Literatur unter der Lupe – Einführung

Die Schlüssel für unsere Erschließung unter der Lupe finden Sie in dieser sechsteiligen Blogreihe
Foto mit freundlicher Genehmigung des de Gruyter-Verlags
Fast 50 Millionen …
Als sich das Jahr 2023 zum Ende neigte, befanden sich 49.687.783 Medienwerke in der Sammlung der Deutschen Nationalbibliothek, DNB – die beeindruckend runde Zahl 50 Millionen ist nicht mehr fern!
Fast 50 Millionen – das sind Bücher, Zeitschriften, Zeitungen, Karten, E-Books, Netzpublikationen, CDs, CD-ROMs, DVDs, Websites und vieles mehr, das sich in unserem Bestand zur Langzeitarchivierung und Nutzung befindet.
Dies wirft für viele, vor allem neue Nutzer, die Frage nach der berühmten Nadel im Heuhaufen auf – wie findet man in dieser beeindruckenden Fülle ein bestimmtes Buch oder erstellt eine Literatursammlung zu einem speziellen Thema? Wie macht die Bibliothek diese Medienwerke such- und auffindbar?
Hier kommt die Erschließungsarbeit der DNB zum Einsatz: Ordnung ins Chaos bringen. Für die Kolleg*innen, die mit der Formalerschließung und der Inhaltserschließung betraut sind, ist die Erstellung und Pflege von Metadaten eine tagtägliche Aufgabe, die Expertise, Engagement, Enthusiasmus und nicht zuletzt auch eine Prise entspannten Humors erfordert.
Was verbirgt sich hinter dem Begriff Erschließung?
Doch klären wir erst einmal, was Bibliothekarinnen und Bibliothekare meinen, wenn sie von „Erschließung“ sprechen. Genauer gesagt: Die Erschließung von Medienwerken wie Bücher, E-Books, Zeitschriften, Karten, Netzpublikationen etc. durch intellektuelle oder maschinelle Verfahren. Das Wort „Katalogisierung“ wird übrigens synonym für bibliothekarische Erschließung verwendet.
Um mit den Worten des englischen Schriftstellers Roger Deakin zu sprechen, kann man sich Erschließungsarbeit wie eine Landschaft vorstellen, „in der sich kleine Dinge ereignen, die eine weitreichende Wirkung haben“.
Natürlich kann man es auch fachlich definieren: Erschließung bedeutet, ein Medienwerk durch Metadaten (Daten über Daten) so zu beschreiben, dass es in einem Bibliothekskatalog und oder einer Datenbank gefunden wird. Bibliografische Erschließungsdaten geben Auskunft darüber, wer in welcher Funktion an einem Medienwerk beteiligt ist, wie es heißt und welche Themen es behandelt.
Oder man fasst es ganz kurz: ohne Input kein Output! Ergo: Ohne Erschließung finden unsere Nutzer keine Medienwerke im Katalog der DNB.
Intellektuell UND maschinell
In dieser Beitragsreihe beschreiben wir die praktische, intellektuelle Erschließung von Medienwerken durch ausgebildete Bibliothekar*innen und Fachreferent*innen. Informationen über die Verfahren, die wir für die maschinelle Erschließung nutzen, finden Sie auf unserer Website.
Erschließung, zweifach
Katalogisierungs- oder Erschließungsarbeit ist eine Etappe, die ein Medienwerk auf seinem Weg durch die DNB zwischen dem Eintreffen im Haus und der Archivierung in den Magazinen oder Datenbanken durchläuft. Sie findet auf zwei Ebenen statt und verfolgt zwei Philosophien.
Die erste Ebene ist die der Formalerschließung:
- Formal – wer hat in welcher Funktion mitgewirkt? Und wie kann man das Werk identifizieren?
(u.a. mit Personennamen für Autoren, Herausgeber, Übersetzer, Künstler etc.; mit Titel, Untertitel, Originaltitel; mit Verlag, identifizierende Nummern wie ISBN, ISSN, URN, DOI)
Die zweite Ebene ist die der Inhaltserschließung:
- Inhaltlich – mit welchen Themen beschäftigt sich das Medienwerk? (beschrieben durch Schlagwörter, DDC-Sachgruppen, DDC-Notationen und Gattungsbegriffe)
Die erste Erschließungsphilosophie verfolgt das Ziel, das einzelne Medienwerk so zu beschreiben, dass es unter seinem Titel, den beteiligten Personen, den Identifiern (ISBN, ISSN, URN, DOI) etc. eindeutig in einem Bibliothekskatalog identifiziert und gefunden werden kann. Die zweite besteht darin, das Medienwerk bei einer sachlichen Suche aufzufinden, sowohl als einzelnes Werk als auch als Ergebnisliste einer Literatursammlung zu einem ausgewählten Thema.
Warum erschließen wir?
Im Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNBG) erfahren wir, dass die DNB die zentrale Archivbibliothek und das nationalbibliografische Zentrum Deutschlands ist.
Zu ihren Aufgaben gehört nicht nur die Sammlung, Inventarisierung, Nutzbarmachung und Langzeitarchivierung der ab 1913 in Deutschland veröffentlichten Medienwerke und die ab 1913 im Ausland veröffentlichten deutschsprachigen Medienwerke, Übersetzungen und Medienwerke über Deutschland (Germanica), sondern sie auch zu erschließen und bibliografisch zu verzeichnen.
Die Erschließung ihrer Sammlungen ist also eine gesetzlich verankerte Aufgabe der DNB, damit …
- Sie als Nutzer*in die Bücher, Zeitschriften, E-Books, Karten, Musikalien, USB-Sticks, DVDs und andere Medienwerke in Bibliothekskatalogen finden und für die Nutzung im Lesesaal bestellen können
- andere Bibliotheken die Daten nachnutzen und damit die eigene Katalogisierungsarbeit effektiver gestalten können
damit die Erschließungsdaten in der Deutschen Nationalbibliografie angezeigt werden.



