Karlchen kommt ins Museum
Der Vorlass der Illustratorin Rotraut Susanne Berner

Die Buchillustration zählt zu den Sammelgebieten des Deutschen Buch- und Schriftmuseums (DBSM) – nicht erst seitdem der Buchmarkt in den letzten Jahren vermehrt auf aufwändig eingebundene oder illustrierte Bücher setzt, um E-Books, Leseunlust und digitalen Ablenkungen etwas entgegenzusetzen. Historisch bedingt haben die Bestände des Museums, zumal die Vor- und Nachlässe1, hierbei einen Schwerpunkt auf der ehemaligen DDR, abzulesen beispielsweise an den buchgestalterischen Vorlässen der Grafiker Hans Ticha (*1940) sowie Egbert Herfurth (*1944).
Im Bestreben, auch die west- und gesamtdeutschen Prägungen und Trends zu dokumentieren, konnte das DBSM gegen Ende vergangenen Jahres den umfangreichen künstlerischen Vorlass der vielfach ausgezeichneten Illustratorin Rotraut Susanne Berner (*1948) in seine Bestände übernehmen.

Der nachhaltige Einfluss, den Berner über bereits 50 Jahre auf die deutsche Buchlandschaft und vor allem auf die kindlichen Bildwelten der jüngeren Generationen ausübt, lässt sich kaum überschätzen. In den meisten Haushalten mit Kindern dürfen „Karlchen“- oder „Wimmelbücher“ nicht fehlen.
Ihre Werke umfassen rund 150 illustrierte Bücher, die seit 1981 in mehr als 40 Ländern sind, weiterhin 800 Buchumschläge sowie Material für andere Medien („Karlchen“-Filme), Merchandise und mehr. Mit ihren Bildern verlieh sie den Erzählungen und Gedichten so unterschiedlichen Autor/innen wie Jürg Schubiger, Sylvia Plath und Charles Bukowski ein Gesicht. Im Jahr 2016 erhielt Berner den Hans-Christian-Andersen-Preis, gemeinhin als „Nobelpreis der Kinderliteratur“ angesehen, und rückte damit in eine Reihe mit Erich Kästner oder James Krüss.




Der nun teils erworbene, teil als Depositum verwahrte Bestand zeichnet sich v.a. durch seine Vollständigkeit aus, da Berner nahezu sämtliches Material zu ihren Illustrationsprojekten erhalten, also keine einzelnen Stücke herausgelöst und z.B. verkauft oder verschenkt hat. Damit ergibt sich ein Panorama seltener Geschlossenheit, von Vorstudien bis zum fertigen Verlagsprodukt.
Vorhanden sind etwa 5.400 Originalzeichnungen, meist in Aquarell, Acryl und Buntstift, die sich auf etwa 150 Mappen und 45 Kartons verteilen. Hinzu kommen bspw. sechs originalgrafische Bücher (Original-Flachdruck), die Manuskripte für die von Berner seit den 90ern selbstverfassten Bücher, Plakate, frühe Arbeiten im Bereich Werbung, sowie last but not least neun Aktenordner mit umfangreichen, illustrierten Fax-Korrespondenzen.
Ordnung und Materialzustand des Vorlasses können als vorbildlich bezeichnet werden. Da Berner zudem auch eine Datenbank zum Bestand geführt hat, steht einer zukünftigen Verwendung für Forschung und Ausstellungen nichts im Wege.

Das DBSM pflegt bereits seit 2022 enge Beziehungen zu Rotraut Susanne Berner, als es die umfangreiche Comic-Sammlung ihres verstorbenen Manns, des Buchhändlers und Verlegers Armin Abmeier (1940–2012), erwerben konnte und damit auf einen Schlag ein Desiderat seiner musealen Sammlungen abbauen und einen Comic-Schwerpunkt begründen konnte. Auch das Archiv zur bibliophil gestalteten und von wechselnden bekannten Namen illustrierten Buchreihe der „Tollen Hefte“, die Abmeier und später Berner herausgaben, kam bereits damals als Schenkung an das DBSM.
Benjamin Sasse
Benjamin Sasse ist Sammlungsleiter für die Vor- und Nachlässe und geschlossene Sammlungen im Deutschen Buch- und Schriftmuseum. Hans Tichas Zeichnungen kennt er seit seiner Kindheit. Aus Hans Falladas „Geschichten aus der Murkelei“ mit Illustrationen Tichas hat ihm seine Mutter besonders gern vorgelesen.
- Vorlass bezeichnet den bereits vor dem Tode zusammengestellten und übergebenen Nachlass. ↩︎