Provenienzforschung fiktional

11. April 2024
von Emily Löffler

Die Konjunktur von Provenienzforschung macht auch vor der Popkultur nicht Halt. Bereits vor knapp zehn Jahren befreite George Clooney auf der Kinoleinwand als amerikanischer Kunstschützer den Genter Altar und andere Meisterwerke der europäischen Kunstgeschichte aus den Händen der Nationalsozialisten. Mit seiner postkolonialen Kritik an der Aneignung von afrikanischem Kulturgut durch europäische Museen war auch der 2018 veröffentlichte Marvel-Blockbuster „Black Panther“ am Puls der Zeit: Die Szene, in der Eric Killmonger mit der Kuratorin eines britischen Museums über die Provenienz afrikanischer Artefakte diskutiert, ehe er diese aus dem Museum stiehlt, wurde seither in zahlreichen wissenschaftlichen Vorträgen von Kunsthistoriker*innen oder Ethnolog*innen zitiert.

Im Vordergrund liegt ein aufgeschlagenes Buch, im Hintergrund sind unscharf die Buchrücken mehrerer Bücher in einem Regal erkennbar.
Romane über Provenienzforschung. Foto: DNB, Emily Löffler

Nicht nur im Kino, sondern auch in der Literatur werden Kunstraub und Rückgabeforderungen immer wieder als Themen verarbeitet. Das naheliegende literarische Genre ist wohl der klassische Kriminalroman, schließlich steht auch am Beginn einer Provenienzrecherche meist eine Autopsie. Nicht umsonst wird außerdem den Forschenden kriminalistisches Gespür und detektivisches Vorgehen nachgesagt. Gerade wegen dieser Parallelität fühlt sich die Freizeitlektüre eines Kunstraub-Krimis für die Forscherin allerdings mitunter ein wenig nach unbezahlten Überstunden an – die déformation professionnelle der Leserin lässt grüßen. Nachfolgend werden daher bewusst keine Krimis vorgestellt.1 Dafür besprechen wir drei Bücher, die jeweils ganz eigene Zugänge etwa zur Rolle von Kunstmarkt und Museen, aber auch den Dimensionen von Verfolgung und Familiengeschichte eröffnen.

Hannah Rothschild, Die Launenhaftigkeit der Liebe

Im Mittelpunkt dieses Romans steht ein Flohmarktfund, der zur kunsthistorischen Sensation wird: ein anfänglich als ganz unscheinbar wahrgenommenes Bild entpuppt sich als das verschollene Gemälde „Die Launenhaftigkeit der Liebe“ des französischen Malers Antoine Watteau. Die Neuigkeit verursacht in der Londoner Kunstwelt einen Aufruhr: Auktionshäuser wittern das große Geschäft, Sammler*innen aller Couleur – vom arabischen Scheich bis zum Popstar, der sich einen kultivierten Habitus erkaufen will – werden als potenzielle Käufer*innen umworben. Doch einen Kunsthändler setzt die Neuigkeit besonders in Alarmbereitschaft, denn die Provenienz des Gemäldes ist sowohl mit der Vergangenheit seiner Familie als auch mit dem Kunstraub der Nationalsozialisten verknüpft. Die historische Spur führt ins während des Zweiten Weltkriegs besetzte Frankreich, zu organisiertem Raub, hochrangigen NS-Funktionären und opportunistisch-ambivalent agierenden Händlern.

Klingt reißerisch? Soll es auch: Rotschilds Roman fängt als kunsthistorisches Detektivspiel inklusive Liebesgeschichte an, entwickelt sich dann aber zu einer überzeichneten Satire auf den zeitgenössischen Kunstbetrieb, die gekonnt mit Klischees spielt, ohne sich selbst dabei zu ernst zu nehmen. Damit ist der Roman eher U als E und überschreitet stellenweise auch die Grenze zum „guilty pleasure“ – dafür ist er aber immens unterhaltsam.

Alena Schröder, Junge Frau, am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid

Als Hannah ihre Großmutter Evelyn im Seniorenheim besucht, fällt ihr unter den Papieren auf dem Schreibtisch ein Brief einer israelischen Anwaltskanzlei auf: Der Ehemann von Evelyns Mutter soll ein jüdischer Kunsthändler gewesen sein, dem während der NS-Zeit Kunstwerke verfolgungsbedingt entzogen wurden. Die Kanzlei könne Evelyn dabei unterstützen, diese Kunstwerke zu suchen und zurückzufordern.

Diesen Ausgangspunkt entwickelt Alena Schröder in ihrem Debütroman zu einer auf mehreren zeitlichen Ebenen angesiedelten Familiengeschichte, deren Verwerfungen im Spannungsfeld zwischen Verfolgung und NS-Konformität, Mitläufertum und Exil auch mit Hilfe der Provenienzforschung aufgedeckt werden. Dabei wird deren Methodik, also die oft als Detektivarbeit wahrgenommene, tatsächlich aber nach wissenschaftlichen Prinzipien erfolgende objekt- und archivbezogene Recherche, erfreulich akkurat wiedergegeben. Zugleich vermeidet Schröder die potenziell reißerischen Storylines um Kunsträuber im besetzten Frankreich und zeigt stattdessen die Alltagsdimension der Verfolgung innerhalb des Deutschen Reichs auf: Das Schicksal des Berliner Kunsthändlers kann als pars pro toto für zahllose vergleichbare Fallkonstellationen stehen, wie sie Provenienzforscher*innen immer wieder begegnen. Ganz nebenbei problematisiert der Roman außerdem deutsche Vergangenheitsbewältigung und gibt so vielleicht auch eine Antwort auf die Frage „warum erst jetzt?“.

