenommen und einsortiert werden, bestimmten Bibliothekar*innen in damals nach den Regeln für die alphabetische Katalogisierung (RAK), dem in Deutschland verbindlichen Regelwerk.
Fun Fact: In unserem neuen Katalog kann man die Autorin und den Buchtitel unter allen denkbaren Schreibweisen finden! In Chinesisch sieht der Autorinnenname so aus: 娥蘇拉·勒瑰恩
1981 ging BIBLIODATA in den Routinebetrieb über. Leider war mit ihr eine Datenübernahme aus anderen Systemen nicht möglich, da sie ausschließlich für Auskunftszwecke konzipiert worden war. Im Lauf der 1990er Jahre und im Zuge aufkommender Online-Benutzerkataloge gingen die Zugriffszahlen kontinuierlich zurück, und so wurde der Betrieb von BIBLIODATA 2015 eingestellt.
Datenshopping!
Im Jahr 1994 kommen die ersten Webshops auf [1]. Wir springen nun 20 Jahre in die Zukunft, direkt in den September 1998 hinein und in eine deutsche Landes- oder Universitätsbibliothek. Dort sitzt eine Bibliothekarin, technikaffin und mit gespannter Miene, vor ihrem neuen Pentium II mit Windows 95 und 56k Modem. Sie verbindet sich zum ersten Mal mit dem neuen Dienst DDB-Online der Deutschen Bibliothek und möchte Metadaten online kaufen. Es piept und rattert im Hintergrund und schon taucht sie ein in die digitale Welt von 1998.
Im September 1998 wurde DDB-Online als erster Online-Datenshop für Bezieher der deutschen Nationalbibliografie im September 1998 in Betrieb genommen. Eine praktische Entwicklung – die Shopsysteme machen es möglich, Metadaten der Bibliothek für eigene Anwendungen zu übernehmen und in eigenen Systemen weiter zu verarbeiten.
Schon zwei Jahre früher löst die Deutsche Nationalbibliothek die trägergebundenen CDs, DVDs, Magnetband- und Diskettendienste als Datendienst allmählich ab. Neu und cool ist, dass die Datenbezieher (vor allem, aber nicht nur Bibliotheken) nun ein umweltfreundliches Einkaufsnetz zur Hand nehmen und Metadaten shoppen können. So kann man sich Datensatz für Datensatz in sein Netz bzw. seine Auswahl legen und dann in dem gewünschten Exportformat kaufen und direkt auf den eigenen Rechner herunterladen.
Im Jahr 2006 wurde DDB-online durch den Datenshop abgelöst und die Bibliothek erhielt ihren neuen Namen: Deutsche Nationalbibliothek. Bis 2014 zahlte man pro Datensatz ca. 6 Cent. Kaufte man größere Pakete, reduzierte sich der Preis auf 5 Cent pro Datensatz oder noch weniger.
Fun Fact: Der Datenshop existiert immer noch, doch inzwischen ist jeder Metadatensatz kostenlos. Stellt man sich ein Profil mit den gewünschten Metadaten zusammen und schließt aus, was man nicht benötigt, kann man sich als Bibliothek oder als private* Nutzer*in eine ganz persönliche Nationalbibliografie zaubern! Wir beide würden zum Beispiel alle neu erscheinenden Medien, auf jedem Datenträger, über das Thema Zeitreisen und Bibliotheken auswählen und in unseren Datenshop übernehmen …
Das sähe dann zum Beispiel so aus :https://blog.dnb.de/wp-content/uploads/2023/09/Zeitreise.pdf
Auf Vorrat kaufen
Die nationalbibliografischen Metadaten erhält man seit 1998 online und passwortgeschützt auch in großen Paketen über das SFTP (SSH File Transfer Protocol) und etwas später ebenfalls über HTTP (Hypertext Transfer Protocol).
Die Bereitstellung über SFTP und WWW wird noch heute viel genutzt für den laufenden Bezug von Metadaten der Nationalbibliografie. Seit 2021 können diese frei und ohne Zugangsbeschränkungen über die Webseite der DNB in allen geeigneten Formaten kostenlos über das Internet heruntergeladen werden!
Diese Wege des Metadatentransfers sind sehr schnell, da die Postwege entfallen und der Weg durch das Datenmeer von digitalen Winden angetrieben wird. Gleichzeitig vereinfacht sich die Weiterverarbeitung der Daten in eigene Bestände, weil man nicht mehr mit Disketten oder Kassetten arbeiten muss.
[1] Der erste richtige Webshop war 1994 die Online Market World [Quelle1 und Quelle2], kurz danach folgen Amazon 1994 und ebay 1995.