„Klimawandel“ in der Bibliothek

14. September 2023
von Jasmin Lorenz

Klimatische Bedingungen in den Magazinräumen

Die Deutsche Nationalbibliothek als zentrale Archivbibliothek Deutschlands steht vor der Herausforderung, die gesammelten Medien unter optimalen konservatorischen Bedingungen aufzubewahren, um diese zu schützen und für künftige Generationen zu erhalten sowie gleichzeitig allen Interessierten zugänglich zu machen.

Blick in die modernen Magazinräume im 4. Erweiterungsbau der DNB Leipzig / Foto: Jasmin Lorenz, 2023

Die Aufbewahrung erfolgt im Magazin, das für den Besucherverkehr nicht öffentlich ist. Die Magazinfläche der DNB beträgt mittlerweile insgesamt 48.482 m² und erstreckt sich auf Bereiche im Gründungsbau mit Erweiterungen, dem Bücherturm und dem vierten Erweiterungsbau. Im Gründungsgebäude befinden sich Büroräume, Lesesäle sowie Magazine. Anders als der Gründungsbau dient der dritte Erweiterungsbau (1982) als Zweckbau allein der Magazinnutzung. Dieser sogenannte Bücherturm gliedert sich in fünf Komplexe und bietet auf 14 Etagen sowie neun Zwischengeschossen insgesamt Platz für ca. fünf Millionen Bücher. Der bisher letzte Neubau von 2011 hat eine ähnliche Kapazität. Etwa 80% des Gebäudes sind als Magazinräume vorgesehen und erstrecken sich über vier Obergeschosse und drei unterirdische Etagen. Mit den Erweiterungsbauten entstanden weitere modern ausgestattete Magazinräume, um dem permanent steigenden Platzbedarf durch den Sammelauftrag der DNB Rechnung zu tragen.

Einschlägige Standards für Bibliotheken helfen bei der Umsetzung optimaler Bedingungen für die Aufbewahrung und Erhaltung der Bestände in den Bibliotheksmagazinen. Die International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA), die als Internationale Vereinigung bibliothekarischer Verbände und Einrichtungen die qualitative Bibliotheksarbeit fördert und Interessen des Bibliothek- und Dokumentationswesens im Allgemeinen vertritt, veröffentlichte zum Beispiel die Grundsätze zur Konservierung und Restaurierung von bibliothekarischen Sammelgut. Die Deutsche Nationalbibliothek orientiert sich zudem unter anderem an den durch das Deutsche Institut für Normierung e. V. herausgegebenen Normen DIN 67700 (2017) zum Bau von Bibliotheken und Archiven: Anforderungen und Empfehlungen für die Planung und DIN 11799 (2017) Anforderungen an die Aufbewahrung von Archiv- und Bibliotheksgut.

Zugangsschleuse zum unterirdischen Magazin in der DNB Leipzig / Foto: Jasmin Lorenz, 2023

Aus den bewährten Standards ergibt sich ein grundlegender Konsens zu den konservatorischen Bedingungen im Magazin. Die klimatischen Verhältnisse in einem Gebäude und den einzelnen Räumen lassen sich in erster Linie durch entsprechende bau- und anlagentechnische Maßnahmen steuern. Optimal für Archive sind Raumtemperaturen von 16 °C +/- 2 sowie eine relative Luftfeuchtigkeit von 45 % – 55 %. Organische Materialien benötigen ein gewisses Maß an Feuchte, um flexibel zu bleiben. Zu hohe Feuchtigkeit kann jedoch zum Aufquellen und Verformen der Medien führen und begünstigt das Wachstum von Schimmelpilzen. Im Gegensatz dazu kann trockene Luft zu Brüchigkeit der gelagerten Medien führen. Um Schwankungen von Raumtemperatur und Luftfeuchtigkeit zu vermeiden,  ist der Einsatz von Klimaschreibern (Thermohygrograf) oder ähnlichen Geräten sinnvoll. Eine Zugangsschleuse – wie es sie im vierten Erweiterungsbaus der DNB gibt – dient zudem der Reduzierung sowohl von Klimaschwankungen als auch von  Schadstoffbelastungen und Luftverunreinigungen in den Magazinräumen.

