„Die Daten sind frei …“

19. August 2024
von Elke Jost-Zell, Anke Meyer-Heß

Kostenlos und frei

Kennen Sie das schöne alte Lied Die Gedanken sind frei? Der luftige Liedtext drückt die unstillbare Sehnsucht nach innerer Freiheit und Unabhängigkeit aus. Gedankenfreiheit gehört in die Luft, die wir in Bibliotheken atmen. Besonders in denen, die alles, was in einem Land erscheint, frei und unzensiert sammeln und beherbergen, dabei den Inhalt aber nicht werten. Ob ein Medienwerk wissenschaftlich ist oder populär, als qualitativ hochwertig erachtet wird oder eben nicht – in Anlehnung an das englischsprachige Sprichwort „One man’s trash is another man’s treasure“ kann das, was eine Privatperson als Schrott erachtet, für eine andere ein zu bergender Schatz sein. Die Gedanken, die man sich darüber macht, bestimmen den jeweiligen und ganz individuellen Wert.

In Nationalbibliotheken wie der DNB sind nicht nur die Gedanken in ihren Sammlungen frei, auch die Nutzung der Daten ist es. Dies war nicht immer so.

Tardis neben einer Geldkassette – Foto Anke Meyer-Heß CC0

Zeitsprung 1931-2014: „Money makes the world go round“ (Cabaret)

In diesem Blogbeitrag sprechen wir über den schnöden Mammon, denn was uns heute in der Welt der Metadaten selbstverständlich scheint, war nicht immer umsonst zu haben. Schon die Titelkarten für die Zettelkataloge, über die wir in unserem Blogbeitrag Moderne Metadaten – Zettelkatalog berichteten, kosteten Geld. Eine Titelkarte war 1931 für 0,02 Mark bei laufendem Bezug zu haben – bis zur Einstellung des Titelkartendienstes im Jahr 2013 war der Bezug der Kärtchen kostenpflichtig, aber mit einer recht bescheidenen Kostenanpassung von zuletzt zu 0,07 Euro. Natürlich waren auch die maschinenlesbaren Titeldaten nicht umsonst, zuerst wurden sie stückbezogen einzeln abgerechnet. Ein Datensatz auf Magnetband kostete im Jahr 1977 0,06 DM und 1997 0,12 DM.

Blick in die Kostentabelle für die Deutsche Nationalbibliografie von 1997 – Foto Anke Meyer-Heß CC0

Auch die gedruckten Ausgaben der Deutschen Nationalbibliografie sowie die CD-ROM-Ausgaben, die kommerziell über den Verlag des Deutschen Börsenvereins und den Buchhandel vertrieben wurden, kosteten Geld. Doch ab 1998 setzte der allmähliche Wandel von Stückpreisen zu Pauschalpreisen ein, mit der zunehmenden Nutzung der Online-Dienste der DNB.
Es gab drei Preisklassen. Das Jahresabonnement der Deutschen Nationalbibliografie, Reihe A, in der die Veröffentlichungen des Verlagsbuchhandels angezeigt wurden, kostete für Bibliotheksverbünde und Servicezentralen 21.000 DM – und damit erheblich mehr als die Fernsehzeitung, die man als Privatperson per Abo bezog. Kunden, die die Daten für den Eigenbedarf nutzten, mussten allerdings nur 7000 DM, also ein Drittel dieses Pauschalbetrags zahlen, während Datenabnehmer, die diese für kommerzielle Zwecke nutzten, mit 63.000 DM das Dreifache zahlten[1].
Würde man diese Praxis auf unsere Zeitreisen in die Geschichte der Metadaten übertragen, müssten wir Autorinnen der lieben Bibliotheks-TARDIS einen pauschalen Obolus aus Universums-Energie, einer Prise Quecksilber, Zeiton 7 und Artronenenergie für die Dauer unserer Zeitreise entrichten. Würden wir Privatpersonen wie die Schauspieler Ncuti Gatwa (Dr.Who) oder William Shatner (Star Trek) zu uns einladen, hätten sie nur ein Drittel unseres Obolus‘ zu entrichten, während ein Großunternehmer wie Elon Musk das Dreifache zu zahlen hätte.

Als zusätzliches Angebot bot die DNB ab 1998 mit Einführung der Shopsysteme zu den Pauschalpreisen auch Staffelpreise für Metadaten an. Je nach Datenkontingent galten unterschiedliche Preise, von bis zu 1000 Datensätzen à 210 Euro bis hin zu 20.000 Datensätze für 3.400 Euro.
Zu Höchstzeiten nahm die DNB aus ihrem Datenvertrieb, inklusive Nationalbibliografie in Print- und CD-ROM-Ausgabe, bis zu 1.7 Millionen Euro ein – Geld, das wir für den Betrieb und die Weiterentwicklung unserer bibliografischen Dienste verwendeten.

