Literatur unter der Lupe 3

24. Juli 2024
von Elke Jost-Zell

Grundlagen der Inhaltserschließung

Du öffnest die Bücher und sie öffnen dich.“

Tschingis Aitmatov

Bücherregale für medizinische Bücher in der Inhaltserschließung der Deutschen Nationalbibliothek
Medizinische Bücher im Eingangsfach der Sachgruppe 610, Medizin und Gesundheit
Foto: Elke Jost-Zell, Deutsche Nationalbibliothek

Inhaltserschließung – der thematische Schlüssel zum Medienwerk

In unserem ersten Beitrag haben wir Ihnen eine kleine Einführung in die Erschließung bzw. Katalogisierung gegeben, im zweiten erklärten wir die Prinzipien der intellektuellen Formalerschließung. Im heutigen Beitrag geht es um die intellektuelle Inhaltserschließung von Medienwerken. Man nennt sie auch Sacherschließung.

An jedem Nachmittag trifft der meist sehr stattlich beladene Bücherwagen mit den Büchern und anderen Medienwerken, die bereits formal erschlossen wurden, bei den Kolleg*innen in der Inhaltserschließung ein.

Die inhaltliche Erschließung beginnt genau genommen bereits mit der Sortierung dessen, was sich auf dem Wagen tummelt. Ein buntes Sammelsurium an Büchern, Zeitschriften, Karten, USB-Sticks, DVDs etc. wird von unseren erfahrenen Kolleg*innen mit schnellem Blick auf dessen Inhalte durchgesehen und auf großen Sortiertischen geordnet. Diese Sortierung richtet sich nach den ca. 100 DDC-Sachgruppen, die der Dewey-Dezimalklassifikation entlehnt sind und mit denen wir auch die Deutsche Nationalbibliografie gliedern. Die Kolleginnen und Kollegen legen die Medienwerke in fachlich voneinander getrennte Regale, aus denen die Beschäftigten der jeweiligen Fachreferate sie abholen und zur Bearbeitung in ihre Büros mitnehmen.

Erschließungstiefe

Wie wir bereits erzählten, freuten wir uns bereits zum Jahresende 2023 über die atemberaubende Zahl von fast 50 Millionen Medienwerken, die die Deutsche Nationalbibliothek in den über 100 Jahren ihres Bestehens gesammelt hat. Alle diese Medienwerke werden erschlossen.

Um diese enormen Mengen in der bibliografischen Erschließung bewältigen zu können, benötigen wir sowohl eine Strategie als auch viel Fantasie. Zum einen arbeiten wir mit automatisierten Verfahren und arbeiten beständig an ihrer Weiterentwicklung, zum anderen erschließen wir in unterschiedlicher Tiefe.

In diesem Artikel schildern wir die intellektuelle Tiefenerschließung, wie sie von geschulten Experten durchgeführt wird. Über unsere maschinellen Erschließungswege finden Sie hier weitere Informationen.

Was ist Inhaltserschließung?

Unter Inhaltserschließung versteht man das Erfassen des Inhaltes eines Medienwerkes durch eine verbale und/oder eine klassifikatorische Erschließung. Diese erfolgt mittels Autopsie, was bedeutet, dass sich der inhaltserschließende Kollege oder die Kollegin nicht auf werbende Kurzinhalte, Klappentexte und vorgeschlagene Schlagwörter verlassen darf, sondern einen tiefen Blick in das Buch wirft, um dessen Inhalt zu erfassen. Oft sind es auch mehrere Themen oder Inhalte, mit denen sich ein Buch beschäftigt. Erst dann beginnt die praktische Erschließungsarbeit.

Die Werkzeuge der Inhaltserschließung

Verbale Erschließung – Schlagwörter

Das Regelwerk, das uns bei der verbalen Erschließung von Medienwerken behilflich ist, sind die Regeln für die Schlagwortkatalogisierung, RSWK.

Mit der verbalen Erschließung erschaffen wir die kürzesten Inhaltsangaben der Welt. In sogenannten Schlagwortfolgen setzen wir Normdatensätze der Gemeinsamen Normdatei in sinnvolle Zusammenhänge, um darzustellen, um was es genau in einem Buch geht.

Manchmal lässt sich dies kurz und knapp mit einem oder wenigen Schlagwörtern ausdrücken.

