Wie man einen Bücherwagen baut
Bücherwagen sind in vielen Bibliotheken seit Jahrzehnten ein unverzichtbares Hilfsmittel im Alltag. Was dem einen sein schicker Straßenkreuzer in der Hofeinfahrt, das ist für den Bibliothekar bis heute nicht selten „sein“ Bücherwagen. Dementsprechend vielfältig ist – um beim Bild eines PKWs zu bleiben – der „Fuhrpark“, der sich über die Jahre in einer Bibliothek entwickelt. Neue, schlichte Designs verrichten neben wahren Veteranen einträglich ihr Tagwerk.
Vor allem diese älteren Wagen verkörpern oft auch eine recht einzigartige Ausstrahlung von funktionaler Ästhetik und Langlebigkeit. Die Deutsche Bücherei beschaffte im Zuge ihres Neubaus 1916 eine ganze Reihe von Bücherwagen. Dabei handelte es sich vor allem um hölzerne Modelle mit eisernen Rädern. Die Besonderheit der Konstruktion bestand darin, dass der relativ lange und schmale Wagen eine mittig unter dem Holzaufbau montierte Achse mit zwei großen Rädern besaß und zusätzlich zwei um 360 Grad drehbare kleinere Räder davor bzw. dahinter. Dadurch „kippt“ der Wagen je nach Schubrichtung oder Beladung leicht nach vorn oder nach hinten. Die Hauptachse und nur eines der beiden kleineren Räder berühren dabei den Boden. So lässt sich der schwere Wagen gut manövrieren.
Genau solch einen alten Wagen behandelt der folgende Beitrag. Und wer bei dem Titel direkt an die sehenswerte SWR-Serie „Handwerkskunst“ denkt, liegt damit völlig richtig.
Das Vorbild aus Gotha
Das Vorbild wurde einst von der Firma August Blödner produziert. Bekannt war das Gothaer Unternehmen allerdings weniger für Holzprodukte als für seine Metallregale, von denen die Deutsche Bücherei ebenfalls eine große Anzahl in ihrem Historischen Gebäude installieren ließ und die in Teilen bis heute erhalten sind. Die Wagen wurden lediglich als Nischenprodukt in Kleinserie auf Bestellung produziert. Bei dem hier gezeigten Wagen handelt es sich um das Modell 42/16 A. Den Vertrieb übernahm die Firma Rudolf Zeising aus Leipzig. So hatte ein Bücherwagen eine Lieferzeit von mehreren Wochen und kostete die damals durchaus stattliche Summe von 258 Reichsmark bzw. bei späteren Bestellungen sogar bis zu 295 RM aufgrund gestiegener Materialpreise.

Foto: Hausarchiv DNB
Dieser Wagentyp stieß auch außerhalb der Deutschen Bücherei auf Interesse: so ersuchte 1931 etwa das juristische Seminar der Universität Leipzig die Deutsche Bücherei, einen dieser Wagen gebraucht abzugeben. Da man selbst einen Mangel daran hatte, wurde die Anfrage abgelehnt.
Der Neubau aus Leipzig
Unser Haustischler, Herr Voigt, hatte nach über 40-jähriger Tätigkeit in der Bibliothek den Wunsch, solch ein altes Modell wieder aufleben zu lassen. Der Wagen soll künftig in der Öffentlichkeitsarbeit zum Einsatz kommen. Der schmucke „neue“ Oldtimer kann dann bei Lesungen, Konzerten oder Weiterbildungsveranstaltungen zum Materialtransport oder als mobiles Buffet eingesetzt werden. Und bei Lesungen selbstverständlich auch zum Büchertransport für den Abendverkauf.