Preistabelle des Datenshops von 2010 – Screenshot Anke Meyer-Heß CC0

Zeitsprung 2015: Daten, frei und kostenlos

Unsere bibliotheksblaue TARDIS schwenkt ein ins Jahr 2015. Endlich ist es soweit – der große Wunsch vieler Beschäftigter der DNB geht in Erfüllung: alle Titeldaten der Deutschen Nationalbibliothek sind in allen gewünschten Formaten kostenfrei und unter Creative Commons Zero-Bedingungen (CC0 1.0) über das Internet erhältlich. Nach all der Zeit des Datenflusses und dem damit verbundenen Geldfluss – wie kam es auf einmal dazu? In ihrer Pressemitteilung kündigt die DNB feierlich ihre Unterstützung für den „freien Fluss der Daten“ zur freien Nachnutzung an:

Pressemitteilung vom: 13. Mai 2015

Ab 1. Juli 2015 sind alle Titeldaten der Deutschen Nationalbibliothek und die Normdaten der Gemeinsamen Normdatei (GND) kostenfrei unter „Creative Commons Zero“-Bedingungen (CC0 1.0) zur freien Nachnutzung verfügbar.

Der Bezug ist über Online-Schnittstellen (Datenshop, SRU- oder OAI-Schnittstelle etc.) in den standardmäßig angebotenen Formaten nach einmaliger kostenfreier Anmeldung und Autorisierung möglich.

https://www.dnb.de/DE/Ueber-uns/Presse/ArchivPM2015/metadatenCC0.html

Freie Daten und Freiheit liegen nah beisammen – nicht umsonst (!) bedeutet „umsonst“ ins Englische übersetzt „for free“.
Und was geschah an diesem 1. Juli 2015? Die DNB verschickte die historische E-Mail in die Welt, doch es gab zunächst kaum Reaktionen. „Der Tag war viel ruhiger als erwartet“, erinnert sich Anke Meyer-Heß, Bibliothekarin und Metadaten-Zauberin, und noch immer schwingt leise Verwunderung in ihrer Stimme mit. [2]

Zeitsprung 2024: Die Gedanken sind noch immer frei

Und wie sieht es fast 10 Jahre später aus?
Wir erstellen Sitemaps, die neue Version von ChatGPT durchsucht diese und findet Treffer in unserem Katalog, gibt auf Anfrage Auskunft, welche Metadatenartikel wir in unserem Bibliotheksblog veröffentlicht haben … und Freiheit steht bei uns immer und mehr denn je hoch im Kurs. So ist die DNB im Wissenschaftsjahr 2024 zum Thema „Freiheit“ mit dem Deutschen Exilarchiv und dem Deutschen Buch- und Schriftmuseum in einer schwimmenden Ausstellung unterwegs. Darin präsentieren wir, wie Kreative in der DDR mit künstlerischen Mitteln für Freiheit kämpften, wie der Buchdruck ab 1450 Meinungsfreiheit und Demokratiebewegung den Weg ebnete und die Holocaustüberlebenden Inge Auerbacher und Kurt S. Maier erzählen ihre Geschichten – Zeitzeugen, die uns bewusstmachen, wie kostbar unser Grundgesetz und dass Freiheit und Demokratie keine Selbstverständlichkeit sind, sondern ein Gut, das man sich immer wieder hart erkämpfen muss.

Wie der Besuch in einer Bibliothek, in der die Gedanken frei und die Erfahrungen und Meinungen der ganzen Welt zu finden sind – auch, aber nicht nur verpackt als Information, sondern gewoben in Geschichten, ob erlebt oder erfunden, und für jede*n zu entdecken!

Siehe:

https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:101-2022022307


[1] Siehe: Die Deutsche Nationalbibliografie und ihre Formate : 1931 bis 2030 / Kurt Schneider urn:nbn:de:101-2022022307

[2] Siehe auch 1. What happens if you publish the National Bibliography under a CC0-License? –

Experiences of the German National Library (DNB)    Anke Meyer-Heß (German National Library (DNB), Germany) and     Jochen Rupp (German National Library (DNB), Germany)    Paper in English http://library.ifla.org/1414/1/210-meyer-en.pdf

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Anke Meyer-Heß

Schreibe einen Kommentar

Kommentare werden erst veröffentlicht, nachdem sie von uns geprüft wurden.
Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Über uns

Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands.

Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.

Mehr auf dnb.de

Schlagwörter

Blog-Newsletter

In regelmäßigen Abständen erhalten Sie von uns ausgewählte Beiträge per E-Mail.

Mit dem Bestellen unseres Blog-Newsletters erkennen Sie unsere Datenschutzerklärung an.

  • ISSN 2751-3238