Literatur unter der Lupe 4

25. Juli 2024
von Petra Kuhlemann

Formalerschließung in der Praxis

Ein Holzwagen voller Bücher in der Formalerschließung der DNB
Ein voller Bücherwagen – wir decken uns mit Arbeit ein
Foto: Elke Jost-Zell, Deutsche Nationalbibliothek

Das Schöne an der Formalerschließung

Im zweiten Teil unserer Erschließungs-Reihe haben wir uns gemeinsam mit Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser, mit den theoretischen Grundlagen der intellektuellen Formalerschließung befasst. Heute stellen wir Ihnen den konkreten Arbeitsablauf in der Formalerschließung vor. Jeden Nachmittag freuen wir uns auf den Bücherwagen, der von den Kolleg*innen des Scandienstleisters nach dem Einscannen der Inhaltsverzeichnisse zu uns in die Abteilung gefahren wird. Im besten Fall ist er sehr voll beladen, mit einer unendlichen Vielfalt an physischen Medien, zumeist Büchern.

Ein Feuerwerk an Medienwerken

Es kommen die unterschiedlichsten Medienwerke, vor allem Bücher, bei uns an – und genau das macht für mich als leidenschaftlicher Leserin den großen Reiz der Tätigkeit in der Formalerschließung aus.

Wir bekommen die umfassende Vielfalt des Bestandes einer Universalbibliothek auf den Tisch!

Belletristik, wie z.B. Yellowface, der neue Roman der Autorin Rebecca F. Kuang, neue Auflagen älterer Romane wie die hübschen neuen Ausgaben der Regency-Romane Bridgerton mit Fotos aus der TV-Serie, Comics und Graphic Novels wie Everest, das Abenteuer der Erstbesteigung durch Edmund Hillary und Tenzing Norgay von Alexandra Stewart und Joe Todd-Stanton, wunderschöne Bildbände über die schönsten Länder und Landschaften unseres Planeten, Reiseführer für aller Herren Länder, Kunstbände und Ausstellungskataloge, die das Herz eines jeden Kunstliebhabers höher schlagen lassen, auch Ungewöhnliches wie Ganz große Kunst, ein Bildband, in dem Otto Waalkes weltberühmte Kunstwerke auf seine ganz eigene, sehr erheiternde Art nachstellt. Ratgeberliteratur zu jedem nur erdenklichen Thema wie Gesundheit, Haustierhaltung, Garten, Flora und Fauna, Heimwerken, Basteln, Handarbeiten und so unglaublich viel mehr ist zu finden – und natürlich nicht zu vergessen das gesamte Spektrum der wissenschaftlichen Literatur, Zeitschriften und Zeitungen, Vereinsschrifttum und das wunderbare Füllhorn an deutscher und ins Deutsche übersetzter Kinder- und Jugendliteratur …

Wir bedienen uns also vom Bücherwagen und tragen einen Stapel Bücher zur Bearbeitung mit zu unserem Arbeitsplatz.

So reizvoll es auch wäre – natürlich können wir all diese faszinierenden Bücher nicht lesen – leider! Aber genau anschauen müssen wir uns jedes einzelne Medienwerk, um es bestmöglich erschließen zu können. Wie bereits erwähnt, erschließen wir nach dem Prinzip der Autopsie. Wir nehmen jedes Werk in Augenschein, und zwar unabhängig vom Inhalt (dafür ist die Inhaltserschließung zuständig). Es ist auch egal, ob wir das Werk eines Nobelpreisträgers oder schnuckelige Ferienlektüre vor uns haben – wir widmen uns in der Formalerschließung auf egalitäre Weise jedem Werk. Egal, ob ein Roman, ein Comic, eine Jubiläumsschrift eines Vereins oder ein wissenschaftliches Werk auf unserem Schreibtisch liegt – alle Medien erhalten von uns die gleiche Aufmerksamkeit.

Wir nehmen ein Buch in die Hand und suchen den Nachweis desselbigen in unserer Datenbank, der WinIBW. In diese geben wir die nötigen Angaben über das vor uns liegende Buch ein. Als Beispiel haben wir ein wunderschönes Buch über Berge, mit dem schönen Titel Berge : unberührte Landschaften in Europa.

Der Bildband Berge, ein Terminplaner und ein Kugelschreiber auf einem Schreibtisch
Ein wirklich wunderschönes Beispiel für die Publikationen, mit denen wir arbeiten
Foto mit freundlicher Genehmigung der GeraNova Bruckmann Verlagshaus GmbH, Frederking & Thaler, München

Das Buch hat bereits den Medieneingang durchlaufen und dort eine Akzessionsnummer erhalten. Auch das Inhaltsverzeichnis, so vorhanden, wurde schon vom Scandienstleister für unseren Online-Katalog eingescannt. So können Nutzer*innen später schon im OPAC anhand des gescannten Inhaltsverzeichnisses einschätzen, ob eine bestimmte Publikation für sie interessant ist oder nicht.