Bibliothekarischer Werkzeugkasten
Fassen wir noch einmal zusammen:
Die Datenerfassung der Formalerschließung ermöglicht die Suche nach einem einzelnen Medienwerk.
Die Datenerfassung der Inhaltserschließung strukturiert die Bestände nach sachlichen Kriterien und ermöglicht Literatursammlungen und einen fachlichen Überblick durch thematische Zugänge. Für die intellektuelle Erschließung benötigen wir Prinzipien, Fundamente und Regelwerke. Was streng klingt, ist einfach erklärt:
Prinzip: Autopsie
Bei der intellektuellen Erschließung durch Bibliothekar*innen besteht die Grundlage jeder Erschließungsarbeit im Blick in das Medienwerk, gleich, ob es uns physisch als Buch oder digital als E-Book vorliegt.
Wir nennen dies „Autopsie“ – die Anschauung am konkreten Objekt. Zum Beispiel einem Buch der Verhaltensforscherin Jane Goodall mit dem schönen Titel Das Buch der Hoffnung, in dem es um Natur und Artenschutz geht. Wir schauen also in die Buch– oder E-Book-Ausgabe hinein und verschaffen uns so einen umfassenden Überblick über die formalen und inhaltlichen Aussagen, die dieses Medienwerk beherbergt.
Fundament: Normierte Datensätze
Die Gemeinsame Normdatei, GND beinhaltet normierte Begriffe für Personen, Sachbegriffe, Körperschaften, Konferenzen, Werke und Geografika, die mit- und untereinander verknüpft sind und mit den Titeldaten verlinkt werden. Der Datensatz des Buches der Hoffnung wird somit verknüpft mit den Normdatensätzen für seine Autorin Jane Goodall, dem des Mitverfassers, der beiden Übersetzer sowie den Schlagwörtern und der DDC-Notation, die den Inhalt wiedergeben.

Foto: Katalog der DNB
Regelwerke: Einheitlichkeit und Kompatibilität
Für die Formalerschließung ist das in der internationalen Bibliothekswelt angewendete Regelwerk Ressource Description and Access (RDA) verbindlich. Für die Inhaltserschließung nutzen wir die deutschen Regeln für die Schlagwortkatalogisierung (RSWK) und die deutschsprachige Version der amerikanischen Dewey Dezimal-Klassifikation (DDC). Die verlässliche, einheitliche Anwendung dieser Regelwerke ermöglicht Bibliotheken und anderen Kultureinrichtungen den optimierten Austausch bibliografischer Metadaten. Sie reduziert damit die eigenen Arbeitsaufwände durch die Übernahme von Daten, die bereits von einer anderen Bibliothek erschlossen wurden. Und für die internationalen Nutzer*innen ist es komfortabel, die benötigten Daten in einer vertrauten Struktur vorzufinden.

Petra Kuhlemann & Elke Jost-Zell
Petra Kuhlemann und Elke Jost-Zell sind als Bibliothekarinnen und Autorinnenteam für die Deutsche Nationalbibliothek tätig
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