Das Zentralantiquariat der DDR als Lieferant für das DBSM

9. April 2024
von Iris Schultz

Im Sommer 2023 war eine Provenienzforscherin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz (SBB PK) für drei Monate zu Gast am Deutschen Buch- und Schriftmuseum (DBSM) der Deutschen Nationalbibliothek (DNB). Sie forscht aktuell an der Staatsbibliothek zu Berlin in einem Kooperationsprojekt mit dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste zum Zentralantiquariat der DDR (ZA). Dabei sollen die Handelspraktiken des ZA und die Verkaufswege der gehandelten Bestände rekonstruiert werden, u.a. durch die Überprüfung zahlreicher Bücher in ausgewählten Bibliotheken und der Kontextualisierung der gefundenen Provenienzspuren.

Das Zentralantiquariat der DDR war in der Zeit seines 30-jährigen Bestehens (1959–1989) ein wichtiger Akteur im europäischen Antiquariatshandel. Als staatlich gelenkte Institution war es dabei mit besonderen Anforderungen konfrontiert. Es sollte zum einen die Bibliotheken, aber auch die Bürger*innen der DDR mit wissenschaftlicher Literatur versorgen. In den Ladengeschäften der Leipziger Innenstadt wurde dieses Angebot auch auf modernes Antiquariat sowie Grafiken und Musikalien ausgeweitet. Zum anderen diente das ZA der Erwirtschaftung von Devisen. Dies gelang durch den Verkauf in das nach damaligem Sprachgebrauch „Nichtsozialistische Wirtschaftsgebiet“ (NSW). So wurden nach West-Berlin und in die BRD, nach Westeuropa bis in die USA und Japan Bücher verkauft, sowohl antiquarische Bücher als auch Erzeugnisse aus der eigenen Reprint-Abteilung, die ab 1964 Nachdrucke seltener Werke reproduzierte.

Die damalige Deutsche Bücherei hatte bei der Belieferung durch das ZA einen klaren Vorteil anderen Institutionen in der DDR gegenüber. Für die Deutsche Bücherei in Leipzig, die Deutsche Staatsbibliothek (DSB) in Berlin, die Bibliothek des Instituts für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in Berlin und die Deutsche Militärbibliothek in Dresden gab es ein befristetes Vorkaufsrecht beim ZA. Das ZA lieferte seine Antiquariatskataloge und Angebotslisten zuerst an diese Institutionen, bevor andere Interessenten Zugang dazu erhielten. Diese Kataloge und Angebotslisten sind heute zu einem großen Teil im DBSM überliefert und wurden im Rahmen des Projekts bereits an der Staatsbibliothek zu Berlin digitalisiert. Sie stehen in den Digitalisierten Sammlungen zur Verfügung.

Drei Kataloge des Zentralantiquariats der DDR liegen zu einem Fächer angeordnet auf einem Tisch.
Kataloge des Zentralantiquariats der DDR, (c) SBB-PK

ZA-Erwerbungen im Deutschen Buch- und Schriftmuseum

 Im Deutschen Buch- und Schriftmuseum finden sich heute zahlreiche Bücher, die durch das ZA geliefert wurden, erkenntlich in den Zugangsbüchern durch den Eintrag „ZA Leipzig“ als Lieferant. Das DBSM hat in der Zeit von 1959 bis 1989 über 2.000 Titel vom ZA erworben. Darunter befinden sich neben zahlreichen antiquarischen Erwerbungen auch zeitgenössische Veröffentlichungen von Verlagen aus der DDR, die das ZA ebenso vertrieb. In den Autopsien – den Überprüfungen der Bücher auf Provenienzmerkmale – wurde eine Auswahl von ca. 2.000 Büchern aus dem 15.–21. Jahrhundert bearbeitet. Dabei konnten mehr als 1.100 Provenienzmerkmale in Form von Stempeln, Exlibris, Autogrammen, Widmungen sowie Altsignaturen und Zugangsnummern von Bibliotheken und Einträgen von Antiquariats- und Buchhandlungen ermittelt werden. Unter den Vorbesitzern finden sich zahlreiche Bibliotheken: Universitäts- und Hochschulbibliotheken, Gymnasial- und andere Schulbibliotheken, aber auch öffentliche Bibliotheken, Landesbibliotheken sowie einige Adels- und Schlossbibliotheken. Unter den Herkunftsregionen sind Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt besonders stark vertreten, sowohl aus der Zeit der DDR als auch zuvor aus dem Gebiet des Deutschen Reichs. Von den 1.100 Provenienzmerkmalen stammen wiederum ca. 400 Merkmale von Personen, von denen ungefähr die Hälfte zugeordnet werden konnte, zum einen durch Einträge in der Gemeinsamen Normdatei (GND) und somit über die Webseite der DNB recherchierbar, zum anderen durch Recherchen in verschiedenen Online-Datenbanken. Zwei markante Personen aus Sachsen und Thüringen sollen an dieser Stelle vorgestellt werden.