Zum Beispiel erhält das Buch Frieden leben mit Kindern, in dem es um Ideen zur nachhaltigen Werteerziehung in der Vorschulerziehung geht, die Schlagwörter Friedenserziehung, Werterziehung und Kindertagesstätte.

Ein Ausschnitt mit Metadaten zu dem Buch Frieden leben mit Kindern im Katalog der DNB
Ein Ausschnitt mit inhaltserschließenden Metadaten zu dem Buch Frieden leben mit Kindern im Katalog der DNB
Inhaltserschließung mit Schlagwörtern und DDC-Notationen
Foto: Katalog der Deutschen Nationalbibliothek

Manchmal ist die Vergabe von Schlagwörtern jedoch ein tricky business. Behandelt ein Buch verschiedene Themen oder fachlich unterschiedliche Aspekte eines Themas, kann man diese nur in mehreren Schlagwortfolgen ausdrücken.

Das Buch „Die kosmopolitische Klinik : Globalisierung und kultursensible Medizin“ betrifft zum Beispiel thematisch die Bereiche Medizin (Sachgruppe 610), Philosophie (Sachgruppe 100) und Soziale Probleme & Sozialdienste (Sachgruppe 360). Um die unterschiedlichen Aspekte des Inhalts (wir nennen sie „Gegenstände“) bei der verbalen Buchbeschreibung zu trennen, vergeben wir zwei Schlagwortfolgen:

  1. Gesundheitswesen, Globalisierung, Interkulturalität und Medizinische Ethik
  2. Migration, Menschenrecht, Medizinische Versorgung, Medizinische Ethik

Unter all diesen Schlagwörtern sind die Bücher im Katalog auffindbar.

Klassifikatorische Erschließung – Notationen der Dewey-Dezimalklassifikation, DDC

Nicht nur mit Worten können wir ausdrücken, welche Inhalte ein Medienwerk umfasst. Auch Zahlen können sprechen, zumindest kann es die Dewey-Dezimalklassifikation, DDC.

Die DDC ist ein international angewendetes System zur Ordnung von Wissen, das der amerikanische Bibliothekar Mevil Dewey 1876 veröffentlichte. Sie dient der Klassifikation für die inhaltliche Erschließung von Bibliotheksbeständen. Ursprünglich für die Aufstellung von Bücher in Bibliotheksregale gedacht, ist sie ein hervorragendes Tool zur Recherche in einem Online-Katalog und für die gezielte Erwerbung von Medienwerken (Texte, Musik, Bilder etc.), ganz besonders für Spezialsammlungen.

Die fachliche Unterteilung geschieht in Klassen – eine DDC-Klasse wird durch eine Notation dargestellt, die aus einer Überschrift (Klassenbenennung), Anmerkungen und Registerbegriffen besteht, die einen verbalen Zugang zu den Themen der Klasse ermöglichen. Die Notationen bestehen aus arabischen Ziffern von 0 bis 9 und sind hierarchisch immer feiner gegliedert, so dass die kürzesten Ziffernfolgen eher allgemein sind und je länger die Notation ist, desto spezifischer ist auch das Thema. Der große Vorzug der DDC ist daher ihre Sprachunabhängigkeit, denn die einzelnen Notationen sind in allen Sprachen immer gleich:

Zum Beispiel finden wir Medienwerke aus der Zoologie unter der Notation 590. Suchen wir Bücher über Wale, führt uns die DDC zu Notation 599.5, und brauchen wir Literatur über Walbeobachtung, finden wir diese unter der Notation 599.50723. Wer also die Notation selbst kennt, kann damit auch Literatur zu diesen Themen in Sprachen finden, für die er die entsprechenden Begriffe selbst gar nicht wissen muss!

Wir könnten noch genauere Akzente setzen, wenn wir mit einer geografischen oder einer chronologischen Ziffer aus einer sogenannten Hilfstafel einschränken. Deutschland finden wir in der Hilfstafel 2 unter der Ziffernfolge T2-43, Bayern unter T2-433, und so wird auch hier mit der Länge der Notation die Suche immer präziser. Behandelt ein Werk einen zeitlichen Abschnitt in der Geschichte, zum Beispiel Bücher über die Studentenrevolution im Jahr 1968, können wir aus der Hilfstafel den Zeitstempel T1-09046 an die Notation 378.1981 anfügen.