Ehemalige Magazinräume mit demontierten Regalen im Gründungsbau der DNB Leipzig. Die Bestände wurden vor kurzem in die neueren Gebäude umgelagert / Foto: Jasmin Lorenz, 2023.

Ebenso wichtig ist ein angemessener Lichtschutz in den Magazinräumen einer Bibliothek. Die Bestände im Magazin sollten nicht dauerhaft, sondern lediglich zeitlich begrenzt und nur bei Bedarf beleuchtet sein, denn Lichtschäden sind in der Regel nicht reversibel und kumulativ. Wenn möglich sollten keine Fenster in den Magazinräumen sein. In der DNB sind einige Magazinräume in den älteren Gebäudekomplexen nicht fensterlos. Daher wird in diesen Räumen versucht, durch Sonnenschutzmaßnahmen, wie beispielsweise Fensterfolien, das schädliche, UV-reiche Sonnenlicht abzuschirmen. Zum Schutz der Medien vor weiteren äußeren Einflüssen ist eine Aufbewahrung in säurefreien, formatangepassten Archivverpackungen Standard in der DNB.

Die bautechnischen Voraussetzungen zur Gewährleistung der geforderten klimatischen Bedingungen in den Magazinräumen im historischen Gründungsgebäude sind nicht optimal. Hier werden aktuell bereits Umlagerungen der Medien aus den alten Magazinräumen in den vierten Erweiterungsbau vorgenommen.

Die beiden zuletzt entstandenen neuen Gebäude der DNB verfügen über sehr gute Voraussetzungen für eine moderne und angemessene, konservatorisch sichere Medienlagerung. 

Die klimatischen Bedingungen werden nicht nur durch die Beschaffenheit der Räume an sich beeinflusst, sondern ebenso durch die Menschen vor Ort.

Um als Archivbibliothek zukunftsfähig zu sein, ist eine konservatorisch sichere Bestandslagerung stets im Kontext aktueller Entwicklungen zu sehen, beispielsweise beim Einsatz von moderner Klimatechnik im Hinblick auf Nachhaltigkeit und Energieverbrauch.

Mensch oder Maschine? – Ausstattung und Automatisierung im Bibliotheksmagazin

In den Magazinräumen der Deutschen Nationalbibliothek Leipzig lagern aktuell fast 20 Millionen Medienwerke auf ca. 222 km Regalboden, und durchschnittlich ergibt sich pro Jahr ein Zuwachs von 4,5 Regalbodenkilometern. Neben den umfangreichen Neuzugängen bewältigt das Bibliothekspersonal durchschnittlich mehrere hundert Bestellungen pro Tag. Für den Transport der Medien vom Magazin zur Ausleihe und zurück gibt es in der DNB eine Buchtransportanlage. Durch die direkte Anbindung des Transportsystems an die Magazinräume kann der Ausleihprozess effektiv gestaltet werden. Die Ausleihe erfolgt über OPAC, den Online-Bibliothekskatalog. Ihren Weg von der Transportbox bis zum Platz im Regal finden die Medien jedoch nach wie vor durch das manuelle Einordnen der Mitarbeitenden. Diese Tätigkeit ist zeitintensiv und teilweise körperlich anstrengend. Könnte dieser Arbeitsschritt automatisiert werden, indem das direkte Ein- und Auslagern aus den Regalen computergestützt erfolgt und ein Roboter diesen Teil der Arbeitsprozesse im Magazin übernimmt?   

Regale im Zeitschriftenlager der DNB Leipzig um 1916 / Foto: Denkschrift zur Einweihung der Deutschen Bücherei Leipzig 1916, Tafel 8.

