Sieben weiße, weise Köpfe

16. August 2023
von Tom Diener

Ein bekanntes Phänomen: Man stellt etwas in den Keller oder auf den Dachboden – mit dem festen Vorsatz, es irgendwann wieder hervor zu holen, doch es gerät in Vergessenheit und „verschwindet“. Und gerade in einer Archivbibliothek könnte man meinen, dass so etwas unmöglich ist. Weit gefehlt – bereits die Geschichte eines großen Buntglasfensters hat dies eindrücklich bewiesen. Das Gleiche widerfuhr sieben Marmorbüsten, die zuletzt viele Jahre wenig beachtet in einem ehemaligen Heizungskeller lagerten.

Die Mamorbüsten waren einst Teil der zahlreichen Stiftungen, welche die Deutsche Bücherei seit ihrer Einweihung 1916 erhielt. Der Grundgedanke war, eine „Reihe deutscher Geistesheroen dem Schatzhause deuschen Schrifttums“ beizugeben – die Schaffung einer „Walhalla“ – wie es die „Denkschrift zur Einweihung der Deutschen Bücherei“ von 1916 in markigen Worten beschreibt. Der Bezug zum Vorbild, eben jener Walhalla, die König Ludwig I. von Bayern unweit der Donau einst errichten ließ, zeigt sich auch in der einheitlichen Gestaltung der Marmorbüsten. Die Vorgaben für diese Stiftungen waren eine Höhe von 70 cm und eine Sockelbreite von 40 cm. Damit trat die individuelle Handschrift des jeweiligen Bildhauers zugunsten einer einheitlichen Gesamtwirkung der über 50 Büsten in den Hintergrund. Näheres zur Geschichte dieser besonderen Stiftung erfahren Sie in diesem Beitrag.

Bei den sieben Büsten, von denen dieser Beitrag berichtet, handelt es sich um Abbilder von Wilhelm Jordan, Friedrich Halm, Albrecht Thaer, Rober Hämerling, Christian Bernhard Freiherr von Tauchnitz, Victor von Scheffel und Adalbert Stifter. Bei dem zuletzt Genannten war bedauerlicherweise der Kopf auf Höhe des Halses abgebrochen. Glücklicherweise konnte dieser Schaden inzwischen restauriert werden.

Die Büste des Schriftstellers und Malers Adalbert Stifter war einst durch Oskar Ritter von Hölder aus Wien für die Deutsche Bücherei in Auftrag gegeben worden. Der Stuttgarter Verlagsbuchhändler Adolf Bonz stiftete eine Büste von Victor von Scheffel, die er 1917 durch den Bildhauer Otto Illemann anfertigen ließ. Von Scheffel war einer der wichtigsten und erfolgreichsten Autoren des Verlages von Adolf Bonz – Grund genug, ihn mit einem Mamorabbild in der Deutschen Bücherei zu ehren. Die Büste des österreichischen Dichters Friedrich Halm entstand 1919 durch Hans Schwathe im Auftrag von Karl Proschaska. Robert Hämerling – ebenfalls ein Dichter und Schriftsteller aus Österreich – war das Werk des Wiener Künstlers Hans Scherpe im Auftrag der Rikola Verlag A.G., Wien.

Für die Stiftungen von Adolf Bonz und Robert Hämerling haben sich außerdem die orignialen Stifterplaketten erhalten. Diese kleinen, lederbezogenen und mit goldener Schrift geprägten Pappschilder waren ursprünglich am Holzsockel der jeweiligen Büste angebracht.

Das Abbild des Argrarwissenschaftlers und Arztes Albrecht Thaer ist das Werk des Leipziger Bildhauers Walter Zschorsch im Auftrag von Arthur Georgi für die Firma Paul Parey. Ein weiteres Abbild von Thaer, geschaffen von Ernst Rietschel, blickt in Leipzig übrigens nahe der Moritzbastei auf die vorbeieilenden Passanten herab. Besonders für die Buchstadt Leipzig von Bedeutung ist der Name Christian Bernhard Freiherr von Tauchnitz – der „Baron der englischen Bücher“, wie in ein gleichnamiges Verlagsporträt von 2017 betitelt. Die Bernhard Tauchnitz AG beauftragte damals Carl Seffner mit der Schaffung einer Büste des Verlagsgründers. Auffälig sind hier seine markante Darstellung mit Pelzmantel über den Schultern und der im Vergleich zu den einheitlichen Vorgaben kleiner dimensionierte Sockel.