Der fußballspielende Tierarzt

Mit einem Stempel hat sich ein fußballspielender Tierarzt verewigt, über den in Ansätzen Informationen recherchierbar sind: Ewald Trummlitz. Neben seinem Namensstempel nutzte er weitere Stempel, mit denen er sowohl Datum als auch Zählnummer seines Bestands in den Büchern vermerkte. In Leipzig befinden sich zwei Bücher mit diesen Merkmalen unter den Beständen, die das DBSM vom ZA gekauft hat. Der Band „Hundert ausgewählte Gedichte“ von Richard Dehmel, 1908 in Leipzig publiziert, wurde im März 1976 durch das Museum erworben. Dieser trägt die gestempelte Nummer 2719; wenn man diese Angabe als Zählnummer liest, lässt dies auf eine umfangreiche Sammlung schließen. Darauf deutet auch der Band mit dem Titel „Isabella von Ägypten, Kaiser Karl des fünften erste Jugendliebe“ von Achim von Arnim aus dem Jahr 1903 hin, der mit der Nummer 2067 versehen wurde und 1978 seinen Weg in das Museum fand. Hier wurde auch ein Datum eingestempelt: 17 Oct 1907. In der Berliner Staatsbibliothek finden sich ebenso zwei Bände von Trummlitz, die einst vom ZA erworben wurden. Ein Band von 1902 trägt ein Autogramm und die Nummer 1018, während sich in einem Band von 1907 der bekannte Stempel mit Namenszug und die gestempelte Nummer 2409 befinden. Als Anekdote kann hier von dem Ergebnis einer Auktion aus dem Jahr 2021 berichtet werden. Das Auktionshaus Galerie Bassenge bot eine Mappe mit erotischen Zeichnungen an, die sich wiederum heute im Besitz der Berliner Staatsbibliothek befindet. Auch hier markierte Trummlitz sein Eigentum mit seinem Namensstempel und der handschriftlichen Nummer 3153.

Über Trummlitz selbst gibt es einige wenige verfügbare Informationen. Über seine Tätigkeit im Fußball finden sich beim Dresdener SC Angaben zu einem Ewald L. M. Aemilian Trummlitz als Tierarzt, allerdings ohne Jahresangaben. Im Personenarchiv des Leipziger Fußballverbands wird Trummlitz als Mitglied des konkurrierenden Fußballvereins VfB Leipzig (Verein für Bewegungsspiele) gelistet, der in der Zeit seiner Mitgliedschaft mehrmals Deutscher Meister wurde. Als Mitglied des VfB Leipzig war er Vorsitzender des Spieleausschusses des Fußballverbands in den Jahren 1903–1904 und 1908–1914. Trummlitz wird 1909 im Deutschen Automobil-Adreßbuch als Halter eines Kraftrads in Leipzig gelistet. Zuletzt gibt es einen Eintrag im Leipziger Adressbuch von 1949 mit Wohnsitz in Markkleeberg. So formt sich insgesamt das Bild eines Mannes, der sich aktiv an der Gestaltung seines Umfeldes beteiligte, indem er sich nachweislich bis 1914 im Bereich Fußball engagierte, hauptberuflich als Tierarzt tätig war und über Bibliothek von über 3000 Büchern bzw. Drucken aus den Bereichen Literatur, Medizin und Kunst besaß. Wie er die Zeiten der beiden Weltkriege erlebte, ist bisher nicht zu rekonstruieren. Er überlebte diese jedoch und wohnte bis mindestens 1949 in Leipzig. Danach verlieren sich seine Spuren.

Der Lehrer mit der Privatsternwarte

Etwas bekannter ist der Vorbesitzer zweier Bände, die bereits 1959 durch das Museum vom ZA erworben wurden: Carl Rohrbach (1861–1932) aus Gotha. Bei den Bänden handelt es sich zum einen um „Hanchen und die Küchlein“ von August Gottlob Eberhard aus dem Jahr 1840 und zum anderen um „Das Buch von der Frau Holle“ von Max Geißler, um 1903 publiziert. Beide Bände tragen den Stempel „Bücherei Dr. C. Rohrbach“. Nach Gotha verweist in zweitgenanntem Band ein weiteres Provenienzmerkmal, ein Etikett in Form einer Briefmarke mit der Aufschrift „Landes Gewerbe-Ausstellung Gotha 9. Juli – 7. August 1898“. Auch in der SBB PK gibt es einen Band mit den Provenienzen von Rohrbach, seinem Autogramm, dem Stempel und der Briefmarke der Gewerbe-Ausstellung. Ob dieser Band einst vom ZA verkauft wurde, ist noch nicht vollständig geklärt. Ein Zusammenhang wäre aber möglich.

Carl Rohrbach hat nicht nur in Büchern seine Spuren hinterlassen, sondern auch in Gotha selbst. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer und Schulleiter der Arnoldischule, ließ er 1904 eine Privatsternwarte auf seinem Grundstück errichten, den noch heute bekannten Rohrbachturm. Die Kuppel dafür entwarf Rohrbach selbst und ließ eine weitere bei der Neuerrichtung der Arnoldischule in den Jahren 1909–1911 als Teil der Schulsternwarte bauen. Carl Rohrbach war zudem als Autor tätig und veröffentlichte Bücher zu zahlreichen Themen, zur Geographie, Astronomie, Didaktik, aber auch zur Weltsprache Esperanto und über die Geschichte und den Bau der Arnoldischule.

Iris Schultz

Iris Schultz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz in der Abteilung Handschriften und Historische Drucke.

Dieser Beitrag gehört zu einer Reihe, die wir anlässlich des Tags der Provenienzforschung 2024 veröffentlichen.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:(c) SBB-PK

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