35 Jahre SDD – SUB Göttingen
Im vierten Teil der Reihe zum Jubiläum der Sammlung Deutscher Drucke (SDD) hat Dr. Christian Fieseler von der Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen (SUB Göttingen) unsere Fragen beantwortet.
Was bedeutet die Sammlung Deutscher Drucke für Sie?
Im Jahr 2010 bin ich an der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek als Referent der Sammlung Deutscher Drucke des 18. Jahrhunderts angestellt worden. Obwohl im Laufe der Zeit zahlreiche andere Aufgabenbereiche hinzugekommen sind, darf ich diese Rolle noch immer ausüben. Das finde ich vor allem deshalb sehr erfreulich, weil die Arbeitsgemeinschaft Sammlung Deutscher Drucke (AG SDD) eine besonders wichtige Einrichtung für die Bewahrung des kulturellen Erbes in Deutschland ist, da ohne sie eine umfassende und systematische Erwerbung der Druckproduktion vergangener Jahrhunderte nicht erfolgen würde. Darüber hinaus war und ist die Zusammenarbeit mit den Referent*innen der AG SDD in den anderen fünf Bibliotheken ungemein kollegial und konstruktiv – was bei Kooperationsprojekten von Bibliotheken leider nicht immer selbstverständlich ist –, so dass auch in dieser Hinsicht die Sammlung Deutscher Drucke zu den Tätigkeitsbereichen gehört, die ich besonders gerne verantworte.
Welche Meilensteine setzt Ihre Sammlung, und wie entscheiden Sie, welche Druckerzeugnisse in Ihre Sammlung aufgenommen werden?
Grundsätzlich sammeln wir in der SUB Göttingen für die Sammlung Deutscher Drucke des 18. Jahrhunderts alle deutschsprachigen oder im deutschen Sprachgebiet publizierten Drucke, die zwischen 1701 und 1800 erschienen und die in anderen Kulturgut bewahrenden Einrichtungen in Deutschland nicht nachgewiesen sind. Bei dieser Art der retrospektiven Erwerbung ist es nicht einfach, selbst besondere Schwerpunkte zu setzen, da ja nur das erworben werden kann, was auch tatsächlich angeboten wird. Dazu kommt, dass die meisten wichtigen wissenschaftlichen Werke des 18. Jahrhunderts bereits bei ihrem Erscheinen erworben wurden und daher in der Göttinger Bibliothek seit langem vorhanden sind. Die Schwerpunkte bei den Erwerbungen für die Sammlung Deutscher Drucke liegen daher in den Gebieten, die im 18. Jahrhundert als nicht sammlungswürdig in einer Universitätsbibliothek angesehen wurden, z. B. Kinder- und Kochbücher, Romane, Anleitungen für verschiedene Handwerkberufe, Werbezettel oder Bücher mit religiösen Inhalten. Wenn wir uns zwischen Drucken mit religiösen Inhalten und anderen Gattungen entscheiden müssen, fällt die Wahl eher zuungunsten der religiösen Schriften aus, denn diese werden oft auch in Kirchen- und Klosterbibliotheken bewahrt, deren Bestände in Deutschland jedoch noch gar nicht ausreichend digital erschlossen sind. Aus diesem Grund erwerben wir auch nur in Ausnahmefällen Verwaltungsschrifttum: Dieses ist in der Regel in den Staats- und Landesarchiven vorhanden.
Bild 2: Das anonym erschienene „ABC und Lesebuch zur Aufklärung des Verstandes lieber Kinder“ wurde von dem Nürnberger Verleger Samuel Winterschmidt in Nürnberg publiziert. (Signatur DD2014 A 65)
Bildrechte: Martin Liebetruth (SUB Göttingen)
Bild 2: Ebenfalls ein Druckprodukt des 18. Jahrhunderts: Durch das „Geographische Spiel für die Jugend“ von S. L. Hegrad aus dem Jahr 1783 sollen die Spielerinnen und Spieler mit der europäischen Staatenwelt vertraut gemacht werden. (Signatur DD2018 A 16)
Bildrechte: Martin Liebetruth (SUB Göttingen)
Welche Balance finden Sie zwischen physischer und digitaler Sammlung?