Als Nachweis finden wir entweder Fremddaten z.B. von anderen Bibliotheken oder Bibliotheksverbünden oder die vom Verlag gelieferten Nachweise des vom Börsenverein des deutschen Buchhandels herausgegebenen Verzeichnisses Lieferbarer Bücher (VLB). Das VLB ist DIE Plattform für den automatisierten Austausch von Produktinformationen in der deutschsprachigen Buchbranche. Es versorgt den Handel und andere Kunden mit Metadaten zu circa 2 Millionen Titeln aus rund 22.000 Verlagen.

Sind keinerlei Fremddaten vorhanden, erstellen die Mitarbeiter des Medieneingangs einen eigenen Nachweis für die betreffende Publikation, den sogenannten „Rumpfdatensatz“  – welchen wir dann nach den Regeln von RDA weiterbearbeiten. Um bei unserem Beispiel zu bleiben – dem Buch über Berge – lag und eine Verlagsmeldung des VLB vor.

Allgemeine Angaben zum vorliegenden Werk

Unser Katalogisierungssystem bietet zahlreiche Möglichkeiten, bestimmte schon im System hinterlegte Angaben in die Titelaufnahme einzufügen, zum Beispiel die Kategorien Inhaltstyp, Medientyp, Datenträgertyp und Angaben zum Inhalt des Werkes.

Inhaltstyp ist z. B. bei Büchern zumeist „Text“, „unbewegtes Bild“, bei CDs mit Lesungen „gesprochenes Wort“.

Unser Beispielbuch über die Berge ist ein Bildband, d.h. es ist ein großformatiges Buch mit sehr vielen, faszinierenden Fotos. Es würde deshalb die Inhaltstypen „Text“ und „unbewegtes Bild“ erhalten.

Eine Buchausgabe der Buddenbrooks von Thomas Mann ohne jegliche Illustrationen bekäme ausschließlich den Inhaltstyp „Text“.

Ein Computerbildschirm mit einer Titelaufnahme im Bearbeitungsstatus
Unser „Berge“-Buch hat eine VLB-Meldung, die wir nun weiter nach RDA bearbeiten
Foto: Elke Jost-Zell, Deutsche Nationalbibliothek

Medientyp

Eine weitere mögliche Angabe erfasst den Medientyp, um den es sich handelt: etwa eine Mikroform, um ein Computermedium oder, wie in sehr vielen Fällen, um ein Buch, das „ohne Hilfsmittel zu benutzen“ ist…

Unser Buch über die Berge ist ohne Hilfsmittel zu benutzen.

Datenträgertyp

Eine weitere Angabe können wir aus dem System abrufen. Für ein Buch, welches dem Medientyp „ohne Hilfsmittel zu benutzen“ zugeordnet wird, würden wir hier die Angabe „Band“ angeben. Unser Bergebuch ist demnach ein „Band“.

Angaben zum Inhalt

Auch diese Kategorie bietet uns die Möglichkeit, für das vorliegende Werk eine passende Bezeichnung auszuwählen, z.B. kann es ein Ausstellungskatalog, ein Bilderbuch, eine Konferenzschrift oder eine Festschrift sein.

Bei den aufgeführten und den noch anderen möglichen Kategorien gibt es umfassend viele Möglichkeiten, das vor uns liegende Werk präzise einzuordnen. Wir schauen uns nun die Angaben auf dem Buchumschlag, dem Buchrücken, der Titelseite und im Impressum an. Dies sind für uns die Hauptinformationsquellen für die Erschließung, d. h. hier finden wir die für uns wichtigsten Informationen für unsere Katalogisierungsarbeit.

Die wichtigsten Informationen für unsere Titelaufnahme

ISBN, International Standard Book Number

Die ISBN ist eine international verwendete Nummer zur eindeutigen Identifizierung von Büchern (für Zeitschriften und Zeitungen ist das die ISSN, International Standard Serial Number)

Ländercode

Der Ländercode bezeichnet einen bestimmten, vorgegebenen Code für das Erscheinungsland bzw. die Erscheinungsländer des Buches. Unser Beispielbuch ist in einem Verlag in München erschienen, es bekommt den Ländercode „XA-DE“ für Deutschland.

Das Erscheinungsjahr

Meist das aktuelle, in unserem Fall das Jahr „2024“.

Die Sprache

Die Sprache bzw. die Sprachen des vorliegenden Buches und bei Übersetzungen die Angabe der Originalsprache, aus der es übersetzt wurde. Unser Beispielbuch ist in deutscher Sprache erschienen, d.h. es erhält den Sprachencode „ger“ für German/Deutsch.