Formangaben

Zusätzlich zu den Schlagwörtern für Personen, Geografika, Themen, Konferenzen und Körperschaften und Werke verwenden wir sogenannte Formangaben. Mit diesen können wir Ihnen weitere Informationen über die innere Form eines Medienwerks geben, zum Beispiel, ob es sich um einen Ratgeber handelt, um einen Ausstellungskatalog, einen Comic oder eine humoristische Darstellung, eine Zitatensammlung, ein Wörterbuch, einen Atlas oder einen Bildband … und noch vieles mehr. Auch diese Formangaben sind normiert und in einer gesonderten Liste aufgeführt.

Datenträger

Unter dem Terminus technicus „Datenträger“ verstehen wir im Bibliothekswesen die äußere Form, auf oder in der sich ein Medienwerk befindet. Gedruckte Bücher kennzeichnen wir im Bibliothekskatalog mit dem Symbol eines Buches im Suchtreffer, Online-Ressourcen wie E-Books mit dem Symbol eines Bildschirms. Weitere Datenträger können CD-ROMs sein, DVDs, USB-Sticks oder Hörbücher.

Zielgruppen

Ist ein Medienwerk mit Blick auf eine bestimmte Zielgruppe geschrieben und veröffentlicht worden, haben wir die Möglichkeit, diese Information aus einer kleinen Auswahl in das Katalogisat aufzunehmen. Zielgruppen sind beispielsweise Lehrer, Vorschulkinder oder Kinder.

Gattungsbegriffe

Für die Erschließung von Werken der Belletristik und der Kinder- und Jugendliteratur vergeben wir sogenannte Gattungsbegriffe. Diese sind den Warengruppen des Verzeichnisses Lieferbarer Bücher, VLB angeglichen. Aus einer Liste von 63 festgelegten Gattungsbegriffen haben wir die Möglichkeit, die literarische Gattung der Medienwerke zu beschreiben.

Dabei unterteilen wir bei der Erzählenden Literatur Medienwerke in Hauptwerke vor 1945, Gegenwartsliteratur ab 1945, Historische Romane und Erzählungen, Anthologien, Romanhafte Biografien. Bei Spannung unterscheiden wir Krimis, Spionage, Kriminalromane und Horror, in der Kinder- und Jugendliteratur die Kinderbücher bis 11 Jahren und Jugendbücher ab 12 Jahren und vieles mehr.

Freigabe

Haben wir das Medienwerk mit den erforderlichen inhaltserschließenden Daten versehen, drücken wir den Button „Freigabe“ und schicken es damit hinaus in die Welt.

„Freigabe“ bewirkt, dass das Katalogisat nun komplett formal und inhaltlich erschlossen im Katalog der DNB angezeigt wird. Es erscheint in der Deutschen Nationalbibliografie und steht für alle Metadatendienste der DNB zur Verfügung. Das Buch selbst legen wir auf einem der riesigen Bücherwagen ab, der unsere bearbeiteten Medienwerke in die Büchermagazine transportiert. Dort werden sie archiviert. Und wenn Sie das Buch über Friedens- und Werterziehung, das wir für Sie erschlossen haben, in unseren Lesesälen anschauen möchten, nur zu! Es wird in der Deutschen Nationalbibliothek aufbewahrt, für Sie, Ihre Kinder, Enkel und Urenkel, für die Ewigkeit.

Eine Darstellung des Sachschlagworts Friedenserziehung mit miteinander verknüpften Datensätzen im GND-Explorer
Der GND-Explorer zeigt uns das bunte Netz miteinander verwobener Normdaten, hier ausgehend von dem Sachschlagwort „Friedenserziehung“
Foto: GND-Network

Elke Jost-Zell

Elke Jost-Zell ist als Bibliothekarin, GND-Redakteurin und Autorin in der Abteilung Inhaltserschließung sowie für die AG Nachhaltigkeit der Deutschen Nationalbibliothek tätig.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Elke Jost-Zell, Deutsche Nationalbibliothek

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Über uns

Die Deutsche Nationalbibliothek ist die zentrale Archivbibliothek Deutschlands.

Wir sammeln, dokumentieren und archivieren alle Medienwerke, die seit 1913 in und über Deutschland oder in deutscher Sprache veröffentlicht werden.

Ob Bücher, Zeitschriften, CDs, Schallplatten, Karten oder Online-Publikationen – wir sammeln ohne Wertung, im Original und lückenlos.

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  • ISSN 2751-3238