Der Sammlungsauftrag für die Sammlung Deutscher Drucke bezieht sich auf die physischen Exemplare, daher erwerben wir den originalen Druck. Nur in Ausnahmefällen bestellen wir seit einiger Zeit auch Digitalisate von relevanten Werken, die in Bibliotheken außerhalb Deutschlands vorhanden sind und die für die Forschung einen besonderen Wert darstellen. Diese Titel katalogisieren wir für das ehemalige DFG-Projekt „Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 18. Jahrhunderts (VD18)“ und stellen sie über das Göttinger Digitalisierungszentrum (GDZ) zur Verfügung. Zudem konnten in den vergangenen Jahren sämtliche Titel der Sammlung Deutscher Drucke des 18. Jahrhunderts im Rahmen des VD18-Projekts digitalisiert und online gestellt werden. Alle Neuzugänge der Sammlung Deutscher Drucke werden nach Abschluss des VD18-Projektes außerdem weiterhin digitalisiert und in das VD18 eingebracht werden.
Welche besondere Begegnung hatten Sie mit einem Buch?
(Signatur DD92 A 34263)
Foto: Martin Liebetruth (SUB Göttingen)
Bevor ich an die Bibliothek kam, hatte ich zur Geschichte der Kartographie im 18. Jahrhundert geforscht und mich dabei auch mit dem Homannschen Landkartenverlag in Nürnberg beschäftigt. Einer der Mitarbeiter des Verlags war der Astronom und Kartograph Georg Moritz Lowitz (1722–1774). Lowitz war seit 1755 Professor in Göttingen, trat aber 1768 eine Stelle an der Universität in St. Petersburg an und wurde 1774 bei Vermessungsarbeiten ermordet. Da er bei seinem Weggang aus Göttingen hoch verschuldet war, musste er seine Bibliothek an die Göttinger Verlegerin Anna Vandenhoeck verpfänden – eine Liste, aus der man hätte ablesen können, welche Werke er besaß, hinterließ Lowitz nicht.
Bei Recherchen in den Beständen der Sammlung Deutscher Drucke stieß ich dann vor einigen Jahren zufällig auf einen kleines Büchlein: Es war ein 1992 erworbener Auktionskatalog aus dem Jahr 1776, der die auf dem Göttinger Rathaus versteigerten Bücher, Landkarten und mathematische Instrumente auflistete und der mich neugierig werden ließ, wessen Sammlung das gewesen sein könnte.
Ein Blick in das Erwerbungsmanual der Göttinger Bibliothek verschaffte schnell Gewissheit: Die Universitätsbibliothek hatte aus der mehr als 4.000 Stücke umfassenden Sammlung bei „der Lowitzschen Auction“ zahlreiche Bücher und Handschriften von Lowitz erwerben können. Dieser Auktionskatalog ist eine exzellente Quelle dafür, welche Literatur ein Astronom und Kartograph des 18. Jahrhunderts besaß. Seine Erwerbung für die Sammlung Deutscher Drucke ist in meinen Augen ein hervorragendes Beispiel, wie wichtig es ist, auch zunächst unbedeutend erscheinende Drucke systematisch zu erwerben und zu bewahren.
Wie sehen Sie die Zukunft der Druckerzeugnisse in Bibliotheken in den nächsten Jahrzehnten?
In wissenschaftlichen Bibliotheken werden sicherlich zukünftig immer weniger Bücher auf Papier und mehr in digitaler Form erworben werden, da die Formen des wissenschaftlichen Arbeitens dies für viele Fächer erfordern. Auch wenn Ebook-Reader mittlerweile eine gute Lesbarkeit und vielfältige Funktionalitäten bieten, sehe ich den Trend zum Digitalen für öffentliche und auch private Bibliotheken nicht als eine ausschließliche Entwicklung an. Die Speicherung des geschriebenen Worts in einem gedruckten Buch ist immer noch überzeugend, da die enthaltenen Informationen von Leserinnen und Lesern zum einen leicht abgerufen werden können, zum anderen aber auch über lange Zeiträume erhalten bleiben.
Wie sieht ein Buch von 2089 (100 Jahre SDD) aus, was muss es haben?
Hoffentlich wird es Seiten aus Papier zwischen zwei Buchdeckeln haben, und gerne auch ein Lesebändchen.
Foto: Martin Liebetruth (SUB Göttingen)
Dr. Christian Fieseler
Dr. Christian Fieseler leitet die Abteilung Spezialsammlungen und Bestandserhaltung der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.