Die Einbandart

Hier geben wir an, ob das Buch fest gebunden ist oder eine broschierte Ausgabe, z.B. ein Taschenbuch. Unser Beispiel ist ein fest gebundenes Buch, es bekommt die Bezeichnung „Festeinband“.

Beteiligte Personen

Besonders wichtig sind die an einer Publikation beteiligten Personen: Verfasser*innen (=geistige Schöpfer), mögliche Herausgeber*innen, Bearbeiter*innen, Übersetzer*innen, Illustrator*innen, Fotograf*innen, Künstler*innen etc. Hier verknüpfen wir mit den Normdatensätzen der GND. Wenn noch kein Datensatz vorhanden ist, erstellen wir einen Neuen. In unserem Bergebuch haben wir drei Autoren, einen Verfasser und zwei Fotografen und wir verknüpfen diese mit deren Normdatensätzen aus der GND.

Beteiligte Körperschaften

Natürlich richten wir unser Augenmerk nicht nur auf natürliche Personen, sondern auch auf Körperschaften. Ist im Buch eine Körperschaft genannt, die dieses Werk erarbeitet oder herausgegeben hat? Ist eine Körperschaft genannt, die mit dem Buch gefeiert wird, weil sie vielleicht einen bedeutenden Geburtstag begeht? Auch in diesen Fällen verknüpfen wir die Normdatensätze der Körperschaften der GND mit unserem Titeldatensatz.

Der genaue Titel des Buches

In unserem Fall ist es kurz und bündig „Berge“. Der Zusatz zum Titel ist „unberührte Landschaften in Europa“.

Paralleltitel

Ein Paralleltitel ist ein Haupttitel in einer anderen Sprache. Einen solchen haben wir in unserem Beispiel nicht vorliegen.

Ein möglicher Werktitel

Ist unser zu katalogisierendes Buch die deutsche Übersetzung eines fremdsprachigen Werkes, so ist der Originaltitel, d.h. der Titel, unter dem das Buch zuerst erschien, der Werktitel. Liegt uns die Übersetzung eines deutschsprachigenWerkes in eine andere Sprache vor, dann ist der ursprünglich deutschsprachige Titel der Werktitel. Auch hier wird mit einem eventuell in der GND vorhandenen Werktitel verknüpft bzw. es wird ein Datensatz für den Werktitel angelegt.

Verlagsname und Verlagsort

Seitenzahl sowie Illustrationen, Diagramme oder Karten

Die konkrete Höhe des Werkes in Zentimetern

Mehrbändig oder einbändig

Eine ebenfalls wichtige Information für alle Nutzer*innen ist die Angabe, ob ein Medienwerk einbändig, sozusagen als stand alone erscheint oder Teil eines begrenzten mehrbändigen Werkes oder einer fortlaufenden Reihe ist. Dann wird es mit dem übergeordneten Titel oder Reihentitel verknüpft und man kann genau sehen, welche Titel in einer bestimmten Reihe erschienen sind.

All dies sind die für uns wichtigsten Angaben zur formalen Erschließung des Buches.

Es gibt noch viele weitere Aspekte zu beachten, diese alle aufzuführen, würde aber den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Haben wir alle Angaben eingegeben und drücken auf ENTER, ist das Buch in der Formalerschließung fertig bearbeitet und geht auf seiner Wanderschaft durch die Bibliothek weiter in die Abteilung Inhaltserschließung.

Petra Kuhlemann

Petra Kuhlemann ist Bibliothekarin und Germanistin und in der Abteilung Formalerschließung der Deutschen Nationalbibliothek tätig

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Elke Jost-Zell, Deutsche Nationalbibliothek

2 Kommentare zu „Literatur unter der Lupe 4“

  1. Peter Bredthauer sagt:

    Sehr nett und informativ geschrieben – eben für die breite Masse und nicht nur für alte „Katalogisierungs-Hasen“ 😉 Und es zeigt sich mal wieder, dass eben diese doch sehr spezielle und traditionsbehaftete Tätigkeit in unserer Branche genau das Richtige für literaturinteressierte Bibliothekare und Bücher-Liebhaber ist.

    1. Petra Kuhlemann sagt:

      Lieber Herr Bredthauer,
      vielen Dank für ihren überaus netten Kommentar! Genau das wollten meine Kollegin Frau Jost-zell und ich mit dieser Beitragsreihe über Kernaufgaben einer Bibliothek erreichen – dass für eine breite Öffentlichkeit sichtbar wird, wie schön diese Tätigkeit sein kann.
      Viele Grüße aus der DNB,
      Petra Kuhlemann

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