Fotos: DNB, Tom Diener, CC-BY-SA 3.0 DE
Beim ursprünglichen Holz des Wagens war leider nicht mehr viel zu retten – der Zustand war desolat. Alle Metallteile waren dagegen in tadelloser Verfassung und konnten mit ein bisschen Pflege problemlos wiederverwendet werden. Daraus reifte der Entschluss zu einem Neuaufbau des Holzkorpus. Seine Wiederbelebung soll in einem Gewand aus Eiche erfolgen. Dieses Holz ist vor allem aus Gründen der Langlebigkeit von Vorteil. Dafür wurde aber nicht auf neues Plattenmaterial aus dem Holzhandel zurückgegriffen: der Wagen entstand im Sinne der Nachhaltigkeit als „Upcycling“-Projekt aus vorhandenem Material.
Denn in dem Wagen lebt ein Teil eines anderen Holzmobiliars fort, das inzwischen durch einen modernen (hölzernen) Nachfolger ersetzt wurde: die alte Medienausleihe. Deren umfangreiche Theken hatten Bauteile aus massivem Eichenholz. Dieses Material wurde in Teilen bewahrt und zur Herstellung von Leimholzbohlen genutzt, welche das Rohmaterial für den Bau des Bücherwagens bildeten.



Fotos: DNB, Tom Diener, CC-BY-SA 3.0 DE
Diese Leimholzbretter wurden abgerichtet und den historischen Maßen folgend zugesägt. Die Verbindung der senkrecht zueinander stehenden Bretter bilden sorgfältig ausgestemmte Zapfen und Zapfenlöcher, die später eine hohe Traglast gewährleisten. Für eine ansprechende Optik und ein reduziertes Verletzungsrisiko werden die äußeren Kanten der Bauteile abschließend angefast.



Fotos: DNB, Tom Diener, CC-BY-SA 3.0 DE
Vor der Montage folgt die erste Behandlung der Holzoberfläche mit Hilfe einer Grundierung und einer Lasur, damit die Holzoberfläche später widerstandsfähiger ist. Damit der Leim später richtig abbinden kann, müssen die betreffenden Bereiche zuvor abgeklebt werden. Anschließend werden die Zapfenverbindungen verleimt und zum Trocknen in Zwingen fixiert. Zusätzlich werden wie beim historischen Vorbild die Zapfen mit kleinen seitlich eingeschlagenen und verschliffenen Keilen gesichert, sodass die Verbindung besonders fest sitzt und sich nicht durch leichtes Verziehen des Holzes wieder löst.



Fotos: DNB, Tom Diener, CC-BY-SA 3.0 DE
Nach dem Aushärten kommen die Metallteile ins Spiel. Von unserem Hausschlosser Herrn Rink gründlich aufbereitet und wieder gangbar gemacht, sehen sie fast aus wie neu und können an den Seiten und unterhalb des Wagenkastens verschraubt werden. Zum Abschluss bekommt der Wagen mit der Beschriftung noch eine besondere Note. Die historischen Bücherwagen waren meist mit „DB“ als Abkürzung für „Deutsche Bücherei“ gekennzeichnet. Darunter folgte eine fortlaufende Nummer. Die Zahl 25 reiht sich dabei aber nicht in die historische Zahlenreihe ein, sondern symbolisiert bei diesem Wagen das Jahr der Fertigstellung: 2025. Dank einer abschließenden Versiegelung zum Schutz der Oberflächen zeigt sich der Wagen nun in seidenmattem Glanz.
Damit ist der Wagen bereit, die nächsten 100 Jahre seine Aufgabe als treuer Helfer im Alltag der Bibliothek zu verrichten. Dieser Wagen ist außerdem in mehrfacher Hinsicht ein besonderes Einzelstück: er vereint und verdichtet durch die originalgetreue Form, die Herkunft seines Holzes und durch seinen Erbauer verschiedene Zeitschichten in einem Objekt. Zugleich ist es das letzte, noch in der hauseigenen Tischlerei der Bibliothek realisierte Projekt. Deshalb bildet er schon jetzt einen Teil der reichhaltigen Geschichte unseres Leipziger Hauses der Deutschen Nationalbibliothek. Durch seine Materialien und die Form versprüht er einen warmen Charme, der auch heute neben aller Modernität seinen Platz in der Gegenwart und Zukunft finden kann. Echte Handwerkskunst eben.



Fotos: DNB, Tom Diener, CC-BY-SA 3.0 DE
Vielen Dank für den schönen und vor allem wertschätzenden Beitrag an Tom Diener und für die Erhaltung dieses Stückes an Thomas Voigt und Jürgen Rinck.