Das Ordnungssystem und die Aufstellung in den Regalen der DNB folgen dem Numerus Currens (lat. für laufende Nummer). Das heißt, die Medien werden in der Reihenfolge ihres Eingangs innerhalb des Jahrgangs nach Format getrennt, fortlaufend nummeriert und in Regalen eingeordnet. Bei der Entnahme im Ausleihprozess werden dann sogenannte Vertretertaschen durch das Personal an den jeweiligen Platz im Regal angebracht. Der Abstand zwischen den einzelnen Regalen, der sogenannte Achsabstand, muss ausreichend Bewegungsfreiheit für die Magazinmitarbeitenden gewährleisten und gleichzeitig die vorhandenen Platzressourcen optimal nutzen. Die Regale sind das Grundgerüst und Herzstück der Magazine. Ihre Beschaffenheit bestimmt den Charakter der Magazinräume.

Die DNB verfügt über Regalsysteme verschiedenster Typen und Ausführungen. Im historischen Gründungsgebäude finden sich noch heute Regale einfacher Bauart: metallische Regale mit höhenverstellbaren Regalböden. Die Systemregale aus Stahlblech sind vielseitig kombinierbar und leicht (de-)montierbar. Diese Regale sind jedoch nicht flexibel in ihrer Position, sondern fest am Fußboden montiert. Über die Zeit entwickelte sich die Ausstattung der Lagermöbel in den einzelnen Magazinen der DNB weiter. Die einfachen, aber ortsgebundenen Regale, unter anderem im Zeitschriftenlesesaal, wurden mittlerweile durch platzsparende Fahrregalanlagen mit Handkurbel ersetzt. Das moderne Nachfolgermodell in elektrischer Form mit einem Tastenbedienfeld findet sich ebenso in der DNB, im letzten Erweiterungsbau. Die elektrischen Fahrregale bieten sehr gute Voraussetzungen für eine konservatorisch optimale und platzsparende Lagerung der Medien sowie hohe Bedienerfreundlichkeit für das Bibliothekspersonal. Zudem werden mit neuesten Regalanlagen die Voraussetzungen geschaffen, in naher Zukunft in der DNB eine Weiterentwicklung in Richtung Automatisierung der Magazinarbeit zu erreichen. 

Automatisiert arbeitende Magazinsysteme in Verbindung mit digitaler Bestandsverwaltung sind effizient und reduzieren die Fehlerquote. Eine Magazinarbeit ohne Menschen – wie von Geisterhand – ist keine Utopie. Robotergesteuerte Regalsysteme können zum Beispiel Medieneinheiten automatisch ein- und auslagern und den Standort im Regal verwalten. Diese Systeme verwenden in der Regel Barcodes, um jedes Objekt eindeutig zu identifizieren, und sind mittels entsprechender Software mit dem Online-Bibliothekskatalog verbunden. Die Automatisierung beschränkt sich nicht auf die Bestände im Magazin, sondern könnte beispielsweise auf den gesamten Prozess der Medienbereitstellung und grundlegenden Erschließung angewandt werden. Natürlich ist für die Umsetzung solcher Pläne ein enormes Investitionsvolumen erforderlich. Das hohe Einsparungspotenzial hinsichtlich Personalkosten kann diesen Aufwand jedoch durchaus rechtfertigen.

Im fünften Erweiterungsbau der DNB am Standort Leipzig, der mittelfristig in Planung ist, könnten derartige Überlegungen zur Automatisierung Berücksichtigung finden und Realität werden.

Jasmin Lorenz ist Masterstudentin der Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Zuvor absolvierte sie erfolgreich ein Bachelorstudium der Museologie, ebenfalls in Leipzig.

Im Kontext seiner Kooperation mit der Wissenschaft hat das Deutsche Buch- und Schriftmuseum im Wintersemester 2022/23 einen Lehrauftrag an der Universität Leipzig durchgeführt, das sich unter dem Aspekt der Gestaltung, Funktionen und Ästhetiken des Speicherns mit der spannenden 111-jährigen Geschichte der DNB beschäftigt. Es ist eine in der Strategie der DNB fest verankerte Lehrkooperation, deren Ergebnisse zugleich Auskunft geben über 111 Jahre Bibliotheksgeschichte.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Jasmin Lorenz

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  • ISSN 2751-3238