Gabriele Tergit, Effingers

Die in 1950ern und 1960ern erschienenen Romane der Exilautorin Gabriele Tergit waren lange in Vergessenheit geraten, sind aber in den letzten Jahren wiederentdeckt worden. Mit „Effingers“ portraitiert Tergit den Aufstieg und Niedergang einer jüdischen Familie aus dem Berliner Großbürgertum und spannt dabei den Bogen vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis hin zur NS-Diktatur. Industrialisierung, Beschleunigung und Moderne sowie gesellschaftlicher und politischer Wandel sind die Leitthemen dieser mehrere Generationen umfassenden Erzählung.

Anders als bei den beiden vorgenannten Romanen ist die Provenienz von Kunstwerken in diesem Roman also nicht explizit Thema. Doch Tergits ungeheuer detaillierte Beschreibungen der Stadtpalais-Interieurs mit ihren Gemälden von Menzel oder Liebermann an der Wand lassen eine bildungsbürgerliche Lebenswelt auferstehen, zu deren Habitus selbstverständlich auch das Sammeln von Kunst gehörte – ein Milieu, das an Sammler*innen wie Rudolf Mosse oder Emma Budge denken lässt. Tergit beschreibt in ihren Romanen also genau die materielle und soziale Umgebung, aus der viele der Kulturgüter stammen, deren Provenienz heute mühsam rekonstruiert werden muss. Ebenso präzise zeichnet sie außerdem die Schritte der antisemitischen Verfolgung und fortschreitenden Enteignung nach, die zum Verlust von Kunstwerken führten und ebendiese Herkunftsrecherche heute erforderlich machen. Scheinbar beiläufig und doch ungeheuer klarsichtig verdichtet sich dies in einem Dialog, der im Sommer 1939 spielt:

‚Ich muß mit euch noch wegen der Sachen sprechen‘, sagte Eugenie, ‚ich zieh‘ doch ins Altersheim. Ich wollte den Wendlein [ein Gemälde] an Harald schicken. Derartige Sachen gehören an die männliche Linie. Aber er will ihn nicht. In fünfundzwanzig Jahren wird er Reue haben.‘

‚Wir packen einen Lift mit Möbeln, Glas und Porzellan für Erwin. Soll im Hamburger Freihafen gelagert werden. Ich würd‘ ihn gern dazupacken lassen, ohne Rahmen natürlich. Vielleicht kommt doch Emmanuel eines Tages so weit, daß er ihn sich aufhängen kann.‘

‚Ja, Paul, das wollen wir hoffen‘, sagte Eugenie mit großer Wärme.

Gabriele Tergit, Effingers, München (btb Verlag), 4. Auflage 2020, S. 879.

Was mit dem Umzugslift – und damit dem Gemälde – im Hamburger Freihafen später passiert, muss Tergit nicht eigens beschreiben: Wer mit den historischen Mechanismen der Enteignung vertraut ist, erahnt auch so bereits die Beschlagnahme durch die Hamburger Finanzbehörden. Das ist heutigen Provenienzforscher*innen bewusst, und ganz sicher wussten dies auch Tergit und ihre Leser*innen in den 1950er Jahren. Ihre volle Wucht entfaltet die Textpassage aber auch, weil sie die Wirkung der historischen Vorgänge auf die privaten Belange einer Familie so unmittelbar erfahrbar macht: Es sind Erinnerungsträger für die nachfolgende Generation, die da eingelagert und gesichert werden sollen, und deren Verlust bereits vorweggenommen wird.

Die literarische Verarbeitung des Themas fügt diesem somit eine emotionale Dimension hinzu, die in einem wissenschaftlichen Text nicht unbedingt Platz fände. Gerade das macht Tergits „Effingers“ so lesenswert: Der Roman macht die Brüche und Verluste spürbar, die aus der Verfolgung und Enteignung resultierten. Und ganz nebenbei und ohne bewusst darauf angelegt zu sein, verdeutlicht er damit, warum wir uns noch heute mit Provenienzforschung beschäftigen müssen.

  1. Wer an Kunstraub-Krimis interessiert ist, dem sei folgender Beitrag im Blog des
    Deutschen Zentrums Kulturgutverluste ans Herz gelegt: https://kulturgutverluste.de/blog/provenienzforschung-am-pool ↩︎

Emily Löffler

Dr. Emily Löffler ist in der Deutschen Nationalbibliothek für die Provenienzforschung verantwortlich.

Dieser Beitrag gehört zu einer Reihe, die wir anlässlich des Tags der Provenienzforschung 2024 veröffentlichen.

*Nachweis Beitragsbild auf der Startseite:Foto: DNB, Emily Löffler

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