Auch die Büste von Wilhelm Jordan fällt durch ihren abweichend, schmalen Sockel auf. Der Name des Dargestellten ist in diesem Fall nicht auf der Büste zu finden. Auf der Rückseite findet sich mit „Fritz Neubert, Hbg. 1878“ lediglich ein Hinweis auf den Künstler und das Entstehungsjahr. Friedrich „Fritz“ Neubert war vor allem im norddeutschen Raum durch seine plastischen Arbeiten für die Hamburger Nikolaikirche bekannt geworden. Das Entstehungsjahr lässt den Schluss zu, dass es sich bei dieser Büste nicht um eine Auftragsarbeit für die Deutsche Bücherei handelt.

Büste aus weißem Marmor
Büste von Wilhelm Jordan. Foto: DNB, Tom Diener

Wirft man einen Blick in die bereits zitierte Denkschrift, taucht dort der Name Fritz Neubert nicht auf. Auch in anderen publizierten Versionen der Liste mit den Namen der Büsten und sogar in der heutigen Inventarliste taucht weder der Name von Neubert noch der von Jordan auf. Auffällig ist dabei der Eintrag einer Büste, die übereinstimmend in mehreren Quellen als „unbekannt“ bezeichnet wird. Die Antwort lieferten historische Dokuemte aus dem Hausarchiv der Deutschen Nationalbibliothek. Dort erfährt man auch den Grund, warum die Büste in den späteren Jahren nicht mehr namentlich zugeordnet werden konnte: Sie war offensichtlich zeitweise „verschwunden“. In einer Kartei mit den Standorten der einzelnen Büsten ist bei jener von Wilhelm Jordan zunächst „2. Stock, Reichsbibliothek“ eingetragen. Später wird diese Angabe um ein Fragezeichen ergänzt – vermutlich war die Büste nun nicht mehr an ihrem angestammten Platz. Auch eine für 1972 dokumentierte Nachfrage im Deutschen Buch- und Schriftenmuseum zum Verbleib der Büste blieb ergebnislos. Jahre später muss sie wieder aufgetaucht sein und in Ermangelung eines Namens am Sockel war sie nun „unbekannt“.

Büsten warten auf ihre baldige Aufstellung in einem Kellerraum
Büsten warten auf ihre baldige Aufstellung. Foto: DNB, Bettina Rüdiger

Das Bildnis Jordans wurde der Deutschen Bücherei einst von seiner Tochter Emma Jordan gestiftet. Mit dem Zimmer der „Reichsbibliothek“ war sie ab 1938 neben dem Bildnis von Ludwig Uhland an prominenter Stelle zu finden. Sogar ein zeitgenössischer Artikel des Leipziger Erwerbungsdirektors Albert Paust zeugt von dieser Auswahl. Die „Reichsbibliothek“ in Gestalt der ehemaligen Parlamentsbibliothek der Frankfurter Nationalversammlung von 1848 war im Zuge eines Tauschgeschäfts 1938 anlässlich des 25-jährigen Bestehens der Deutschen Bücherei aus dem Germanischen Nationalmuseum nach Leipzig überführt worden. Bei der Ausschmückung des Raumes fiel die Wahl auf Jordan, weil er 1848 als Politker des rechtsnationalen Lagers Mitglied eben jenes Frankfurter Parlaments gewesen war. Wenn sie mehr über die Geschichte der „Reichsbibliothek“ erfahren wollen, lohnt sich ein Blick in die digitale Ausstellung.

Zukünftig sollen alle sieben Büsten wieder neben den übrigen Stücken dieser Sammlung in den Fluren der Bibliothek zu sehen sein. Dafür wurden sechs neue Sockel angefertigt und ein siebenter, historischer Sockel restauriert.

111-Geschichten-Redaktion

Zum 111. Jubiläum haben wir, die Beschäftigten der Deutschen Nationalbibliothek, in Erinnerungen und Archiven gestöbert. Von März bis November präsentieren wir hier 111 Geschichten aus der Deutschen Nationalbibliothek.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:DNB, Tom Diener

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